Deutsch ist nun mal der Schlüssel

Von Klaus Bölling |
Der Mann von der Saar soll recht betagt sein. Er hat unsere Kanzlerin richtig verärgert. Er wollte auch gar nicht galant sein. Vielleicht ein Wichtigtuer, vielleicht ein Patriot der alten Schule, kann doch sein. Er hat eine saubere Mehrheit der Delegierten auf dem Stuttgarter Parteitag der CDU für seine Idee erwärmen können, den Grundgesetzartikel 22 zu erweitern. Der besagt, dass die Flagge unserer Republik schwarz-rot-gold ist. Das findet unser Mann etwas karg. Oder auch ärmlich. Er möchte den Satz in die Verfassung aufgenommen sehen: "Die Sprache in der Bundesrepublik ist Deutsch".
Potz Blitz, darauf wären wir ohne den älteren Herrn gar nicht gekommen. Haben wir da womöglich einen Mann erwischt, der total geschichtsvergessen, davon träumt, dass die Welt am deutschen Wesen genesen sollte? Angela Merkel, der Instinktfrau, schwant Böses. Man kann sie verstehen. Das wäre ein lächerliches Wahlkampfthema.

Fürwahr, wir haben andere Sorgen. Darüber zu reden, ohne sich gleich zu echauffieren, ist deshalb nicht sträflich. Norbert Lammert, der Bundestagspräsident' bestimmt kein Deutschtümler, verweist darauf, dass etliche unserer Nachbarn nichts dabei finden, ihre Sprache auch in der Verfassung zu benennen. Nun sind wir aber nicht die anderen und jeder weiß warum. Das zeigt sich, ein Beispiel von Gewicht, an jedem neuen Tag, wenn unsere Politiker konsequent irreführend zur "Bevölkerung" reden, statt sich an das Volk zu wenden. Die Deutschen, alle zusammen, sind doch mehr als eine statistische Größe.

Vorbildlich sind wir darin, auf die Empfindlichkeiten jener Rücksicht zu nehmen, die gar nicht zum Volk gehören möchten. Für eine Änderung des Grundgesetzes braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Und die ist nicht in Sicht, wirklich kein Unglück. Merkels Partei wird die Sache nicht einfach vergessen können, was sie am liebsten täte.

Die Kritiker der Idee, aus allen Parteien übrigens, fürchten, nicht grundlos, dass uns eine neue Diskussion über die sogenannte deutsche Leitkultur beschert wird. Die letzte war schon unerfreulich genug. Man möchte nur anmerken: Was selbstverständlich sein sollte, ist keineswegs immer selbstverständlich.

Der Unionsabgeordnete Wolfgang Bosbach, ein Mann von Besonnenheit, hat eine sehr schlichte Wahrheit ausgesprochen: "Sprache ist der Schlüssel für Integration in Deutschland schlechthin". Das Wort "schlechthin" trifft genau. Schon hören wir das uns mittlerweile vertraute Wehgeschrei eines prominenten Muslim-Funktionärs: "Ausgrenzung, Ausgrenzung". Also können es doch nur tumbe Nationalisten sein, die den Artikel 22 aufladen und dem ohnehin anämischen Multikulti-Ideal den Todesstoß versetzen wollen.

Mit was auffüllen? Am besten mit dem tausend Mal und stets tendenziös zitierten Vers des Dichters Emanuel Geibel. Der hat in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Gedichtlein niedergeschrieben, von dem nur noch der erschröckliche letzte Satz bekannt ist. In einem "Politischen Feuilleton" darf man es rasch in Erinnerung rufen:

Macht und Freiheit, Recht und Sitte,
Klarer Geist und scharfer Hieb
Zügeln dann aus starker Mitte
Jeder Selbstsucht wilden Trieb,
Und es mag am deutschen Wesen
Einmal noch die Welt genesen.


Also, keine deutsche Selbstsucht. Die Verse, 1860 geschmiedet, reflektieren die Gemütslage der Deutschen nach der gescheiterten Märzrevolution. Was ist Schlimmes daran?

Natürlich muss der Artikel 22 Grundgesetz nicht ergänzt werden, schon gar nicht zwingend. Eine Manifestation von Ausländerfeindlichkeit wäre es dennoch nicht. Niemand will "par ordre du mufti" erzwingen, dass sich Migranten, eingebürgert oder nicht, in literaturfähigem Deutsch ausdrücken. Mehr als dreihundert Wörter Deutsch wären allerdings ganz schön.

Unser Staat, ein liberaler Staat, im Unterschied zur Türkei, bietet viele Möglichkeiten, die, zugegeben, schwere deutsche Sprache zu lernen. Das ist der beste, nein, es ist der einzige Weg in ein besseres Leben. Sonst werden die Ghettos zementiert. Gerade die jungen und oft über viele Jahre arbeitslosen Muslime müssen darüber nachdenken, ob sie aus der Isolierung heraus oder in ihr verharren wollen. Sonst bleiben sie nämlich Fremde in einem Land, das sie doch aus eigenem Entschluss als neue Heimat gewählt haben.


Klaus Bölling, geboren 1928 in Potsdam, arbeitete für Presse und Fernsehen, war unter anderem NDR-Chefredakteur, Moderator des "Weltspiegel", USA-Korrespondent und Intendant von Radio Bremen. 1974 wurde er unter Helmut Schmidt zum Chef des Bundespresseamts berufen, 1981 übernahm er die Leitung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen "Die letzten 30 Tage des Kanzlers Helmut Schmidt", "Die fernen Nachbarn - Erfahrungen in der DDR" und "Bonn von außen betrachtet".