Der "weibliche Chopin"

Von Renate Hellwig-Unruh · 24.07.2006
Die polnische Künstlerin Maria Szymanowska war ihrer Zeit voraus. Szymanowska schrieb, wie auch Frederic Chopin, Mazurken, Nocturnes, Polonaisen und Etüden - nur eben bereits einige Jahre früher als ihr großer empfindsamer Landsmann.
"Eine unvergleichliche Pianospielerin, Madame Szymanowska, deren anmutige Gegenwart und unschätzbares Talent mir schon in Marienbad höchst erfreulich gewesen, kam gleich nach ihnen, und mein Haus war 14 Tage der Sammelplatz aller Musikfreunde, angelockt durch hohe Kunst und liebenswürdige Natur. Hof und Stadt, durch sie aufgeregt, lebte so fortan in Tönen und Freuden.","

schrieb Goethe im Dezember 1823 an Sulpiz Boisserée, einen Kölner - später Heidelberger Architekten und Kunstförderer. Auf Goethes Einladung, hatte die Pianistin Maria Szymanowska während ihrer Konzerttournee durch Europa auch Station in Weimar gemacht. Bei dieser Gelegenheit wurde sie von dem 74-jährigen Dichterfürsten immer wieder ermuntert, ihm "ein wenig Lärm vorzumachen".

Maria Szymanowska, geboren am 14. Dezember 1789 in Warschau, war zu diesem Zeitpunkt 33 Jahre alt, geschieden und Mutter von drei Kindern. Nach der Scheidung von Josef Szymanowska, hatte sie sich für eine professionelle Pianistenlaufbahn entschieden. Ihre Konzerttourneen führten sie in den nachfolgenden fünf Jahren quer durch Europa, von Kiew, über Leipzig und Berlin nach Paris, London, Mailand, Venedig und Sankt Petersburg. In Sankt Petersburg erhielt sie von Zar Alexander I. den Titel einer Hofpianistin.

Ihr "Album musicale" - ein musikalisches Stammbuch - ist beredtes Zeugnis dieser Reisen. Hier drängeln sich die "Großen und Berühmten" der Zeit. Neben Stücken von Bach, Mozart und Beethoven, die später eingefügt wurden, finden sich handschriftlich eingetragene Stücke von Rossini, Paganini, Moscheles, Liszt und weiteren 120 Künstlern.

Maria Szymanowska wurde gefeiert wie kaum eine Pianistin zuvor. Ein Kritiker der "Allgemeinen Musikalischen Zeitung" schrieb 1823 nach einem Konzert:

""Madame Szymanowska fand auch hier - wie anderwärts - enthusiastische Verehrer, die ihr Spiel, in aller Hinsicht, weit über das Spiel mancher berühmterer Künstler setzen, und in ihm so ziemlich das Höchste erreicht fanden, was zu erreichen menschlicher Kraft möglich sei."

Maria Szymanowska spielte vor allem Werke von John Field und Johann Nepomuk Hummel, aber auch Mozart und Beethoven standen auf dem Programm - sowie eigene Stücke: Mazurken, Polonaisen, Nocturnes, Preludes und Etüden. Robert Schumann, der sich bekanntlich auch als Musikkritiker einen Namen gemacht hatte, schrieb nach der Herausgabe einiger Klavierstücke über die Künstlerin:

"Wir haben sie häufig gehört, diese Virtuosin - auch 'weiblicher Field' genannt. Und - nach diesen Etüden zu urteilen - mit gutem Grund. Solange wir Frauen loben, wenn sie Etüden spielen, sollten wir dies umso mehr tun, wenn sie sie auch noch komponieren. Dem Charakter und Erfindung nach, bieten diese die außergewöhnlichste Qualität, die wir je bei einem weiblichen Komponisten angetroffen haben."

Über 100 Werke hat Maria Szymanowska komponiert - darunter auch einige Lieder und Kammermusikstücke. Bei ihren Klavierstücken fällt die große Nähe zu den Werken Chopins auf. Szymanowska allerdings war zuerst da, Chopin kam später - nach ihr: Er war über 20 Jahre jünger. Während Szymanowska ihre ersten Mazurken bereits 1825 veröffentlichte, gab Chopin seine ersten Tänze 1830/31 heraus. Die beiden Künstler kannten sich allem Anschein nach persönlich nicht.

1828 ließ sich Maria Szymanowska mit ihren Kindern in Sankt Petersburg nieder, wo sie einen Salon führte und Privatunterricht erteilte. Am 24. oder am 25. Juli 1831 - die einschlägigen Musiklexika sind sich nicht einig - starb die Künstlerin, 41-jährig, in der russischen Zarenstadt an der Cholera.

Maria Szymanowska gehört zu den ersten professionellen Pianistinnen Europas. Sie stand am Anfang einer Entwicklung, die dann von Clara Wieck - spätere Schumann - weitergeführt wurde.