"Deutsch ist die Sprache des Zionismus"
Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki hat am Donnerstagabend in Frankfurt die Ehrendoktorwürde der Universität Tel Aviv für sein Lebenswerk erhalten. Bei seiner Dankesrede kritisierte Reich-Ranicki Versuche, in Israel die deutsche Sprache aus dem öffentlichen kulturellen Leben zu verbannen. Aus deutschem Geist und deutscher Literatur sei der Zionismus hervorgegangen, sagte Reich-Ranicki.
Nach der Begründung der Universität Tel Aviv bekam Marcel Reich-Ranicki die Ehrendoktorwürde heute für Lebensweg und Lebenswerk. Wie die Universität, so würdigte auch der Laudator Joschka Fischer Reich-Ranickis unbeugsamen Lebenswillen im Warschauer Ghetto. Sein Lebenswerk sei untrennbar mit den tiefsten Abgründen der deutschen Geschichte verbunden.
"Menschen wie Sie haben dazu beigetragen, nach der finstersten Nacht unserem Land wieder eine Zukunft zu geben. Dafür werden Sie zu Recht geehrt und gewürdigt. Dieses Land und auch die Stadt Frankfurt verdanken Ihnen sehr, sehr viel."
Fischer betonte, die Sprache sei für Reich-Ranicki immer das Deutsche gewesen, die Literatur, die Kultur immer die deutsche. In Anlehnung an Ernst Cramers Rede im Bundestag sagte er:
"Dieser absolute Tiefpunkt Deutschlands war für die deutschen Juden ein doppelter gewesen: Nämlich als Deutsche und Juden. Dass viele Überlebende und ihre Nachkommen die deutsche Sprache nicht mehr hören konnten und wollten, ist nur zu verständlich. Denn es war die Sprache der Mörder. Und doch war es auch die Sprache sehr vieler Opfer."
Mit dem Verhältnis von Juden und der deutschen Sprache und Literatur setzte sich auch Reich-Ranicki in seiner Dankesrede auseinander. Mehr als die Ehrendoktorwürde - seine achte - habe ihn überrascht, dass gleichzeitig eine Stiftungsprofessur in Tel Aviv eingerichtet wird, die seinen Namen trägt. Und die der deutschen Literatur gewidmet sein soll.
Sein Vorschlag dafür, womit sich dieser Lehrstuhl beschäftigen sollte, ist zum einen die Rolle der deutschen Sprache für Juden. Abermals kritisierte er Versuche, in Israel die deutsche Sprache aus dem öffentlichen kulturellen Leben zu verbannen:
"Und ich antworte jetzt denen, die das Deutsche nach dem zweiten Weltkrieg nicht mehr hören konnten und die nicht mal die Neunte in deutscher Sprache singen lassen wollten, ich antworte Ihnen: Deutsch ist die Sprache des Zionismus. Das klingt merkwürdig. Aber so ist es. Der Gründer und Prophet des Staates Israel, Theodor Herzl, war ein deutscher Schriftsteller, ein deutscher Journalist, deutsch war seine Muttersprache. Und die anderer Zionistenführer war deutsch. Sehr merkwürdig. Und aus deutschem Geist, deutscher Literatur, ist der Zionismus hervorgegangen."
Vor allem aber wünschte er sich, der Lehrstuhl solle sich mit der Rolle von Juden in der deutschen Literatur auseinandersetzen. Vor allem mit einer Facette:
"Deutsche Literatur ist ohne Heine und ohne Kafka - vor allem die moderne Literatur ohne Kafka - nicht vorstellbar. Es sollte zur Aufgabe dieses Lehrstuhls werden, einmal genau zu prüfen, womit sich eigentlich die Juden in der deutschen Literatur beschäftigen. Und ich will es gleich sagen, wie meine Antwort lautet: Sie beschäftigen sich mit ihrer eigenen Situation in Deutschland."
Mit dem Leiden als Juden an der Rolle und der Position der Juden innerhalb der nicht-jüdischen Gesellschaft. Heine, Schnitzler, Kafka, bei allen dreien - und bei anderen - spiele das eine wesentliche Rolle.
"Wovon erzählt eigentlich Franz Kafka? Wovon erzählt er in dem Roman 'Prozess': Von einem Menschen, der frühmorgens aufwacht und sieht, dass er schuldig ist, angeklagt ist, verhaftet wird. Man weiß nicht warum und weswegen. Wovon erzählt Kafka? Und im anderen großen Roman, im 'Schloss#, die Geschichte von jenem, der sich nach dem Schlosse sehnt, und nie vorgelassen wird, nie, sich immer auf den Weg macht und nicht ankommt beim Schloß. Was bedeutet das Schloss? Eine Heimat, ein Vaterland, alles das kann es bedeuten."
Auf ganz anderer Ebene findet Reich-Ranicki diese Rolle auch bei Heinrich Heine wieder:
"Und die These scheint mir schon richtig, dass Heinrich Heines erotische Lyrik von nichts anderem erzählt, als immer wieder vom Unglück des emanzipierten, aber noch nicht in Wirklichkeit anerkannten Juden in der Gesellschaft. Die Liebe, die dargestelltwird, ist die Liebe des Abgewiesenen, Benachteiligten, des Unglücklichen, der unten steht und die Frau, die er liebt oben tanzen sieht. Er wird nicht eingeladen zum Fest, er wird ignoriert."
Und wie für Heine, so gelte es auch für Kafka und für andere große Schriftsteller: Ihren Erfolg verdankten sie gerade dieser Perspektive des Ausgeschlossenen - weit über die Rolle des Juden hinaus:
"Er erzählte von den Leiden der Juden in der nicht-jüdischen Gesellschaft. Aber: Alle Unglücklichen, alle Benachteiligten, alle Diskriminierten in Deutschland und außerhalb Deutschlands haben sich in diesen Gedichten wiedererkannt. Das ist ein großes Thema und ein großer Gegenstand für diesen Lehrstuhl, der geplant ist."
Und auch der abschließende Dank Reich-Ranickis galt neben der Ehrendoktorwürde vor allem der Einrichtung des Lehrstuhls:
"Ich bin tief beglückt, dass ich diesen Ehrendoktor erhalte und ich bin beglückt, dass ein Lehrstuhl geschaffen wird, der sich mit deutscher Literatur in Israel beschäftigen wird, gründlich beschäftigen wird. Das ist gut für Israel. Und das ist gut für Deutschland."
"Menschen wie Sie haben dazu beigetragen, nach der finstersten Nacht unserem Land wieder eine Zukunft zu geben. Dafür werden Sie zu Recht geehrt und gewürdigt. Dieses Land und auch die Stadt Frankfurt verdanken Ihnen sehr, sehr viel."
Fischer betonte, die Sprache sei für Reich-Ranicki immer das Deutsche gewesen, die Literatur, die Kultur immer die deutsche. In Anlehnung an Ernst Cramers Rede im Bundestag sagte er:
"Dieser absolute Tiefpunkt Deutschlands war für die deutschen Juden ein doppelter gewesen: Nämlich als Deutsche und Juden. Dass viele Überlebende und ihre Nachkommen die deutsche Sprache nicht mehr hören konnten und wollten, ist nur zu verständlich. Denn es war die Sprache der Mörder. Und doch war es auch die Sprache sehr vieler Opfer."
Mit dem Verhältnis von Juden und der deutschen Sprache und Literatur setzte sich auch Reich-Ranicki in seiner Dankesrede auseinander. Mehr als die Ehrendoktorwürde - seine achte - habe ihn überrascht, dass gleichzeitig eine Stiftungsprofessur in Tel Aviv eingerichtet wird, die seinen Namen trägt. Und die der deutschen Literatur gewidmet sein soll.
Sein Vorschlag dafür, womit sich dieser Lehrstuhl beschäftigen sollte, ist zum einen die Rolle der deutschen Sprache für Juden. Abermals kritisierte er Versuche, in Israel die deutsche Sprache aus dem öffentlichen kulturellen Leben zu verbannen:
"Und ich antworte jetzt denen, die das Deutsche nach dem zweiten Weltkrieg nicht mehr hören konnten und die nicht mal die Neunte in deutscher Sprache singen lassen wollten, ich antworte Ihnen: Deutsch ist die Sprache des Zionismus. Das klingt merkwürdig. Aber so ist es. Der Gründer und Prophet des Staates Israel, Theodor Herzl, war ein deutscher Schriftsteller, ein deutscher Journalist, deutsch war seine Muttersprache. Und die anderer Zionistenführer war deutsch. Sehr merkwürdig. Und aus deutschem Geist, deutscher Literatur, ist der Zionismus hervorgegangen."
Vor allem aber wünschte er sich, der Lehrstuhl solle sich mit der Rolle von Juden in der deutschen Literatur auseinandersetzen. Vor allem mit einer Facette:
"Deutsche Literatur ist ohne Heine und ohne Kafka - vor allem die moderne Literatur ohne Kafka - nicht vorstellbar. Es sollte zur Aufgabe dieses Lehrstuhls werden, einmal genau zu prüfen, womit sich eigentlich die Juden in der deutschen Literatur beschäftigen. Und ich will es gleich sagen, wie meine Antwort lautet: Sie beschäftigen sich mit ihrer eigenen Situation in Deutschland."
Mit dem Leiden als Juden an der Rolle und der Position der Juden innerhalb der nicht-jüdischen Gesellschaft. Heine, Schnitzler, Kafka, bei allen dreien - und bei anderen - spiele das eine wesentliche Rolle.
"Wovon erzählt eigentlich Franz Kafka? Wovon erzählt er in dem Roman 'Prozess': Von einem Menschen, der frühmorgens aufwacht und sieht, dass er schuldig ist, angeklagt ist, verhaftet wird. Man weiß nicht warum und weswegen. Wovon erzählt Kafka? Und im anderen großen Roman, im 'Schloss#, die Geschichte von jenem, der sich nach dem Schlosse sehnt, und nie vorgelassen wird, nie, sich immer auf den Weg macht und nicht ankommt beim Schloß. Was bedeutet das Schloss? Eine Heimat, ein Vaterland, alles das kann es bedeuten."
Auf ganz anderer Ebene findet Reich-Ranicki diese Rolle auch bei Heinrich Heine wieder:
"Und die These scheint mir schon richtig, dass Heinrich Heines erotische Lyrik von nichts anderem erzählt, als immer wieder vom Unglück des emanzipierten, aber noch nicht in Wirklichkeit anerkannten Juden in der Gesellschaft. Die Liebe, die dargestelltwird, ist die Liebe des Abgewiesenen, Benachteiligten, des Unglücklichen, der unten steht und die Frau, die er liebt oben tanzen sieht. Er wird nicht eingeladen zum Fest, er wird ignoriert."
Und wie für Heine, so gelte es auch für Kafka und für andere große Schriftsteller: Ihren Erfolg verdankten sie gerade dieser Perspektive des Ausgeschlossenen - weit über die Rolle des Juden hinaus:
"Er erzählte von den Leiden der Juden in der nicht-jüdischen Gesellschaft. Aber: Alle Unglücklichen, alle Benachteiligten, alle Diskriminierten in Deutschland und außerhalb Deutschlands haben sich in diesen Gedichten wiedererkannt. Das ist ein großes Thema und ein großer Gegenstand für diesen Lehrstuhl, der geplant ist."
Und auch der abschließende Dank Reich-Ranickis galt neben der Ehrendoktorwürde vor allem der Einrichtung des Lehrstuhls:
"Ich bin tief beglückt, dass ich diesen Ehrendoktor erhalte und ich bin beglückt, dass ein Lehrstuhl geschaffen wird, der sich mit deutscher Literatur in Israel beschäftigen wird, gründlich beschäftigen wird. Das ist gut für Israel. Und das ist gut für Deutschland."