Deutliche Texte mit Komik und Wehmut

Von Andrea Gerk · 24.02.2012
Ein funkelnder Theaterabend mit Tschechows "Kirschgarten": Das gut aufeinander eingespielte Ensemble des Deutschen Theaters Berlin bewegt sich zwischen existenzieller Trostlosigkeit und einer slapstickhaften Komik. Die Übersetzung des Stücks ist eindeutiger, weniger sentimental als andere.
Gegen Ende seiner Tschechow-Übersetzung lässt Thomas Brasch den Studenten Trofinow formulieren, was zweifellos auch die Intention seiner eigenen Bearbeitung ist: "Man muss schon was Eignes dazutun, sonst versteht hier jeder alles falsch." Damit ist diese Fassung gut charakterisiert, ist sie doch sehr viel eindeutiger, weniger zart und sentimental als die Urban-Übersetzung.

Statt auf melancholisch-sehnsüchtige Zwischentöne setzt Brasch auf klare Worte: Gefällt einem etwas nicht, dann "kotzt es einen an" und ein "Greis" wird beim ihm zu "Halbtoten". Diskussionen um ökonomische Theorien und Klassenunterschiede, lassen seine Version zunächst etwas reduziert erscheinen, doch Stefan Kimmigs Inszenierung setzt dem so viel Stimmung entgegen, dass diese ‚Mischkalkulation’ sehr gut aufgeht: der große, helle Raum, den Katja Haß gebaut hat, verbreitet die scheinbar typisch russische Landhaus-Atmosphäre, die man von zwar von diversen Kirschgarten-Inszenierungen kennt, die aber immer wieder etwas Berückendes hat.

Durch die mit Lochmustern verzierten hohen Türen strömt stimmungsvolles Licht und verbreitet genau jene Weichheit und Nostalgie, die der Textfassung fehlt. Die Kostüme (Anja Rabes) setzen dazu einen Kontrapunkt, sind ganz zeitgenössisch, elegant, zum Teil ein wenig ‚verrutscht’, wenn etwa Anja, die Tochter, Turnschuhe zum schwarzen Kleid trägt oder der alte Diener eine trendige Trainingshose trägt. Perfekt balanciert Regisseur Stephan Kimmig im ersten Teil des Abends zwischen Komik und Tragik, etwa, wenn er die Figuren ihren Text wörtlich nehmen lässt: Kaum erwähnt Lopachin, dass er einmal Nasenbluten hatte, spritzt auch schon das Theaterblut aus seinem Gesicht.

Zwischen existenzieller Trostlosigkeit und einer slapstickhaften Komik bewegt sich das sehr gut aufeinander eingespielte Ensemble. Nina Hoss spielt die schöne, lässig-elegante Gutsbesitzerin als fahrig-nervöse Frau, deren unsichtbare Wunde (der ertrunkene Sohn) immer spürbar ist. Für sie ist der Kirschgarten Fundament ihres Lebens, wenn sie sagt "ohne den Kirschgarten könnte ich doch mein ganzes Leben nicht verstehen". Ihr gegenüber steht Felix Goesers (auch körperlich) mächtiger Lopachin – ein schnell abdrehender, auch mal brutal werdender, zugleich hochsensibler Mann, der eine heimliche Liebe zur Gutsbesitzerin spüren lässt und seinen eigenen Aufstieg selbst nicht wirklich verstehen kann.

Ein funkelnder Theaterabend, mit sehr differenzierten Figuren, die nur gegen Ende ein wenig an Kraft verlieren. Liest man das als Reaktion auf die anrückenden Baukolonnen und die nahende Zerstörung des Kirschgartens, ist selbst dieser Intensitäts-Verlust in sich stimmig.
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