Der wiedergefundene Mut zur Unbefangenheit

Von Carsten Probst · 29.01.2013
Beinahe nostalgisch wirkt das Motto der diesjährigen "transmediale" in Berlin: Back when Pluto was a planet – "damals, als Pluto noch als Planet galt" soll uns zurückführen in eine Zeit, als soziale Netzwerke noch unbekannt und Smartphones Zukunftsmusik waren.
Wer sich in den letzten Jahren gefragt hat, was der transmediale in Berlin nur fehlt, warum sie so altbacken und eingeschlafen wirkt, der weiß es spätestens seit diesem Jahr: eine junge Festivalleitung.

Eigentlich hat sich seit 2012, seit der gebürtige Schwede Kristoffer Gansing seine erste transmediale leitete, gar nicht viel am Programm verändert, aber er ist eben jung genug, dass die Themen, die er seinem Publikum nahebringen will, mit seinem smarten skandinavischen Akzent erklärt, als hätte er sie sich alle gerade erst selbst und mit echter "nerdischer" Neugier zusammen gegoogelt.

Gansing: "Hier zum Beispiel ist ein Bild. Am 24. August 2006 gab es diese Abstimmung bei der International Astronomical Union, IAU, da hat man für eine neue Definition des Wortes ‚Planet‘ sich entscheidet. Als Konsequenz wurde dann Pluto degradiert. Aber auch dann, wenn Pluto nicht mehr offiziell ein Planet ist, bleibt er, glaube ich, auch ein Planet für viele Menschen."

Bei der Eröffnung der transmediale, soviel hat Gansing schon angedroht, werden sich einige Entscheider von damals vor der vermutlich überwältigenden Mehrheit des Publikums rechtfertigen müssen, die Pluto wieder als richtigen Planeten gewürdigt wissen will.

Gansing ist sehr geduldig bei der Sache, er redet einfach so freundlich ironisch und zugleich fürsorglich, dass man sich gar nicht fragt, wie schräg das eigentlich ist, das Akronym der Pluto-wieder-Planet-Netz-Aktivisten zum Titel dieses Festivals zu machen: BWPWAP: Back when Pluto was a Planet, frei übersetzbar mit: Waren das Zeiten, als Pluto noch ein Planet war.

Gansing: "Vor nicht allzu langer Zeit galt Pluto noch als Planet, bis 2006 eigentlich, zieht man aber Medienhype, soziale, politische und ökonomische Entwicklungen in Betracht, scheint Pluto Teil einer längst vergangenen Zeit zu sein: Denken Sie an Finanzblase, soziale Netzwerkdienste, ein Leben vor dem Smartphone, Kommunikation vor den E-Mails ..."

Vor allem die Festival-Ausstellungen widmen sich dem Hype um Retrotechnologie als Medien des Widerstands gegen zu viel technologischen Fortschritt. Auch gemeint als tätige Bewusstseinsspiegelung für die aktuelle User-Generation, deren Selbstverständnis das Festivalteam zwar überzeugend teilt, aber auch mit der fast undenkbaren Vergangenheit ohne all diese smarten Gadgets konfrontieren will.

Wie simpel und zugleich prophetisch wirkt der Werbespot, mit dem die Firma Apple 1984 die Einführung des ersten Modells eines Macintosh zelebrierte, passend zum Jahresdatum und in einer Parodie von Ridley Scotts "Blade Runner" lauschen maschinengleiche Replikanten den Worten des Großen Bruders von der Leinwand, während eine leichtbekleidete Olympionikin in die tristen Hallen stürmt und einen Hammer gegen das Bild des Großen Bruders schleudert, das daraufhin verpufft. Der bis heute fortwirkende Apple-Mythos einer benutzerfreundlichen Technologie gegen jede technische Gleichschaltung war geboren.

Jacob Lillemose: "Hier haben wir eine internationale Gruppenausstellung unter dem Titel ‚Werkzeuge zur Verformung von Kreativität‘ mit zwölf verschiedenen Positionen. Die Kunstgeschichte, die wir hier erzählen, betrifft die Herausforderungen, die durch die Medienentwicklung der sechziger, der achtziger Jahre bis heute entstanden sind. Es ist keine Kunst, die sich zufrieden gibt mit dem technologischen Fortschritt, sondern die es drängt, diesen Fortschritt zu hacken, zu missbrauchen, auszuplündern, die Geräte nicht bestimmungsgemäß zu verwenden, sondern in einer anderen Weise."

So Kurator Jacob Lillemose, der ein berühmtes Beispiel nennt: Jimi Hendrix nutzte das Feedback seiner E-Gitarre ja gezielt für seine Musik. Ganz so sinnlich-spektakulär kommen die zwölf netzwerkgesteuerten, optisch kleinteiligen Projekte dieser Sektion nicht daher.

Das Filmscreening, ein weiterer fester Bestandteil des Festivalprogramms, hat unter Programmleiter Marcel Schwierin wie schon letztes Jahr deutlich an Format gewonnen. Nicht mehr nur liebevoll gebastelte Amateurvideos sieht man, sondern den State of the Art im internationalen Kunstgeschehen, wie die Arbeit von Elisabeth Price zeigt, mit der sie im letzten Herbst den Turner Prize in London gewann - eine ebenso kühne wie verwirrende Kollage aus Recherchen verschiedener Bilddatenbanken. Studien zur Ausstattung von gotischen Kirchenchören gehen über in moderne Gospelgesänge und schließlich in die Bilder eines Warenhausbrandes in den sechziger Jahren.

Die transmediale expandiert inhaltlich, sie hat ihren alten Mut zur Unbefangenheit wiedergefunden, vielleicht weil - oder vielmehr obwohl sie längst als "kultureller Leuchtturm" gefördert wird.

Links bei dradio.de:

Daten, Kunst und Chaos - In Berlin startet die 26. Transmediale, das internationale Festival für digitale Kultur
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