Der Wohnwagen-Wahn

Mit Eigenheim in den Urlaub

06:39 Minuten
Ein Wohnwagen steht bei Sonnenuntergang an einem See.
Lange hatte das Reisen im Wohnmobil ein Rentnerimage, mittlerweile interessieren sich auch immer mehr junge Menschen dafür. © Unsplash/Kevin Schmid
Von Annette Kammerer · 13.07.2020
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Mit dem Camper an den See fahren, parken und die Natur genießen. Durch Corona ist diese Urlaubsvariante für viele noch attraktiver geworden. Wer diesen Sommer noch mit einem Wohnwagen unterwegs sein möchte, sollte sich aber langsam ranhalten.
Berger Reisemobile an einem Montagnachmittag, am Rand von Berlin. Alles geht durcheinander in dem kleinen Büro. Immer wieder klingelt das Telefon. Kunden warten vor der Tür, während draußen ein abgeschleppter Wohnwagen abgeladen wird.
"Es ist gar nicht so einfach, eine Werkstatt zu finden." / "Ja, habe ich mitbekommen ..." / "Sie waren der Dritte. Wo ich immer hinfahre, da, wo ich den gekauft habe, die haben gesagt, die sind voll." / "Ja, wir sind auch eigentlich voll, aber da wir die Werkstatt hier gleich haben..."

Sameyye Şengül leitet das Geschäft mit ihrem Bruder zusammen. Die junge Frau verkauft hier nicht nur Wohnwägen, sondern vermietet und repariert sie auch. Ihr gegenüber sitzt Herr Ratke, der "70 und ein bisschen" ist, wie er stolz sagt. Sein Knaus, sein Wohnwagen will nicht mehr.
"So voll war das sonst noch nie. Das ist jetzt durch diese Corona, dass keiner so richtig ins Ausland fährt. Ich wollte auch nach Italien, aber das lasse ich erst mal..."
Hoffentlich schafft er es wenigstens noch an die Mecklenburgische Seenplatte, erzählt Herr Ratke schnell. Dann kommt auch schon der nächste Kunde.
"Ich will sie nicht hetzen, aber ich habe jetzt noch Kundschaft. Wenn sie Fragen haben, können Sie jederzeit anrufen." / "Mach ich, mach ich..."

Zur gleichen Zeit, draußen, auf dem Innenhof. Ein Liner, ein großer Wohnwagen, kämpft sich die enge Auffahrt hoch. Darin: eine junge Familie mit zwei Kindern. Eigentlich wollten sie nach Spanien fliegen, doch wegen Corona geht es für die vier mit dem Wohnmobil jetzt eben runter bis in die Schweiz.
Auf einem Werkstatthof stehen Camper.
Nicht Italien, sondern Mecklenburgische Seenplatte. Die Campervermietung Berger Reisemobile in Berlin kann sich vor Anfragen gerade kaum retten.© Annette Kammerer

Zum ersten Mal Urlaub im Wohnwagen

So, wie ihnen, geht es auch dem 46-jährigen Ibrahim ein paar Meter weiter. Auch er mietet heute einen Wohnwagen für den Familienurlaub. Zum ersten Mal in seinem Leben.
"Ich habe so oft gehört, aber habe ich noch nie gemacht. Das sehen wir, was passiert, nach den zehn Tagen. Aber jetzt wissen wir gar nicht, wie es aussieht."
Normalerweise fliegt Ibrahim mit seinen drei Kindern in die Türkei.
"Wir haben keine anderen Reisemöglichkeiten momentan. Wir dürfen immer noch nicht in die Türkei fliegen, das ist noch verboten. Wir möchten irgendwo in Europa bleiben, deswegen haben wir ein Wohnmobil gemietet."

Bei Berger Reisemobile ist die Hauptsaison dieses Jahr noch einmal besonders stressig. Wohnwagen kommen am Morgen rein und werden am Nachmittag gleich weitervermietet. Dazwischen wird repariert, geputzt und desinfiziert.
"Und dadurch, dass mit Corona jetzt alle auch noch eher so das Individuelle, alleine… und nicht mit allen anderen zusammen im Hotel hocken wollen, ist das auch jetzt noch mal wesentlich mehr geworden."
Ein junger Mann mit Glatze und Bart steht vor einem Camper in einer Werkstatt.
Mechaniker Sebastian Kappe hat in diesen Wochen gut zu tun.© Annette Kammerer

Junge Menschen entdeckten das Wohnmobil

Sebastian Kappe ist hier so etwas wie der Chef-Mechaniker. Während er redet, baut er bei dem Wohnmobil für Ibrahims Familie einen neuen Bildschirm für die Rückfahrkamera ein. Tatsächlich hat er seit Corona nicht nur mehr Kunden, sie werden auch bunter und jünger, erzählt Sebastian beim Schrauben.
"Sobald sie einen Führerschein haben, wollen sie dann auch schon einen kleinen VW-Bus oder ein kleines Wohnmobil haben. Und das war davor anders. Davor waren’s eher wirklich ab 40 plus oder 50 plus, sag ich mal. Und das hat sich wirklich geändert."
Mit dem Wohnwagen in den Urlaub – längst sind das nicht mehr nur spießige Dauercamper mit Vordach. Diesen Wandel beobachtet auch der Branchenverband der Caravaning-Industrie, der CIVD, aufmerksam. Geschäftsführer Daniel Onggowinarso:
"Es ist tatsächlich so, dass sich die Jungen eher für einen ausgebauten Campervan mittlerweile interessieren als für einen Golf GTI. Das teilweise bestätigt, dass sich die Wünsche der Gesellschaft teilweise verändert haben."


Onggowinarso spricht von "Experience", vom Erleben, von Outdoor-Urlaub und Naturfreunden allen Alters und Couleurs.
"Wir erklären uns das so. Der Lifestyle Caravaning ist einfach in der Gesellschaft angekommen. Die Leute wollen einfach spontan unterwegs sein, sie wollen die Natur genießen, sie wollen unabhängig reisen. Genau das kann man eben mit einem Freizeitfahrzeug machen."

Auf Instagram ist der Hashtag #Vanlife mit über sieben Millionen Bildern längst ein Trend. Auf Youtube kommen dutzende Clips und Dokus dazu: Da wird die 75-jährige Aussteigerin in ihrem Wohnmobil durch Marokko begleitet oder Deutschlands jüngste "Vanliferin" besucht. Die baute sich mit gerade einmal 15 Jahren ihren ersten Wohnanhänger aus, während man irgendwo in Ecuador digitalen Nomaden dabei zusehen kann, wie sie in VW-Bullis nach dem einfachen Leben suchen.

"Es hat ja jetzt nicht erst dieses Jahr begonnen, dieser Hype nach dem Lifestyle Caravaning. Wir sind seit etlichen Jahren schon sehr gut unterwegs und vor allem seit 2014 noch mal stärker gewachsen."
Ein roter Camper steht alleine an einem Strand.
Allein mit dem Bulli in der Natur. Den „Hype“ um das Reisen im Camper gebe es schon seit Jahren. © Unsplash/Simon Moore

Corona hat Camperboom weiter befeuert

Tatsächlich aber hat Corona dem Boom der letzten Jahre noch einmal einen mächtigen Rückenwind verschafft. Im Mai dieses Jahres wurden so viele Reisemobile zugelassen wie noch nie davor: über 10.000 neu angemeldete Wohnmobile. Und auch im Juni legte die Branche noch einmal kräftig zu. Und das, obwohl ein neues Reisemobil – vom Bulli bis hin zum tonnenschweren Luxusliner – im Schnitt 70.000 Euro kostet. Onggowinarso vom Branchenverband erklärt sich das so:
"Sie sind mit dem Reisemobil relativ sicher unterwegs, stehen autark, fühlen sich auch einfach sicherer als am Hotelbuffet oder im Flugzeug oder in der Bahn oder im Reisebus. Sie sind in ihrer eigenen kleinen Welt und sind, wenn sie es gut planen, relativ gut überall zu Hause."

Überall zu Hause – das ist auch der neue Coronakonforme Slogan der Branche, der auf der Krise surfen kann:
"Du warst lange zu Hause. Jetzt ist es wieder Zeit überall zu Hause zu sein."
Doch, wer dem Ruf nach den fahrenden, eigenen vier Wänden jetzt noch folgen will, der muss sich beeilen. Denn das machen, so scheint es gerade, alle.
Blick aus einem Camper auf eine Abendlandschaft.
Das Reisen im Camper fühle sich für viele zurzeit sicherer an als im Flugzeug oder in der Bahn, so der Branchenverband.© Unsplash/Alex Gorham
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