Der Zauber der Derwische
Der türkische Schriftsteller Nedim Gürsel ist zwischen 1997 und 2006 in die Städte historischer Derwische gereist. "Sieben Derwische. Anatolische Legenden" heißt sein schmaler Band mit literarischen Annäherungen an die Heiligen des 13. bis 15. Jahrhunderts. Darin verwebt er Reiseimpressionen mit Legenden und Gedichten.
In Istanbul drehen sich die Derwische noch: im Galata Mevlevihanesi, dem Haus der tanzenden Derwische im Stadtviertel Tünel. Die Tänze, durch die Derwische ebenso wie durch Musik, Gebete und Meditation zu mystischer Gotteserfahrung gelangen wollen, sind allerdings Kulturveranstaltungen. Denn die Derwisch-Bruderschaften sind in der Türkei verboten, seit sie 1925 einen bürgerkriegsähnlichen Aufstand gegen die zwei Jahre zuvor von Atatürk gegründete säkulare Republik anzettelten, um die religiös-politische Staatsordnung des Osmanischen Reiches wieder einzuführen.
Seit Jahrzehnten entdecken türkische Intellektuelle die durch die Modernisierung verdrängte religiöse und osmanische Geschichte wieder. Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk stieß während eines längeren Aufenthalts in den USA in den achtziger Jahren auf den Sufismus; Sufi wird heute synonym mit Derwisch benutzt. Sein Kollege Nedim Gürsel, der in Paris lebende Verfasser historischer Romane, ist zwischen 1997 und 2006 in die Städte historischer Derwische gereist. "Sieben Derwische. Anatolische Legenden" heißt sein schmaler Band mit literarischen Annäherungen an die Heiligen des 13. bis 15. Jahrhunderts, unter ihnen neben Hüsameddin Çelebi, Haci Bektaş Veli, Yunus Emre, Merkez Efendi sowie der auch hier zu Lande berühmte Celâleddin Rûmi.
Eine Einleitung des Kulturwissenschaftlers Gerhard Schweizer erleichtert dem nichtislamischen Leser das Verständnis. Schweizer stellt die drei wichtigsten Derwisch-Bruderschaften vor: die Mevleviye, die Bektaşiye und die Naksibendiye. Das Leben von Derwischen war weltlicher als das von Mönchen, und da ihnen alle Glaubensbekenntnisse als gleichwertig galten, trugen sie zum friedlichen Zusammenleben von Muslimen und Christen sowie von Sunniten und Aleviten bei. Die herrschenden Osmanen unterstützten die Derwisch-Konvente daher, weshalb sich einige zu "machtverliebten Feudalfürsten" entwickelten. Sie erschienen Atatürk, so Schweizer, als Gefahr für die Republik.
Knapp schreibt Nedim Gürsel über Celâleddin Rûmi und die Mevleviye, gar nicht über die Nakşibendiye, ausführlich über die Heiligen der Bektaşiye. Denn die Bektaşiye ist mit den Aleviten verbunden, zu denen er selbst gehört. Allerdings spielen die theologischen und sozialen Unterschiede zwischen den Bruderschaften in seinem Buch kaum eine Rolle.
Gürsel verwebt Reiseimpressionen aus Konya, Antalya, Hacibektaş oder Manisa mit den Legenden über Heilige und ihre Gedichte. Der Erzähler steht mal vor einem Denkmal, mal vor einem Gebirge, mal in einer Moschee und entsinnt sich einiger Wunder: Geyikli Baba wird drei Tage in einem riesigen Kessel gekocht und überlebt stark schwitzend, ein anderer Derwisch wandert Nacht für Nacht nach Mekka und zurück, manche lassen Wasser aus der Erde sprudeln, Haci Bektaş Veli läuft seinem eigenen Sarg hinterher. Gürsel betont die Volkstümlichkeit der Legenden und Gedichte, er will sie nicht als Kunst verstanden wissen.
Das Vorbild des schmalen Bandes sind offenbar die "Fünf Städte" des Schriftstellers Ahmet Hamdi Tanpinar: Gürsel will die Landschaften der Heiligen entdecken. Ein großer Stilist ist er nicht: Beim Anblick der Berge "rühren sich die Geburtswehen der Erdkugel in mir", heißt es einmal. Seine Annäherung an die Heiligen ist diesseitig, vornehmlich ästhetisch. Er zeigt sie reitend, schießend oder auch zur Friedfertigkeit mahnend und lässt sich leiten vom Reiz der alten Dichtkunst, die raffiniert ist oder derb, fragend oder selbstironisch: "Krummes und Schiefes rede ich, / grüne Pflaume jedes Wort; / wie ein Storch durchwandle ich / fremd die Weite, Stund um Stund."
Rezensiert von Jörg Plath
Nedim Gürsel, Sieben Derwische. Anatolische Legenden
Aus dem Türkischen von Monika Carbe.
Mit einem Vorwort von Gerhard Schweizer,
Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2008, 170 S., 17,80 Euro
Seit Jahrzehnten entdecken türkische Intellektuelle die durch die Modernisierung verdrängte religiöse und osmanische Geschichte wieder. Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk stieß während eines längeren Aufenthalts in den USA in den achtziger Jahren auf den Sufismus; Sufi wird heute synonym mit Derwisch benutzt. Sein Kollege Nedim Gürsel, der in Paris lebende Verfasser historischer Romane, ist zwischen 1997 und 2006 in die Städte historischer Derwische gereist. "Sieben Derwische. Anatolische Legenden" heißt sein schmaler Band mit literarischen Annäherungen an die Heiligen des 13. bis 15. Jahrhunderts, unter ihnen neben Hüsameddin Çelebi, Haci Bektaş Veli, Yunus Emre, Merkez Efendi sowie der auch hier zu Lande berühmte Celâleddin Rûmi.
Eine Einleitung des Kulturwissenschaftlers Gerhard Schweizer erleichtert dem nichtislamischen Leser das Verständnis. Schweizer stellt die drei wichtigsten Derwisch-Bruderschaften vor: die Mevleviye, die Bektaşiye und die Naksibendiye. Das Leben von Derwischen war weltlicher als das von Mönchen, und da ihnen alle Glaubensbekenntnisse als gleichwertig galten, trugen sie zum friedlichen Zusammenleben von Muslimen und Christen sowie von Sunniten und Aleviten bei. Die herrschenden Osmanen unterstützten die Derwisch-Konvente daher, weshalb sich einige zu "machtverliebten Feudalfürsten" entwickelten. Sie erschienen Atatürk, so Schweizer, als Gefahr für die Republik.
Knapp schreibt Nedim Gürsel über Celâleddin Rûmi und die Mevleviye, gar nicht über die Nakşibendiye, ausführlich über die Heiligen der Bektaşiye. Denn die Bektaşiye ist mit den Aleviten verbunden, zu denen er selbst gehört. Allerdings spielen die theologischen und sozialen Unterschiede zwischen den Bruderschaften in seinem Buch kaum eine Rolle.
Gürsel verwebt Reiseimpressionen aus Konya, Antalya, Hacibektaş oder Manisa mit den Legenden über Heilige und ihre Gedichte. Der Erzähler steht mal vor einem Denkmal, mal vor einem Gebirge, mal in einer Moschee und entsinnt sich einiger Wunder: Geyikli Baba wird drei Tage in einem riesigen Kessel gekocht und überlebt stark schwitzend, ein anderer Derwisch wandert Nacht für Nacht nach Mekka und zurück, manche lassen Wasser aus der Erde sprudeln, Haci Bektaş Veli läuft seinem eigenen Sarg hinterher. Gürsel betont die Volkstümlichkeit der Legenden und Gedichte, er will sie nicht als Kunst verstanden wissen.
Das Vorbild des schmalen Bandes sind offenbar die "Fünf Städte" des Schriftstellers Ahmet Hamdi Tanpinar: Gürsel will die Landschaften der Heiligen entdecken. Ein großer Stilist ist er nicht: Beim Anblick der Berge "rühren sich die Geburtswehen der Erdkugel in mir", heißt es einmal. Seine Annäherung an die Heiligen ist diesseitig, vornehmlich ästhetisch. Er zeigt sie reitend, schießend oder auch zur Friedfertigkeit mahnend und lässt sich leiten vom Reiz der alten Dichtkunst, die raffiniert ist oder derb, fragend oder selbstironisch: "Krummes und Schiefes rede ich, / grüne Pflaume jedes Wort; / wie ein Storch durchwandle ich / fremd die Weite, Stund um Stund."
Rezensiert von Jörg Plath
Nedim Gürsel, Sieben Derwische. Anatolische Legenden
Aus dem Türkischen von Monika Carbe.
Mit einem Vorwort von Gerhard Schweizer,
Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2008, 170 S., 17,80 Euro