Deutsch-französische Freundschaft

Von Eberhard Straub · 24.09.2012
Es war der Versuch, eine alte Liebe wiederzubeleben. Am Wochenende wollten François Hollande und Angela Merkel die vor 50 Jahren besiegelte deutsch-französische Freundschaft erneuern. Die ist aber ziemlich eingeschlafen und gar nicht mehr feurig, meint der Publizist Eberhard Straub.
Vor 50 Jahren besuchte Charles de Gaulle die Bundesrepublik. Seine Reise geriet zu einem Triumphzug. Nie wieder bekannten sich die Deutschen so enthusiastisch zu Frankreich als ihrem wahren geistig-politischen Freund. An diese Begeisterung erinnert das Deutsch-Französische Jahr, das am Wochenende in Ludwigsburg bei Stuttgart eröffnet worden ist. Dort hatte Charles de Gaulle an die Jugend beider Länder appelliert, bei der großen Aufgabe mitzuwirken, die beiden Völker einander anzunähern und einander zu verpflichten. Der Jubel bestätigte wie ein einhelliges Versprechen den General und Präsidenten in seinen hochherzigen Erwartungen.

Damals erinnerten sich gerade wegen der beiden Kriege viele wieder an die Hoffnung, die beiden Nationen könnten einander endlich die Hände reichen und sich gegenseitig ihre Kräfte leihen.

Dazu hatte schon 1840 der junge Richard Wagner in Paris aufgefordert. "Möge diese schöne Vereinigung nie gelöst werden", weil ihre Verbrüderung Deutschen wie Franzosen dabei helfe, sich wechselseitig zu vervollkommnen. 1845 rief im gleichen Sinne Victor Hugo: "Frankreich und Deutschland sind im Wesentlichen ganz Europa. Deutschland ist das Herz, Frankreich der Kopf". Solche Wünsche hatten die Anhänger des "Jungen Europa", das der Italiener Giuseppe Mazzini 1834 gegründet hatte, vorgetragen. Und sie waren nie in Vergessenheit geraten.

Die deutsch-französische Verständigung ist deshalb keine geglückte Improvisation nach 1945. Sie hat eine lange Vorgeschichte. Es ist eine irrige Legende, dass Kriege Völker trennen. Nichts verbindet so sehr wie der Streit, denn man muss seinen Feind fast besser kennen als sich selbst. Zu keiner Zeit kannten sich Deutsche und Franzosen so gut wie zwischen 1870 und 1914. Sie pflegten einen unverkrampften, gründlichen Austausch trotz politischer Spannungen und Missverständnisse. Verbale Verständigungsschwierigkeiten ergaben sich nicht, weil die Franzosen jetzt Deutsch lernten und die Deutschen weiterhin wie eh und je Französisch.

Und auch nach 1939 zerbrachen die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich nicht. Sogar die kurzen Jahre der französischen Kollaboration und der deutschen Besatzung waren eine Zeit überraschender Begegnungen und irritierender Verwicklungen. Darüber wurde vorerst lieber geschwiegen, vernünftigerweise. Aber selbst diese gemeinsamen Verstrickungen ließen sich spätestens seit 1974 unbefangen erörtern, seit Dalida eine deutsch-französische Liebe während des Krieges im Liede poetisierte. Wie die Vorahnung eines künftigen europäischen Glücks.

Deutschen und Franzosen ging der Gesprächsstoff nie aus. Der Vertrag über ihre gemeinsame Zusammenarbeit vom 22. Januar 1963 schien zu besiegeln, was sich längst vorbereitet hatte: verständnisvolle Freundschaft. Doch diese wurde bald zu bürokratischer Routine, deren Mechanismen bald nicht über die Gleichgültigkeit hinwegzutäuschen vermochten, die allmählich im deutsch-französischen Zusammenleben aufkam.

Franzosen und Deutsche sind kein Problem füreinander. Aber mittlerweile langweilen sie sich miteinander, sie wissen wenig voneinander und sind gar nicht neugierig darauf, den anderen genauer kennen zu lernen. Beide nehmen sich nicht mehr als geistige Kräfte wahr, die einander ergänzen und Europa den Weg weisen. Europa verkümmert zur rein ökonomischen Gegebenheit, es schrumpfte zum Euro. Der Inhalt deutsch-französischer Gemeinsamkeit ist darüber verdunstet.

Deutsche und Franzosen gleichen heute einem Ehepaar, das aus Gewohnheit beisammen bleibt und froh ist, sich nichts mehr zu sagen zu haben, weil das vor Aufregung schützt. Daran wird das Deutsch-Französische Jahr nichts ändern, aus Angst vor Ideen, die feurig und tatkräftig, wie von de Gaulle vorgelebt, Leidenschaften erwecken und den alltäglichen Betrieb durcheinanderbringen könnten.

Eberhard Straub, Publizist und Buchautor, geboren 1940, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Der habilitierte Historiker war bis 1986 Feuilletonredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und bis 1997 Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin. Buchveröffentlichungen u. a. "Die Wittelsbacher", "Drei letzte Kaiser", sowie "Das zerbrechliche Glück. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit" und "Zur Tyrannei der Werte".

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