Der Weg in die Katastrophe

Von Susanne Billig |
Ende des 19. Jahrhunderts konkurrierten die europäischen Großmächte heftig um kolonialen Einfluss in aller Welt. Wie das Wilhelminische Kaiserreich mitmischte und seine Machtgelüste schließlich im Ersten Weltkrieg mündeten, das lässt sich mit Hilfe einer interaktiven CD-Rom studieren. "Kaiserreich, Imperialismus und Erster Weltkrieg" befasst sich mit der Epoche zwischen 1870 und 1918.
"Der Kaiser hat abgedankt. Er und seine Freunde sind verschwunden. Arbeiter und Soldaten. Seid einig, treu und pflichtbewusst. Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue! Es lebe die deutsche Republik!"

November 1918. Vom Fenster des Berliner Reichstags ruft SPD-Politiker Scheidemann die Republik aus. Furchtbar seien die vier Kriegsjahre gewesen, ruft er den Menschen zu, grauenhaft die Opfer. Den ersten totalen Krieg und seine Vorgeschichte, das Deutsche Kaiserreich und die Kolonialzeit, dokumentiert eine CD-Rom aus dem USM-Verlag.
Heftig konkurrieren die Weltmächte Ende des 19. Jahrhunderts um Einfluss und Macht, wie die Audio-Einführung der Geschichts-CD erläutert:

"Übersteigerter Nationalismus und wachsendes Prestigedenken ließen den Konkurrenzkampf zunehmend außer Kontrolle geraten: Spannungen, Konflikte und Kriege zwischen den Kolonialmächten waren daher unvermeidlich. 1898 zettelte die junge Industriemacht USA einen Krieg gegen die alte Kolonialmacht Spanien an, vertrieb die Spanier aus der amerikanischen Hemisphäre und besetzte Kuba, Puerto Rico und Guam."

Mit kurzen militärischen Schlägen hielten die USA unbotmäßig Länder nieder, ohne sie dauerhaft zu besetzen. "Informeller Imperialismus" nennen Historiker das, erläutert das digitale Geschichtswerk.

Auf dem Bildschirm gleiten bunte Pfeile in animierten Landkarten über die halbe Welt - sie zeigen, wie die Kolonialmächte ihre Interessen immer weiter ausdehnten. Mit einer großen Fülle an Material ist die CD ausgestattet: Jedes der sieben Unterthemen, die sich von 1870 bis zu den Spätfolgen des Ersten Weltkriegs vorarbeiten, gliedert sich in eine gesprochene Einführung, eine ausführliche Text-Dokumentation, quervernetzt mit Fotos und Videoclips, und eine Zusammenfassung auf einer Bildschirmseite. In den Bereichen "Medien" und "Quellen" finden sich Tabellen, Sekundärliteratur, Plakate - und gesprochene Zitate. Hier die Rede eines Abiturienten von 1906:

"Wenn wir eines aus dem Leben und dem Wesen der Antike aufgefasst haben, dann haben wir gelernt, dass das Vaterland kein fantastisches Ideal, sondern der Kern und Sammelpunkt alles menschlichen Strebens, alles Arbeitens und Erraffens, dann haben wir in dem pro patria die einzige und einzig große Antwort auf die ewigen Fragen nach dem Zweck des Daseins gefunden."

Nicht nur Deutschland, auch andere Länder huldigen einem aggressiven Nationalstolz, in Tausenden von Liedern und Gedichten verklärt. Als England, Russland und Frankreich in kolonialen Fragen kooperieren, will das deutsche Kaiserreich sich den Weg zur Weltmacht freischießen.

"Die Ermordung des österreichischen Thronfolgerpaares in Sarajewo am 28. Juni 1914 durch serbische Nationalisten löste eine Kettenreaktion politischer und militärischer Ereignisse aus. Die Mobilmachungen der nationalen Streitkräfte zwischen dem 25. Juli und dem 3. August mündeten in die größte Katastrophe, die die Menschheit bis dahin erlebt hatte. Das Attentat von Sarajewo war zwar nicht die Ursache, wohl aber Initialzündung für den Krieg."

"Jetzt oder nie" – so steuern Wilhelm II. und die politische und militärische Führung des Landes in den verheerenden Krieg. Auf der CD-Rom findet sich eine alte Tonaufnahme - der Kaiser wendet sich ans deutsche Volk:

"Es muss denn das Schwert nun entscheiden! Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf zu den Waffen! Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterlande. Um Sein oder Nichtsein unseres Reiches handelt es sich, das unsere Väter sich neu gründeten."

Leider ist die Aufmachung der CD ein wenig bieder geraten: dicke Balken, ödes Schriftbild - gestalterische Magerkost. Doch wer gerne liest und hört, wird das digitale Werk zu schätzen wissen, das auch Gedichte bereithält. Karl Kraus, 1918:

"Hauptmann, hol her das Standgericht!
Ich sterb' für keinen Kaiser nicht!
Hauptmann, du bist des Kaisers Wicht!
Bin tot ich, salutier' ich nicht!

Ihr zwingt mich nicht, ihr zwingt mich nicht!
Seht, wie der Tod die Fessel bricht!
So stellt den Tod vors Standgericht!
Ich sterb', doch für den Kaiser nicht."

Die Hypothek des Ersten Weltkriegs wird die Weimarer Republik schwer belasten - und so wirft auch am Ende des digitalen Geschichtswerks der Zweite Weltkrieg seine Schatten voraus.

CD-Rom: Kaiserreich, Imperialismus und Erster Weltkrieg
Ursachen, Verlauf und Folgen
USM Verlag, 29,90 Euro