Der Wald in mir

Von Susanne Burkhardt |
Der junge Regisseur David Nawrath träumte schon früh vom Filmemachen. Den Traum hat er sich verwirklicht: Mit seinem Film "Was bleibt" ist er gerade für den Deutschen Kurzfilmpreis und den Europäischen Filmpreis nominiert worden. Trotz des Filmerfolgs wünscht er sich manchmal ein Leben in der Natur.
Neunter Stock. Sony Center Berlin am Potsdamer Platz. Die Cafeteria der Deutschen Film- und Fernsehakademie. Eine Art Wohnzimmer von Deutschlands zukünftiger Filmelite. Auch David Nawrath ist hier öfter zu treffen. Denn Tage an der Filmhochschule können lang sein. Kein Problem für den 28-jährigen ehrgeizigen Regiestudenten. Schließlich wird hier an der Erfüllung eines Kindheitstraums gearbeitet.

"Ich hab schon sehr früh davon geträumt, Regisseur zu werden, oder wenn ich Filme geguckt hab, hab ich sie oft sehr kritisch betrachtet, wo ich schon als Kind gedacht hab, das kann ich besser. Auch wenn sich das total komisch anhört. Ich hab früh so eine Sensibilität dafür entwickelt, was authentisch und was nicht authentisch ist - das hat mich schon sehr früh interessiert. Der Schritt, wirklich Filme zu machen, kam erst sehr spät. Das war mehr so ein Wunschgedanke, den ich hatte. Aber mich wirklich entschlossen, Filme zu machen, das hab ich erst mit einundzwanzig..."

Und jetzt, mit 28 Jahren, kann er es sagen - auf persisch und auf deutsch:

(auf persisch:) "Ich bin Regisseur."

Fließend Farsi hat er von der iranischen Mutter gelernt, die sich früh von Davids deutschem Vater trennte. Als er elf war, zog die Mutter mit ihm von Berlin nach Teheran. Mit dreizehn rebellierte der Sohn gegen die dort herrschenden strengen Sitten. Das Verbot, kurze Hosen zu tragen, war der finale Auslöser für die Rückkehr nach Deutschland. Die Sprache und die Kontakte blieben. Aber das Zuhause fehlte. Ruhe fand er im Wald rund ums Internat in Berlin-Tegel.

"Durch meine Kindheit im Internat lernt man schon anders mit Verantwortung umzugehen. Dadurch dass ich schon ziemlich früh aus meinem Elternhaus raus war - mit 17 hab ich nicht mehr bei meinen Eltern gewohnt. Dadurch hab ich früh angefangen, Verantwortung zu übernehmen."

Verantwortung übernehmen auch die jungen Männer in David Nawraths Filmen. Immer viel zu früh. In "Was bleibt" begegnet ein junger Mann seinem Vater auf dem Weg zur Beerdigung der Großmutter. Erschütternd die hilflose Unfähigkeit des Vaters, sich seinem Sohn zu nähern und die innere Emigration des Jugendlichen, der sich nur kurz auflehnt gegen die Lieblosigkeit, dann aber wieder resigniert in sich zusammenfällt.

Ähnlich ergeht es dem 19-jährigen Aron in "Der neue Tag". Er versucht durch einen Raubüberfall die Kaution für seinen Vater zusammenzukriegen, damit der aus dem Gefängnis zurückkommen kann. Denn Aron und sein kleiner Bruder sind auf sich allein gestellt, seit der Vater im Knast ist. Überforderung und Unverständnis auch hier.

Filmausschnitt:
"Jetzt reiß Dich zusammen! Du bist kein Kind mehr!"

Nein - so ein gestörtes Vaterverhältnis habe er nicht gehabt - aber natürlich spiegeln sich in den Filmen von David Nawrath immer auch eigene Erfahrungen.

"Ich arbeite noch Dinge auf, die mich selber bewegen oder bewegt haben. Ich bin ja 28 und dieses Coming of Age kehrt immer wieder in meinen Filmen bisher - aber ich distanzier mich auch zunehmend davon."

Ernst sind seine Filme. Ein bisschen Berliner Schule. Sehr ruhig und ohne Schnickschnack produziert. Nah an den Figuren. Auf der Seite der Schwachen. Die Jungs immer schlacksig und still. David Nawrath trägt ihren T-Shirt-Jacken-Jeans-Look und halblange dunkle Haare. Die Augen verweisen auf die iranische Mutter. Der erste Eindruck von ihm erinnert an seine Filme: Ruhig und zurückhaltend - auch wenn er sich selbst anders beschreibt:

"Ich bin lustig... bin schon ab und zu so ein Clown..." (Lachen)

Mit 23 ging er noch einmal nach Teheran zurück, drehte mit einem Freund eine Dokumentation über Jugendliche im Iran. Eineinhalb Jahre hat er danach im Schneideraum gesessen - bis der Film endlich fertig war.

"Man darf wirklich nicht den Arbeitsaufwand mit dem Ergebnis gleichsetzen - sonst verzweifelt man. Ich entdecke immer wieder den Spaß am Machen an sich - bei der Planung des Films, bei der Auflösung - beim Dreh auch - und besonders beim Schnitt gibt's immer wieder Momente, die total beglückend sind, weil man sieht, das etwas entsteht. Niemand kann sagen, ob es ein erfolgreicher, guter Film wird - egal, wie viel Erfahrung man hat. Ein gewisses Risiko bleibt einfach da - ob der Film funktioniert, ob er Menschen erreicht, ob es ein schöner Film wird. Ich denke, die Kreativität kann man sich schon erarbeiten. Michael Haneke hat mal gesagt, dass man nicht dasitzen soll und auf die Inspiration warten, sondern man soll sich einfach hinsetzen und arbeiten und ich denke, das macht das Ganze aus, das man konstant an etwas arbeitet und an seiner Ursprungsidee festhält und versucht die umzusetzen."

Dass nur zwei bis drei von zwölf Regiestudenten eines Jahrgangs später erfolgreich Filme machen, gehört zu den Tatsachen, die es zu ignorieren oder zu ertragen gilt. Ein Grund für David Nawrath, Festivals wie die Berlinale grundsätzlich zu meiden:

"Weil es ist deprimierend zu sehen, wie viele Leute Filme machen und was alles gemacht wird, was für tolle und was für schlechte Filme gemacht werden. Sobald man anfängt, sich mit anderen Filmemachern zu vergleichen, das ist einfach frustrierend. Und deshalb gehe ich dem aus dem Weg. Ich versuch mich dann mehr auf meine Sachen zu konzentrieren."

Preise helfen beim Aufbau von Zuversicht. David Nawrath ist mit seinem Film "Was bleibt" gerade für den Deutschen Kurzfilmpreis und den Europäischen Filmpreis nominiert worden. Er zählt zu den Besten seines Jahrgangs. Und träumt doch manchmal davon, dem Gruppending Film gänzlich zu entwischen. Immer dann, wenn ihn ihm der Wald seiner Internatszeit in den Sinn kommt.

"Ich würde unglaublich gern mal für eine ganz lange Zeit in die Natur. Also für mindestens ein halbes Jahr, gern nach Kanada. Auf jeden Fall in den Wald. Gucken, wie man zurechtkommt. So ein bisschen das Leben spüren, ein bisschen die Gefahr spüren."