Deutsch-polnische Grenzregion

"Warschau ist weit weg"

Das Ortsausgangsschild von Frankfurt (Oder) (Brandenburg) am Grenzübergang Stadtbrücke zur polnischen Nachbarstadt Slubice
Trotz der Grenze: Die Region wächst zusammen. © picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Von Vanja Budde · 17.06.2016
Entlang der Grenze in Brandenburg wachsen Deutschland und Polen immer stärker zusammen. Doch seitdem in Warschau die rechtspopulistische Partei "Recht und Gerechtigkeit" herrscht, machen sich die Menschen in der Region Sorgen um ihre gemeinsame Zukunft.
Nur 50 Meter vom Grenzfluss entfernt, spielen in Frankfurt/Oder deutsche und polnische Kinder einträchtig im Sand. Der kleine Konrad zählt stolz auf, welche Sprachen er kann.
"Polnisch und Deutsch"
34 Kinder kommen aus Frankfurt/Oder in die bilinguale "Eurokita", 20 aus der polnischen Nachbarstadt Slubice. Eine neue Grenz-Generation soll hier heranwachsen, für die deutsch-polnisches Zusammenleben von Anfang an eine Selbstverständlichkeit ist, wünscht sich Kita-Leiterin Marina Hendel:
"Also es ist nicht nur die Sprache, die die Kinder erlernen sollen, für uns ist eigentlich viel mehr der Gedanke, dass die Kinder die Kultur des anderen kennenlernen, dass bestimmte Vorurteile dem anderen gegenüber abgebaut werden. Und das ist uns in den 20 Jahren schon recht gut gelungen."
Viele polnische Eltern schickten ihre Kinder auch deshalb auf die deutsche Seite der Oder, weil in polnischen Kitas noch ein strenges Regiment herrsche, erzählt Hendel.
Davon zeugen auch adrette Schuluniformen mit blauem Pullunder, Stoffhosen mit Bügelfalte und Faltenröcken für die Mädchen. Die Uniformen einer aus Glogow angereisten polnischen Klasse waren für die deutschen Jugendlichen ungewohnt, als im vergangenen Herbst auf dem Schulhof des Potsdamer Einstein-Gymnasiums das sogenannte "PolenMobil" eingeweiht wurde.

Deutsche und Polen kommen sich näher

Der Kleinbus fährt seitdem auf Schul-Tour quer durch Deutschland, um den Schülern mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Fall des Eisernen Vorhangs das große Nachbarland im Osten näher zu bringen. Polen kommt nämlich bislang im deutschen Schulunterricht kaum vor. Obwohl es eine alte Kulturnation ist, die Geschichte der beiden Länder auf tragische Weise verbunden ist, Polen in Europa eine wichtige geostrategische Rolle spielt, die Wirtschaft sich dynamisch entwickelt und die Regierung der PiS-Partei fast täglich für Schlagzeilen sorgt.
"Ich glaube, es gibt historische Rückstände, die mit der Zeit nachgeholt werden. Und ich glaube, das Beispiel dafür, wie sie nachgeholt werden, ist unter anderem Brandenburg, wo in vielen Schulen Polnisch-Unterricht angeboten wird, wo Unterricht auch in zwei Sprachen stattfindet."
Polens Botschafter Jerzy Margański sieht Brandenburg als Vorreiter des Sich-Näher-Kommens, weil das Bundesland mit 280 Kilometern die längste Grenze zu Polen hat. Die an der Landesregierung beteiligte Partei Die Linke blickt darum mit Unbehagen auf das Wirken der neuen nationalkonservativen Regierung in Warschau. Doch vor allem sorgt die nationalistische PiS-Regierung in den Städten und Dörfern entlang der Grenze für Sorgenfalten. Fred Mahro, der Bürgermeister von Guben zum Beispiel, sieht die Erfolge der deutsch-polnischen Polizeiarbeit in Gefahr: Gemeinsam hatten die Gesetzeshüter es geschafft, die grassierende Kriminalität in der Grenzregion einzudämmen.
"Wichtig für uns ist natürlich auch in dem Zusammenhang, dass es nicht zum Personal-Harakiri kommt, das darf nicht passieren. Die Verbesserung der Situation, die wir jetzt zweifelsfrei zu verzeichnen haben, ist auch auf eine verbesserte Kommunikation zwischen der deutschen und der polnischen Seite, zum Beispiel auf der Ebene der Sicherheitsbehörden, also Land, Bund, Zoll, zu verspüren. Und da wäre es natürlich schlimm, wenn diese gute Kommunikation, die sich hier entwickelt hat und entwickeln musste, um einfach den Verbrechern hier auch eine entsprechende Struktur dagegen zu stellen, durch Veränderungen wieder leiden würde."

Missliebige Spitzenbeamte werden ausgetauscht

Dass Mahros Sorgen nicht unbegründet sind, zeigt die Ablösung der Polizeichefs in den grenznahen Städten Gorzów und Zielona Góra Ende 2015.

Sie geschah Recherchen des RBB in Frankfurt/Oder zu Folge offenbar aus politischen Gründen. Auf der deutschen aber auch der polnischen Seite der Grenze fürchten viele, dass die Partei des Nationalkonservativen Jaroslaw Kaczynski nicht nur das Verfassungsgericht entmachten und kritische Medien mundtot machen, sondern das ganze Land auf Linie bringen will – auch per Austausch von missliebigen Spitzenbeamten.

In Guben haben polnische Investoren eine Firma gekauft, die dutzenden Deutschen Arbeit gibt. In der Fußballmannschaft schießen auch polnische Spieler die Tore und es wurden schon etwa 250 Ehen zwischen deutschen und polnischen Partnern geschlossen.
Warschau ist weit, die Verbindungen im täglichen Leben sind eng, die Wege kurz: Vom Büro des Bürgermeisters im Rathaus sind es zu Fuß nur zehn Minuten zu seinem parteilosen Kollegen Bartlomiej Bartzak, der seit zehn Jahren Gubens Schwesterstadt Gubin regiert.
Bartzak warnt vor Sanktionen der EU gegen die Regierung in Warschau – und auch vor Einmischungen von deutscher Seite.
"Für gute Atmosphäre und gute Zusammenarbeit braucht man zwei Seiten. Wenn eine Seite die andere angreift, muss man sich nicht wundern, dass plötzlich die zweite Seite sich verteidigt. Es ist schlimm, wenn die guten Beziehungen zwischen Deutschland und Polen darunter leiden. Ich würde sagen: Mehr Verantwortung in dem, was man sagt, weil es viele Bürgermeister gibt, es gibt auch viele einzelne Personen, private Personen, die sich wirklich für die deutsch-polnische Zusammenarbeit eingesetzt haben und plötzlich versuchen manche, das kaputtzumachen. Das ist schlimm."
In seinem Streben nach möglichst enger Zusammenarbeit mit der deutschen Nachbarstadt spüre er auch keinerlei Druck aus Warschau, betont Bartzak.
"Überhaupt nicht. Es gibt auch viele, die es umgekehrt möchten. Der Wirtschaftsminister zum Beispiel. Man muss es unterscheiden. Es gibt politische Interessen einzelner Personen, vielleicht einzelner Parteien, aber es gibt auch noch das normale Zusammenleben"
Die Aufgabe, dieses Zusammenleben zu fördern, hat sich Brandenburg sogar in die Landesverfassung geschrieben. Anfang Juni erinnerte der Landtag in Potsdam an das 25. Jubiläum des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke ist der Koordinator für die deutsch-polnischen Beziehungen. Er riet angesichts der Konflikte der Warschauer Regierung mit der EU zur Zurückhaltung:
"Was die Beziehungen betrifft, ist es natürlich nicht so, dass wir als Deutsche gut beraten wären, wenn wir mit erhobenem Zeigefinger und der Weisheit der Welt in der Tasche nach Polen fahren und sagen, unser Erfahrungen sind die und die, bitte macht es doch genauso wie wir."
Von einem Antrittsbesuch in Polen nach dem Regierungswechsel kehrte Woidke erleichtert zurück: Auch die neue Regierung in Warschau habe ihm entgegen erster Befürchtungen versichert, die Zusammenarbeit an der Grenze weiter vorantreiben zu wollen, berichtete Woidke.

Auf lokaler Ebene klappt die Zusammenarbeit gut

Auf lokaler Ebene sind die Beziehungen wohl auch schon zu intensiv, um sie aus dem fast 500 Kilometer entfernten Warschau negativ zu beeinflussen. Das hofft zumindest Peter Jeschke. Er ist seit langem CDU-Bürgermeister von Schenkendöbern. Die Gemeinde liegt nur fünf Minuten Autofahrt nordöstlich von Guben und Gubin. Schenkendöbern und seine polnische Partnergemeinde Trzebiechow arbeiten seit vielen Jahren eng zusammen - nicht nur beim Löschen von Bränden.
"Wir haben gemerkt, dass doch nicht mehr so ein Augenmerk dort, wo wir jetzt in Polen zum Erntefest gewesen sind, sonst wurden wir als Partner, deutsche Partner immer so wie mit dem Silbertablett drüben … aber das hat man doch gemerkt, dass man uns so ein bisschen die kalte Schulter, die Offiziellen die kalte Schulter gezeigt haben. Aber dann waren wir 14 Tage später mit der Feuerwehr wieder drüben, da waren wir wieder unter uns, dann waren die Gemeinde Trzebiechow und die Gemeinde Schenkendöbern zusammen und da war es wieder so wie immer."
Und das wird – wenn es nach Bürgermeister Jeschke geht – auch so bleiben, an der Grenze zwischen Brandenburg und Polen.
"Warschau ist weit weg und wir haben schon so viele Regierungen erlebt. Wir haben nächstes Jahr 20-jähriges Bestehen unserer Partnerschaft Trzebiechow-Schenkendöbern. Wir haben erlebt, wo die beiden Kaczyński-Brüder vorne an der Spitze waren. Da war es problematisch, das haben wir gespürt, ja, haben wir aber auch überstanden. Wir überstehen jetzt auch die PiS-Partei, die überstehen wir auch."