Der Würfel hat gefallen

Von Susanne Lettenbauer · 10.02.2012
Plötzlich hat man es in München eilig: Drei Jahre lang wartete man vergebens auf ein plausibles Konzept für das geplante NS-Dokumentationszentrum. Jetzt zeigt sich: Die frühere "Hauptstadt der Bewegung" kann sich bewegen, wenn es um die Aufarbeitung der Nazizeit geht.
"Dass wir den Termin um einen Monat vorverlegen konnten, zeigt die Qualität, die in dem Konzept vorhanden ist, denn es hat alle Gremien überzeugt, sowohl das Kuratorium wie auch den wissenschaftlichen Beirat und auch den Kulturausschuss, dem wir es schon mal vorab vorgestellt haben."

Die Erleichterung stand Münchens Kulturreferent Hans Georg Küppers heute Mittag ins Gesicht geschrieben. Endlich liegt nach drei Jahren Kampf mit der geschassten Gründungsdirektorin ein Konzept für das Münchner NS-Dokumentationszentrum vor, ein Konzept, an das mancher nicht mehr so recht glauben wollte und das jetzt aufhorchen lässt. Mit dem Bau, der auf den Mauern der NSDAP-Zentrale errichtet wird, dem sogenannten Braunen Haus, sollen formal wie inhaltlich neue Wege beschritten werden. Bereits architektonisch steht der moderne fünfstöckige Würfel der Berliner Architekten Georg Scheel Wetzel im Kontrast zu den umliegenden Nazibauten am benachbarten Königsplatz. Überdimensionale Fenster, so das neue Konzept, das der Münchner Zeithistoriker Hans Günter Hockerts mit entwickelte, bieten hervorragende Lufträume an, die im Inneren mit historischen Videos bespielt werden sollen.

Hans Günter Hockerts: "Man kann also durch den Luftraum auf den Führerbau schauen und auf den Königsplatz – und mit Screens bespielen wir die Vergangenheit. Das heißt, wir holen die Vergangenheit herein mit langsam wechselnden Bildern und lassen dann auch wieder die Gegenwart herein. Und man kann im unteren Geschoss schon immer sehen, wie das endet, was oben mit schönem Schein begonnen hat."

Auf vier Etagen und rund 1200 Quadratmetern Ausstellungsfläche kann der Besucher an je zehn Stationen pro Etage fast ein ganzes Jahrhundert nationalsozialistischer Geschichte ablaufen, passenderweise beginnend im oberen Stockwerk, um sich dann in die Abgründe Richtung Kellergeschoss vorzuarbeiten. Vom Ende des Ersten Weltkrieges, den Hitler-Reden in Münchner Wirtshäusern, dem Hitlerputsch auf dem Odeonsplatz, den Aufmärschen auf dem Königsplatz bis hin zu den Nachwirkungen der NS-Zeit bis heute. Am Beispiel von Hitlers Gigantomanie heißt das:

Hans Günter Hockerts: "Es gibt ein riesiges Holzmodell. Das stellen wir nicht aus, aber wir machen eine Kamerafahrt dadurch, damit man sehen kann, wie hätte die Stadt ausgesehen, wenn diese gigantomanischen Pläne umgesetzt worden wären. Interaktive Stadtpläne. Man kann sehen, wo waren die Orte des Widerstandes, wo haben sich die Mitglieder der Weißen Rose getroffen, wo hat die NSDAP ihre Organisationen gehabt. Interaktive Stadtpläne, das haben andere auch, aber wir werden es eben mit diesem spezifischen München-Bezug aktivieren."

Bei dem jetzt vorgestellten Konzept wird auf Ausstellungsgegenstände nahezu vollständig verzichtet, erklärt Wilfried Nerdinger, Mitglied des Leitungsgremiums und seit über 20 Jahren an den Planungen beteiligt. Man wolle sich deutlich abgrenzen von musealen Darstellungen des Dritten Reiches und vor allem den Raum in und um das Gebäude wirken lassen.

Wilfried Nerdinger: "Bilder, das ist ja immer etwas Virtuelles, das hat einen fiktiven Charakter. Aber wenn man es verknüpfen kann mit dem konkreten Ort und sagen kann, genau da ist das passiert, was ich jetzt sehe, das ist keine Fiktion, hier war es wirklich, dann bekommt das eine ganz besondere Intensität. Und das ist die Grundidee dieses Konzeptes, immer diesen authentischen Ort mit einzubeziehen."

Warum München? Warum diese Verblendung? Mit diesen zentralen Fragen beschäftigten sich drei Jahre lang Arbeitsgruppen, deren Ergebnisse in den kommenden Jahren in Sonderausstellungen beleuchtet werden sollen: die Rolle der Münchner Polizei im NS-Staat, die Wissenschaft als Wegbereiter der Rassenhygiene, die Geschlechterbeziehungen. Auf keinen Fall sollen Inhalte bereits bestehender Erinnerungsorte am Obersalzberg, in Nürnberg oder Flossenbürg wiederholt werden. In München geht es vor allem auch generell um die Ursachen für Diskriminierung und Ausgrenzung. Ein Thema, dass gerade Jugendliche gut nachvollziehen können.

Mit der Reduktion auf die Topografie des ehemaligen Naziquartiers am Königsplatz weicht man geschickt dem Druck aus, jeder neuesten wissenschaftlichen Erkenntnis hinterherhecheln zu müssen.
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