Deutsche Gesänge

Von Claus Stephan Rehfeld · 22.09.2010
Mit der Gründung der Bundesrepublik und der DDR entstand auch die Frage nach einer neuen Nationalhymne. Im Westen entschied man sich nach langem Streit für die dritte Strophe des Deutschlandliedes.
Vorspiel

Bonn. 23. Mai 1949.
Inkraftsetzung des Grundgesetzes

Reporter / Parlamentarischer Rat 1949: "Da gehen wieder die Blitzlichter auf. Und alle, von den Amerikanern über die Engländer zu den Franzosen, die ausländischen und die deutschen Fotografen halten diesen Augenblick im Bilde fest."

Im Grundgesetz ist die Frage der Hymne offen gelassen. Die Alliierten haben den Gesang des Deutschlandliedes verboten. Eine thüringische Volksweise wird angestimmt.

"Ich hab' mich ergeben, / mit Herz und mit Hand, / dir Land voll Lieb und Leben, / mein deutsches Vaterland."

Vier Monate später, im September 1949, beantragt eine Gruppe rechtskonservativer Bundestagsabgeordneter die "Anerkennung des 'Deutschlandliedes' in seiner ursprünglichen unveränderten Form als Bundeshymne" für die Bundesrepublik.

Kapitel 1

Berlin West. 18. April 1950
Titania Palast. Auftritt von Bundeskanzler Adenauer.

Adenauer: ""Wenn ich Sie nunmehr, meine Damen und Herren, bitte, die dritte Strophe des Deutschlandsliedes zu singen ... "

Die Vertreter der Westalliierten bleiben regungslos sitzen. Führende SPD-Funktionäre verlassen empört den Saal. Der SPD-Vorsitzende Schumacher wird später von einem "Handstreich" sprechen und erklären, wenn man die dritte (Strophe) singe, so meine man die beiden ersten."

Enzensberger: "Die ganzen Kriegsergebnisse waren durch diese Hymne natürlich infrage gestellt. Und sie war ja auch nicht umsonst von den Alliierten verboten worden, weil sie ja immer mit dem Horst-Wessel-Lied zusammen gesungen worden war."

Appel: "Natürlich wurde man erinnert an die Zeit, wo man diese Hymne in strammer Haltung gesungen hat und damit verbunden war natürlich Krieg. Und Krieg bedeutete Tod und bedeutete schließlich Teilung. Also insofern ist die Hymne doch auch historisch belastet."

Reinhard, Appel, seit 1950 politischer Korrespondent in Bonn.

Enzensberger: "Es war natürlich: Macht das Tor auf. Und es richtete sich gegen die Sowjets, gegen die DDR. Man darf nicht vergessen, dass natürlich jetzt - um mal auf den schmerzlichen Punkt zu kommen – es ging natürlich auch bei der dritten Strophe, überhaupt beim Deutschlandlied um die Frage, ob man die DDR anerkennt."

Ulrich Enzensberger, Publizist, Autor.

Bundeskanzler Adenauer hat Bundespräsident Heuss den Fehdehandschuh hingeworfen. Heuss ist verärgert und reagiert mit scharfen Worten. Der politische Konflikt ist vorprogrammiert.

Appel: "Na ja, das war ja sowieso ein gespanntes Verhältnis zwischen den beiden. Insofern war es auch deshalb verständlich, weil der Adenauer eine Sache, die dem Bundespräsidenten zustand, im Grunde unterlaufen hat als Kanzler. Unterlaufen hat, in dem er bewusst auf das Populistische gesetzt hat und den Versuch eines neuen Denkens, eines neuen Anfangs auch in der Hymne zu setzen, dadurch konterkariert hat."

Heuss beansprucht inhaltlich und politisch die Kompetenz. Er hat bereits vor Adenauers kalkuliertem Vorstoß im Titania-Palast einen neuen Hymnentext in Auftrag gegeben. Der Streit eskaliert.

Appel: "Der stand dafür, dass Adenauer natürlich auch die rechtskonservative Wählerschaft für sich gewinnen wollte, während der Heuss als Ur-Demokrat, als Weimarer Demokrat, wollte einen Neuanfang, während Adenauer wollte das Althergebrachte, von dem er wusste, dass es in breiten Teilen der Bevölkerung Sympathien hervorrufen kann, das wollte er mit durchsetzen."

Heuss, auch ein Gegner der Wiederbewaffnung, wird scheitern. Sein Vorschlag einer neuen Hymne aus der Feder von Rudolf Alexander Schröder findet in der Öffentlichkeit keine Resonanz.

Kapitel 2

Bonn. 31. Dezember 1950
Der Text.

Heuss: "Verehrte Hörerinnen und Hörer. Ein rechter Haushalter möchte zum Jahresende gerne einen rechten Abschluss vorlegen. Aber es will nicht recht gelingen."

Bundespräsident Heuss wendet sich in seiner Silvesteransprache 1950 erstmals mit dem neuen Hymnentext an die Öffentlichkeit. Fünfeinhalb Jahre nach Kriegsende, sieben Monate nach Gründung der BRD, drei Monate nach Gründung der DDR.

Heuss: "Das ungeheure Schicksal, das die staatlichen Zusammenhänge zerschlug, ( ... ) schuf einen Geschichtseinschnitt, der mit dem alten Sinn- und Wortvorrat nicht mehr umfasst werden kann."

Deshalb nahm Heuss Anfang 1950 Kontakt auf mit dem Dichter Rudolf Alexander Schröder. In einem persönlichen Gespräch bittet er ihn um einen neuen Hymnen-Text. Schröder sagt zu und legt Anfang Mai 1950 einen ersten Liedentwurf vor. Glaube, Liebe, Hoffnung – das sind die zentralen Motive des auch als Kirchenlied-Dichter hervorgetretenen Verfassers.

Der Dichter und der Bundespräsident nehmen Zeile für Zeile etliche Änderungen vor.

Heuss: "Land des Glaubens, deutsches Land, / Land der Väter und der Erben, / Uns im Leben und im Sterben / Haus und Herberg, Trost und Pfand, / Sei den Toten zum Gedächtnis, / Den Lebendigen zum Vermächtnis / Freudig vor der Welt bekannt, / Land des Glaubens, deutsches Land."

Doch Text und Musik werden wenig gekauft. Kaum jemand singt das Lied, die meisten Bürger kennen die "Hymne an Deutschland" nicht einmal.

Nun drängt das Bundeskabinett den Bundespräsidenten, das Deutschlandlied als Nationalhymne offiziell anzuerkennen. Heuss lehnt im Januar 1952 eine "feierliche Proklamation" des Deutschlandliedes zur Nationalhymne ab. Als Kompromiss schlägt er schließlich einen Schriftwechsel zwischen Bundeskanzler und Bundespräsident vor.

Amos: "Und hat sich jetzt also auf die dritte Strophe geschlagen, aber die dritte Strophe kannte kaum jemand. Und die Bundesregierung wie auch die Kultusminister haben das auch nicht durchgesetzt."

Am 29. April 1952 bittet Adenauer den Bundespräsidenten - mit Verweis auf "innerdeutsche Gefühlsmomente" und "außenpolitischen Realismus" - darum, das Deutschlandlied "als Nationalhymne anzuerkennen. Bei staatlichen Veranstaltungen soll die dritte Strophe gesungen werden."

Sehr ungern, ja widerstrebend entspricht Heuss am 2. Mai 1952 dieser Bitte. Er glaubt weiter daran, "dass der tiefe Einschnitt in unserer Volks- und Staatengeschichte einer neuen Symbolgebung bedürftig sei". Wenn er "also der Bitte der Bundesregierung nachkomme, so geschieht das in der Anerkennung des Tatbestandes", schreibt Heuss und meint damit "den Traditionalismus und sein Beharrungsbedürfnis".

Heuss: "Es bleibt das Aber des ( ... ) Noch-nicht-Wagens und -Sagens."

Kapitel 3

Bonn. 23. November 1951
Die Vorschläge

Aus einem Vermerk für den Bundespräsidenten geht hervor, dass seit dem 12. September 1949 etwa 1000 Vorschläge für eine Hymne bei ihm eingegangen sind. Weitere Textvorschläge erhielten der Bundestag und die Bundesregierung.

Enzensberger: "Und es sind ja Einsendungen aus allen Schichten, und zwar aus der tiefsten Provinz, also aus der Mitte des Landes kamen diese Einsendungen."

Ulrich Enzensberger recherchierte als Erster den gesamten Liedtext-Bestand.

Enzensberger: "Und irgendwo bin ich da auf diese liebenswerte Gewissensqual in Verbindung mit seiner doch so sehr festen Haltung, mit der er da lange versucht hat, dies zu verhindern, dass wenigstens diese erste Strophe nicht mehr gesungen wird."

Doch auf sie beziehen sich die meisten Einsendungen, die neuen Liedtexte der Bürger.

Enzensberger: "Na sie waren natürlich zu nächst einmal irgendwie urkomisch, weil sie waren zu 80 oder 70 Prozent ein Versuch, diese jetzt zu entschärfen, diese erste Strophe."

"Deutschland, Deutschland Du mein Alles / Du mein Alles in der Welt."
"Heil Dir Deutschland, Volk der Treuen!"
"Deutschland, Deutschland, Du mein Vaterland"

Enzensberger: "Also es ging dann immer "Deutschland liiieeeb ich über alles" oder ... Frauen oder Gesang oder Wein. Dieses etwas Schwärmerische, das kam in vielen Entwürfen zum Ausdruck."

"Deutschland, mein Vaterland / Dir weih' ich Herz und Hand."
"Deutsche Republik marschier' mit festem Schritt."
"Deutschland, Deutschland, du mein alles, / Heißgeliebtes Vaterland."

Enzensberger: "Natürlich war es immer: trotzdem. Durch die Hintertür wollte man es dann doch das ein bissel drin haben – dieses 'über alles'."

Der von Heuss favorisierte Text von Schröders "Hymne an Deutschland" ist da noch ein qualitativer Geisteswurf.

Die Geschichte der Textfindung ist die Geschichte eines verlorenen Krieges, eines nicht gewachsenen Neuanfangs, eines noch lange andauernden Kalten Krieges.

Enzensberger: "Alte Jacke! schrieb Heuss mit Rotstift an den x-ten Vorschlag, die Zeile 'Deutschland, Deutschland über alles' durch die Zeile 'Deutschland, Deutschland, du mein alles' zu ersetzen, wodurch, wie ein Einsender schrieb, 'den Feinden ein 'Giftzahn' gezogen, uns aber nicht geschadet wäre. Es sind ja nicht die schlechtesten Früchte, an denen Wespen nagen.' (Privatintim! Vertraulich!) - Nein."

Kapitel 4

Bern. 04. Juli 1954
Finale der Fußball-Weltmeisterschaft

Bern 1954 Schlussreportage: "Ich glaube, meine lieben Zuhörerinnen und Zuhörer in Deutschland, wir bleiben noch so lange mit unserem Mikrofon hier im Stadion bis die deutsche Nationalhymne erklingt, bis der stolze Triumph unserer deutschen Elf hier seinen Höhepunkt erreicht."

Deutschland ist Fußballweltmeister. Die Stimmung daheim erinnert Sebastian Haffner an den Sedantag" zu Kaisers Zeiten. Im Berner Stadion singen deutsche Bürger die erste Strophe der "Deutschland über alles"-Geschichte – erst verhalten, dann ungebremst.

Reporter: "Und Deutschlands Hymne erklingt."
Gesang: "Deutschland, Deutschland über alles, / Über Alles in der Welt. / Wenn es stets zu Schutz und Truzze / Brüderlich zusammen hält, / Von der Maas bis an die Memel, / Von der Etsch bis an den Belt - / Deutschland, Deutschland über Alles, / Über Alles in der Welt!"

Ist es wirklich nur der "Überschwang der Gefühle" (Zitat Deutsches Historisches Museum) deutscher Fußballfans im Ausland? "Gutes Kicken" sei noch keine "gute Politik", rückt der Bundespräsident die Gemüter zurecht - auf der Großveranstaltung für die Weltmeister-Elf im Berliner Olympiastadion am 20. Juli 1954. Es ist der zehnt Jahrestag des Attentats auf Hitler. Heuss spricht die dritte Strophe des Deutschlandliedes zur Erinnerung in das Mikrofon, bevor Tausende die Hymne singen.

1962 fragt das Allensbacher Institut für Demoskopie: "Könnten Sie sagen, wie die ersten Worte heißen, mit denen unsere Nationalhymne anfängt?" 46 Prozent antworten mit "Deutschland, Deutschland über alles", 32 Prozent geben "Einigkeit und Recht und Freiheit" an.

In den 70er-Jahren spielen immer weniger Rundfunkanstalten zum Sendeschluss die Hymne. Die Bundesländer gehen sehr unterschiedlich mit dem Deutschlandlied im Unterricht um, so sie es überhaupt tun.
20 Jahre nach Bern, 1974, bei der Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land, "verstummt das Publikum regelmäßig" bei der Nationalhymne.

Amos: "Wo wird das, zum Beispiel nur im Unterrichtsfach, festgeschrieben, dass dort steht: Den Schülern wird das Deutschlandlied vertraut gemacht, die Umstände ihres Entstehens, der Dichter und der Komponist, der Missbrauch dieses Deutschlandliedes, warum singen wir heute die dritte Strophe, und wir müssen den Text der dritte Strophe lernen."

Dr. Heike Amos, Historikerin. Die Jahre der Unsicherheit im Hymnenumgang, der Unkenntnis des Textes und des Nichtsingens ziehen sich lange hin. Im öffentlichen Leben spielt die Hymne kaum eine Rolle. Man setzt sich damit nicht auseinander, …

Amos: "wobei man natürlich ständig von der Bewältigung der Vergangenheit spricht, aber man tut sozusagen nicht wirklich etwas. Das sind alles Leerfloskeln, die zu hören sind. Und es gibt ganz weniges, damit das irgendwie umgesetzt wird. Und ich denke, an der Hymne sieht man das ganz deutlich."

Die Unsicherheit ist groß. Bei einer Befragung nach der Textkenntnis schiebt das Allensbacher Institut Anfang 1989 sicherheitshalber die Formulierung ein: "so wie sie heute gesungen wird". Im Januar 1989 können nur 60 Prozent der Bundesbürger die erste Zeile der dritte Strophe vollständig aufsagen: "Einigkeit und Recht und Freiheit". Aber 75 Prozent der Westdeutschen halten 1990 am Deutschlandlied als Hymne fest.

Enzensberger: "Na dann müssen die Leute, die sich hier einbürgern lassen wollen, dann brauchen die nur eine Strophe lernen. Das ist doch auch ganz schön."

Kapitel 5

Bonn. 09. November 1989
21 Uhr. Deutscher Bundestag

Süßmuth: "Wenn ich spontan antworte, dann war es der Abend der Öffnung der Mauer, die mich im Büro über eine Agenturmeldung erreichte, und ging ich rüber ins Bonner Wasserwerk, wo das Parlament tagte."

Rita Süßmuth, Bundestagspräsidentin.

Süßmuth: "Und als ich ankam, sangen sie bereits diese dritte Strophe. Sie hatten also durchaus erfasst, hier ging es um mehr als nur um eine Maueröffnung."

In der DDR singen die Menschen auf den Straßen "So ein Tag, so wunderschön wie heute". Keine nationaler Gesang, sondern Frohgesang, gesungene Freude.

Enzenberger: "Der Jubel war mir unheimlich. Der war mir unheimlich. Aber insofern hätte es das Unheimliche noch gesteigert, wenn das Deutschlandlied gesungen worden wäre. Das wäre schon ein Zeichen gewesen, dass die Sache irgendwie was trauriges ist. Es war ja auch ein Geschenk, das ihnen in den Schoß fiel. Wunderbar!"

Wenige Tage später ein völlig anderes Stimmungsbild. Berlin West. Rathaus Schöneberg.

"Zum Abschluss unserer Kundgebung wollen wir gemeinsam das Lied anstimmen 'Einigkeit und Recht und Freiheit'."

Kapitel 6

Berlin Ost. 13. September 1990.
Nalepastraße. Rundfunk der DDR.

Püschel: "Und die Aufnahme mit dem Sinfonie-Orchester habe ich in der Nalepastraße im Großen Studio vom DDR-Rundfunk aufgenommen, mit dem Chor und mit dem Sinfonie-Orchester des DDR-Rundfunks. Rundfunkchor - sehr großer und sehr guter Chor, das Orchester auch sehr schön. Und ja ... "

Gesang zur Haydn-Melodie: "Auferstanden aus Ruinen / Und der Zukunft zugewandt, / Lass uns dir zum Guten dienen, / Deutschland einig Vaterland."
Gesang zur Eisler-Melodie: "Einigkeit und Recht und Freiheit / Für das deutsche Vaterland! / Danach lasst uns alle streben / Brüderlich mit Herz und Hand!"

1988 holte sich der Westberliner Dietmar Püschel bei Honecker eine Abfuhr mit seinem Ost-West-Hymnen-Mix. Nach der Wende versucht er es erneut.

Püschel: "Und wenn die DDR dem zugestimmt hätte, dann hätte ich sicher nicht gedacht, dass westdeutsche Politiker dann Nein gesagt hätten. Daran habe ich überhaupt nicht gedacht, nie gezweifelt. Ich dachte, die würden sagen: Ja, wunderbar."

Mit einer neuen Aufnahme in der Tasche, schreibt er 1990 an einflussreiche Politiker in Ost- und Westdeutschland, an Landes- und Bundespolitiker.

Püschel: "Ich wollte mir einfach ein Mandat holen, wollte einfach eine Stellungnahme von den Politikern dafür haben."

Püschel, ein Jahr nach Kriegsende geboren, hat die dritte Strophe des Deutschlandliedes mit der ersten Strophe der DDR-Hymne kombiniert. Doch Püschel hat den richtigen Zeitpunkt verpasst.

Püschel: "Der war verpasst. Ich habe das gemerkt. Nach dem 3. Oktober sank das Interesse für politische Musik, für Auseinandersetzungen mit dem Thema überhaupt, absolut, das ging also runter."

Der Plattenvertrieb reagiert nicht, die Rundfunkanstalten spielen den deutsch-deutschen Hymnen-Mix nicht, machen ihn nicht populär.

Püschel: "Ich fand, dass der Text der DDR-Nationalhymne eigentlich wirklich eine Ergänzung ist, diese Kombination, und die ganze Tragik und die Situation Deutschlands der Spaltung wunderbar wiederspiegelt – es ist so wie das Deutschland, wie ich das miterlebt habe und aufgewachsen bin."

Zum Jahreswechsel 1990/91 kommen aus Bonn widersprüchliche Auskünfte.

Am 21. Dezember 1990 teilt Ministerialdirektor Härdtl mit, dass "bei den Verhandlungen über den Einigungsvertrag ( ... ) auch über die Frage der deutschen Nationalhymne gesprochen worden (ist). Man war sich darüber einig, dass die dritte Strophe des Deutschlandliedes die deutsche Nationalhymne bleibt."

Püschel: "Dieses Auferstanden aus Ruinen, was ja der deutschen Geschichte entspricht, ist ja ein Mutmacher mit diesem Auferstanden aus Ruinen. Und Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand – das ist unbestritten."

Am 22. Januar 1991 schreibt das Bundeskanzleramt mit Blick auf das "Deutschlandlied": "Würde man nun diesen Text abändern, so wäre es nicht mehr das "Lied der Deutschen", wie es seit der Proklamation vom 11. August 1922 durch den damaligen Reichspräsidenten Friedrich Ebert deutsche Nationalhymne war. ( ... ) Die Bundesregierung sieht ... derzeit davon ab, die Initiative zu einer solchen Änderung oder Neufassung zu ergreifen, weil dies einem gesamtdeutschen Parlament vorbehalten bleiben sollte."

Kapitel 7

Bonn. 19. August 1991
Die Neuregelung.

Die Entscheidung bleibt nicht dem gesamtdeutschen Parlament vorbehalten. Die öffentliche Diskussion wird "durch einen im Bundesgesetzblatt veröffentlichten Briefwechsel ... beendet".

Das Ritual Heuss – Adenauer wiederholt sich. Knapp 40 Jahre später.

Am 19. August 1991 schreibt Bundespräsident von Weizsäcker an Bundeskanzler Kohl einen Brief. Darin teilt er Kohl mit: "Die dritte Strophe des Hoffmann-Haydn'schen Liedes hat sich als Symbol bewährt. ( ... ) Die dritte Strophe des Liedes der Deutschen von Hoffmann von Fallersleben mit der Melodie von Joseph Haydn ist die Nationalhymne für das deutsche Volk.""

Vier Tage später, am 23. August 1991, bestätigt Bundeskanzler Kohl in seinem Brief an den Bundespräsidenten: "Der Wille der Deutschen zur Einheit in freier Selbstbestimmung ist die zentrale Aussage der dritte Strophe des Deutschlandliedes. Deshalb stimme ich Ihnen namens der Bundesregierung zu, dass sie Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland ist.""

Bis zum 23. August 1991 galten alle drei Strophen des Deutschlandliedes als Hymne der BRD. Zu singen sei lediglich die dritte Strophe.
Nun gilt nur noch eine Strophe als Hymne der Bundesrepublik Deutschland.

Eine Änderung brauchte in der Vergangenheit kein Gesetz, auch keine Grundgesetzänderung. Ein rechtlich unverbindlicher Briefwechsel zwischen Bundespräsident und Bundeskanzler reichte aus, um zu entscheiden. Ein einfacher Briefwechsel, so Heribert Prantl in der "Süddeutschen Zeitung" (21.04.2009), könnte also auch die dritte Strophe des "Lieds der Deutschen" mit der ersten Strophe der DDR-Hymne zur neuen Hymne der Bundesrepublik erklären.

"Auferstanden und Einigkeit". Die Melodien sind schon lange kompatibel.

Deutschland gegen Polen. Ein neuer Umgang mit der Hymne deutet sich bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 an. Vor allem Jugendliche gehen erstaunlich ungezwungen mit nationalen Symbolen um. Die Fußball-WM wird zu einer riesigen Fete. Verschiedene Politiker deuten dies sogar als "neuen Patriotismus". 58 Prozent der Bürger sind "vom nationale(n) Überschwang ... überrascht".

Nachspiel

Appel: "Na ja, ich möchte sagen: Ich habe die Hymne in Hitlerjugend-Uniform gesungen mit den Händen an der Hosennaht, ich habe sie gesungen nach dem Ende des Krieges mit Tränen, und ich singe sie jetzt auch gern, weil ich die Melodie und den Text sehr schön finde - ohne Emotionen."

Reinhard Appel, ehemaliger ZDF-Chefredakteur.

Süßmuth: "Also ich weiß, heute würde ich auch sagen: Ja, wir haben den Neuanfang verpasst, aber dieses Lied, mit dem kann ich mich auch identifizieren."

Rita Süßmuth, ehemalige Bundestagspräsidentin.

Enzensberger: "Das dieses deutsche Nationalgefühl so in Frage gestellt wurde von den 68ern, also ich muss noch mal auf 68 kommen, ich bin ja ein 68er, das hat, glaube ich, überhaupt diese Öffnung, dass Deutschland tatsächlich dann wieder vereinigt werden konnte, wenn auch in bescheidenem Maße ermöglicht."
Ulrich Enzensberger, Autor, Publizist.

Püschel: "Also sagen wir mal unter uns: Den Verlust, den mir die Nationalhymne gebracht hat, den haben der Messias und die Weihnachtsongs wieder ausgeglichen. Insofern ist das gut gegangen."

Dietmar Püschel, Hymnen-Mix-Initiator.