Der Zeichner als Revolutionär
Dünne, ausgezehrte Körper in verrenkten Posen, grelle Aktporträts mit obszöner Attitüde, schwangere Frauen - mit seinen Darstellungen hat der österreichische Künstler Egon Schiele zu Beginn des 20. Jahrhunderts provoziert. Die Albertina Wien zeigt in der umfassendsten Schiele-Schau seit über 50 Jahren rund 220 Zeichnungen des Künstlers.
Seine Werke zählen zu den Gassenhauern der Kunstgeschichte: dünne, ausgezehrte Körper in verrenkten Posen, grelle Aktporträts mit obszöner Attitüde, melancholische Ansichten der Stadt Krumau. Egon Schiele wurde lange Zeit als genialischer Außenseiter rezipiert, als einer der großen Leidenden der Kunstgeschichte.
Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder will das überlieferte Schiele-Bild in der von ihm kuratierten Ausstellung ein wenig korrigieren. Für Schröder war der Wiener Modernist vor allem ein Virtuose bühnenreifer Selbstdarstellung.
Klaus Albrecht Schröder: "Das theatralische Wesen seiner Kunst ist eine Akzentverschiebung gegenüber der bisherigen Deutung. Hinter diesen alten Deutungen ist expressionistische Pathos des Strebens nach Authentizität gestanden, des unmittelbaren Abdrucks des eigenen Leidens, der eigenen Befindlichkeit, des eigenen Temperaments. Wenn Schiele tatsächlich die gespaltene Persönlichkeit gewesen wäre, als die er sich darstellte - vom heiligen Asketen bis zum Triebtäter - dann wäre er vermutlich dem diagnostischen Auge eines Sigmund Freud nicht entgangen.
Nein, Egon Schiele konstruiert, er inszeniert. Das Theater, das er vorführt, ist deshalb nicht oberflächlich. Der Künstler setzt auf geniale Weise das Lebensgefühl seiner Epoche in Szene: das Alleinsein, das Ausgeliefertsein, die existenzielle Ortlosigkeit. Letzten Endes kommt in diesen Blättern auch das pessimistische Weltbild Schieles zum Ausdruck: dass es keine Brücke zwischen den Menschen gibt, dass jeder auf sich gestellt und ausgesetzt ist - das ist es, was ihn uns heute so nah erscheinen lässt."
220 Schiele-Arbeiten sind in Wien zu sehen, Zeichnungen, Gouachen, Aquarelle. 130 Blätter stammen aus der Albertina selbst, 90 haben öffentliche und private Leihgeber beigesteuert. So viel Schiele war selten. Eine Ausstellung von ähnlicher Dimension war zuletzt vor 57 Jahren zu sehen, wie Klaus Albrecht Schröder nicht ohne Stolz betont.
Klaus Albrecht Schröder: "Eine geschlossene Schiele-Ausstellung, die diesen gewaltigen Korpus an "Gemälden auf Papier", wie ich es nenne, gezeigt hat, eine so umfassende Ausstellung hat es zuletzt 1948 für wenige Wochen in der Albertina gegeben. Es hat damals leider keinen Katalog gegeben, und durch die Nachkriegszeit bedingt ist die Schau auch kaum besucht worden."
Das soll diesmal anders sein. Die Schiele-Schau in der Albertina hat das Zeug zum absoluten Publikumsrenner, dessen ist sich auch Klaus Albrecht Schröder bewusst, dem Kritiker einen gewissen Hang zu populistischer Ausstellungs-Programmierung nachsagen.
Die Wiener Schiele-Schau bietet jedenfalls einen imponierenden Überblick über das Oeuvre des 1918 jung verstorbenen Künstlers. Neben einer Reihe radikaler Selbstporträts finden sich auch Bildnisse von Schieles Förderern und Mäzenen, laszive Frauenakte und einfühlsame Landschaftsbilder: Einer der Höhepunkte der Schau: die düsteren Aquarelle, die Egon Schiele im Gefängnis gefertigt hat. Er saß dort wegen der angeblichen Entführung eines minderjährigen Mädchens. Faktum ist: Schieles Bilder schockierten die Zeitgenossen des Künstlers vor allem ihrer unverstellten Erotik wegen.
Klaus Albrecht Schröder: "Die Epoche war insgesamt vom Thema Sexualität besessen. Die Sexualfeindlichkeit damals war ja mit Händen zu greifen, in den Erziehungsratgebern jener Zeit beispielsweise: Kinder sollten ihre Arme über der Bettdecke halten, damit sie sich nicht "unsittlich berühren", sie durften sich auch nicht selbst waschen, damit es nicht zu einer so genannten "Eigenerregung" kam.
Natürlich gehört Egon Schiele zu denjenigen, die erkannt haben, dass Sexualität eine gewaltige Kraft ist, eine Kraft, die nicht als Gegensatz zum Geistigen gesehen werden darf, sondern mit dem Geistigen zusammengesehen werden muss. Das ist sein eigentliches Thema."
Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder ortet ein verstärktes Interesse vor allem junger Leute für Schieles radikale Kunst.
Klaus Albrecht Schröder: "Ich glaube, dass dieses neue Interesse einer jüngeren Generation an Egon Schiele zutiefst damit zu tun, dass die Einsicht Schieles in die existenzielle Ortlosigkeit, in die Isolation, an dieses Ausgeliefertsein des Menschen an Kräfte, die er nicht kennt, die er nicht beherrschen kann, uns so nahe erscheint, weil wir selbst so oft dieses Lebensgefühl haben."
Schiele als prophetischer Künstler, als Antizipateur der Globalisierung? Auch so kann man die Bilder des österreichischen Meistermodernisten interpretieren.
Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder will das überlieferte Schiele-Bild in der von ihm kuratierten Ausstellung ein wenig korrigieren. Für Schröder war der Wiener Modernist vor allem ein Virtuose bühnenreifer Selbstdarstellung.
Klaus Albrecht Schröder: "Das theatralische Wesen seiner Kunst ist eine Akzentverschiebung gegenüber der bisherigen Deutung. Hinter diesen alten Deutungen ist expressionistische Pathos des Strebens nach Authentizität gestanden, des unmittelbaren Abdrucks des eigenen Leidens, der eigenen Befindlichkeit, des eigenen Temperaments. Wenn Schiele tatsächlich die gespaltene Persönlichkeit gewesen wäre, als die er sich darstellte - vom heiligen Asketen bis zum Triebtäter - dann wäre er vermutlich dem diagnostischen Auge eines Sigmund Freud nicht entgangen.
Nein, Egon Schiele konstruiert, er inszeniert. Das Theater, das er vorführt, ist deshalb nicht oberflächlich. Der Künstler setzt auf geniale Weise das Lebensgefühl seiner Epoche in Szene: das Alleinsein, das Ausgeliefertsein, die existenzielle Ortlosigkeit. Letzten Endes kommt in diesen Blättern auch das pessimistische Weltbild Schieles zum Ausdruck: dass es keine Brücke zwischen den Menschen gibt, dass jeder auf sich gestellt und ausgesetzt ist - das ist es, was ihn uns heute so nah erscheinen lässt."
220 Schiele-Arbeiten sind in Wien zu sehen, Zeichnungen, Gouachen, Aquarelle. 130 Blätter stammen aus der Albertina selbst, 90 haben öffentliche und private Leihgeber beigesteuert. So viel Schiele war selten. Eine Ausstellung von ähnlicher Dimension war zuletzt vor 57 Jahren zu sehen, wie Klaus Albrecht Schröder nicht ohne Stolz betont.
Klaus Albrecht Schröder: "Eine geschlossene Schiele-Ausstellung, die diesen gewaltigen Korpus an "Gemälden auf Papier", wie ich es nenne, gezeigt hat, eine so umfassende Ausstellung hat es zuletzt 1948 für wenige Wochen in der Albertina gegeben. Es hat damals leider keinen Katalog gegeben, und durch die Nachkriegszeit bedingt ist die Schau auch kaum besucht worden."
Das soll diesmal anders sein. Die Schiele-Schau in der Albertina hat das Zeug zum absoluten Publikumsrenner, dessen ist sich auch Klaus Albrecht Schröder bewusst, dem Kritiker einen gewissen Hang zu populistischer Ausstellungs-Programmierung nachsagen.
Die Wiener Schiele-Schau bietet jedenfalls einen imponierenden Überblick über das Oeuvre des 1918 jung verstorbenen Künstlers. Neben einer Reihe radikaler Selbstporträts finden sich auch Bildnisse von Schieles Förderern und Mäzenen, laszive Frauenakte und einfühlsame Landschaftsbilder: Einer der Höhepunkte der Schau: die düsteren Aquarelle, die Egon Schiele im Gefängnis gefertigt hat. Er saß dort wegen der angeblichen Entführung eines minderjährigen Mädchens. Faktum ist: Schieles Bilder schockierten die Zeitgenossen des Künstlers vor allem ihrer unverstellten Erotik wegen.
Klaus Albrecht Schröder: "Die Epoche war insgesamt vom Thema Sexualität besessen. Die Sexualfeindlichkeit damals war ja mit Händen zu greifen, in den Erziehungsratgebern jener Zeit beispielsweise: Kinder sollten ihre Arme über der Bettdecke halten, damit sie sich nicht "unsittlich berühren", sie durften sich auch nicht selbst waschen, damit es nicht zu einer so genannten "Eigenerregung" kam.
Natürlich gehört Egon Schiele zu denjenigen, die erkannt haben, dass Sexualität eine gewaltige Kraft ist, eine Kraft, die nicht als Gegensatz zum Geistigen gesehen werden darf, sondern mit dem Geistigen zusammengesehen werden muss. Das ist sein eigentliches Thema."
Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder ortet ein verstärktes Interesse vor allem junger Leute für Schieles radikale Kunst.
Klaus Albrecht Schröder: "Ich glaube, dass dieses neue Interesse einer jüngeren Generation an Egon Schiele zutiefst damit zu tun, dass die Einsicht Schieles in die existenzielle Ortlosigkeit, in die Isolation, an dieses Ausgeliefertsein des Menschen an Kräfte, die er nicht kennt, die er nicht beherrschen kann, uns so nahe erscheint, weil wir selbst so oft dieses Lebensgefühl haben."
Schiele als prophetischer Künstler, als Antizipateur der Globalisierung? Auch so kann man die Bilder des österreichischen Meistermodernisten interpretieren.