Der Wahnsinn des Echnaton

Von Barbara Wahlster · 01.12.2012
Am 6.Dezember 1912 wurde die Büste der "großen königlichen Gemahlin" des Pharaos Echnaton, Nofretete, im Ägyptischen Tell el-Armana ausgegraben. Zwar galt im Alten Testament Ägypten als das heidnische Land der Vielgötterei. Herrscher Echnaton aber hatte im 14. Jahrhundert vor Christus alle Kulte zugunsten der Anbetung eines einzigen Gottes abgeschafft. Diese, wahrscheinlich erste monotheistische Phase aber hielt nicht lange.
Oh alleiniger Gott,
von dessen Art es keinen anderen gibt!
Du erschaffst die Erde nach deinem Wunsch,
und zwar ganz allein, mit allen Menschen,
mit allem Vieh und Wild,
die auf der Erde sind und auf Beinen laufen
oder sich erheben und mit ihren Flügeln fliegen.


Erst seit dem 19. Jahrhundert weiß man mehr über Echnaton und seine etwa 25- jährige Regentschaft um 1300 vor Christus. Hinterlassen hat der ketzerische Pharao Echnaton zwei Sonnenhymnen: Texte, die seltsam vertraut scheinen in ihrem Lob der Schöpferkraft, um vieles älter als der so offensichtlich verwandte Psalm 104, älter auch als die Sonnengesänge des heiligen Franz von Assisi.

Schon 50 Jahre nach seinem Tod waren sämtliche Spuren des umstürzlerischen Königs aus der offiziellen Geschichtsschreibung getilgt, seine Hauptstadt Achet Aton ebenso wie die Aton-Heiligtümer in Schutt und Asche gelegt. Doch in den Ruinen, beziehungsweise unter dem Sand finden Archäologen bis heute: Reliefs und Statuen, Kinderköpfe und Herrscherbildnisse, Fragmente und Inschriften. Sie regen immer wieder aufs Neue an, sich dem Rätsel dieser Epoche und ihrer bestimmenden Gestalt zu nähern: wissenschaftlich, spekulativ und mit der Kraft der Imagination.

O alleiniger Gott,
von dessen Art es keinen anderen gibt!


Aton gehörte zwar zur vielfältig strukturierten Götterwelt Ägyptens, aber dass Echnaton ihn zum obersten, sondern zum alleinigen Gott ausruft, stellt einen grundsätzlichen Bruch dar. Der Heidelberger Ägyptologe Jan Assmann hat sich in zahlreichen Publikationen mit dieser Umwälzung befasst:

"Es bleibt also nur die eine Sonne, und die ist für die Menschen eigentlich auch kein Gott, sondern das, was sie für uns auch ist, eine kosmische Energie, die die Zeit in Tag und Nacht strukturiert und Licht und Wärme schenkt, aber keine persönliche Gottheit, zu der man beten kann, und die dem Bedrängten zu seinem Recht verhilft. Alles, was man den traditionellen ägyptischen Göttern zuschrieb, von ihnen erhoffte, erflehte usw., das fällt alles weg. Es ist eher eine kosmologische Theorie als eine Religion, was Echnaton bietet und läuft im Grunde auf eine Art Aufklärung hinaus. Abschaffung der Kulte zugunsten des Konzepts der Sonne als Licht, Zeit und einer kosmischen Kraft, von der alles ausgeht, von dem alles abhängt."

Dietrich Wildung: "Diese Gottheit ist entrückt, sie ist fast abstrakt, und sie ist eigentlich sinnlich gar nicht mehr als konkrete Form wahrnehmbar. Es gibt in der Armana-Zeit keine Tempel mehr, die aus geschlossenen Räumen bestehen. Die Tempel dieser Zeit sind eine Abfolge von offenen Höfen, wo unter freiem Himmel geopfert wird. Die Sonne schaut überall herein. Es ist eine entmaterialisierte Gottheit, deren Existenz sich in der Schöpfung manifestiert."

Dietrich Wildung war Direktor des Ägyptischen Museums Berlin. Dort fand zum Beispiel Thomas Mann seine Vorlagen für die Beschreibungen von Echnaton, Nofretete, der Königsmutter Teje und anderen Mitgliedern der höfischen Umgebung, die er in dem Roman "Joseph und seine Brüder" auftreten lässt - jenen Joseph, der Pharaos Traum von den sieben fetten und den sieben mageren Kühen interpretiert. Die Amarna-Abteilung des Museums erhellt manche Textstellen und zeigt, welche Skulpturen ihn besonders inspirierten:

"Das ist sein Echnaton. Mit der herrlichen Stelle 'mit hühnerartig dünnen Beinen'. Auch ein Berliner Stück, die Simonsche Holzfigur."

Thomas Mann-Zitat: "So war eine Mischung schmerzlich verwickelter Geistigkeit und Sinnlichkeit in diesem Gesicht - auf der Stufe des Knabenhaften und vermutlich sogar des zu Übermut und Ausgelassenheit geneigten. Hübsch und schön war es mitnichten, aber von beunruhigender Anziehungskraft. Auch nicht schön, sondern eher seltsam und teilweise aus der Form gegangen war auch Pharaos die Mittelgröße kaum reichende Körpergestalt."

Kolossalstatuen zeigen Echnaton nackt, ohne primäre Geschlechtsmerkmale, mit dickem schwanger erscheinendem Bauch. Doch gelten die anatomischen Seltsamkeiten den Fachleuten heute nicht mehr als Zeichen einer Deformation. Sie sind vielmehr Teil der Botschaft und Gegenentwurf zur sonst so statuarisch strikten Kunst Ägyptens. Dazu gehören veränderte Haltungen und impressionistischer erfasste Bewegungen, private, natürliche oder sollte man sagen: kreatürliche Momente?

Dietrich Wildung: "Dass bei der Darstellung des Königspaares, die als solche schonungewöhnlich, auch noch die Kinder abgebildet werden, ist ein absolutes Novum - das wir wohl so verstehen dürfen, dass diese kleinen Kinder der unmittelbare Ausdruck der Schöpferkraft des Sonnengottes sind, wie im Kleinkind Gott auf Erden Mensch wird. Das Entstehen des Lebens unter den wärmenden und erleuchtenden Strahlen der Sonne aus dem Leib der Mutter: Nie mehr sonst hat es in der ägyptischen Kunst so deutliche Frauendarstellungen, so gebärfreudige Darstellungen gegeben."

Du belebst den Sohn im Leib seiner Mutter,
du beruhigst ihn mit dem, was seine Tränen stillt:
Amme im Mutterleib! Atem-Spender,
der alles, was er geschaffen hat, belebt!


Die neuen Bildprogramme des Königs greifen ein in den bisherigen Kanon, sind mehr als nur stilistische Abweichungen. Bis heute ist vom Wahnsinn des Echnaton die Rede - als hätten die mächtigen Priester der zahlreichen anderen Gottheiten Recht behalten mit ihrer Ablehnung. Denn da hat schließlich einer die Welt auf den Kopf gestellt, die lebenserhaltenden Rituale für nichtig erklärt, den Gläubigen die Kulte verboten. Was aber verspricht der neue Glaube? Nach Jan Assmann nichts Greifbares:

"An den Texten wird eher greifbar, was diese Religion den Menschen entzieht, als das, was sie ihnen bietet. Was sie ihnen entzieht ist zum Beispiel die ganze Welt des Osiris, die Unterwelt, diese Vorstellung einer Erlösung aus dem Totenreich, einer götternahen elysischen Sphäre, in die man eingeht, wenn man das Totengericht bestanden hat. Also diese ganze, für das alte Ägypten absolut zentrale Vorstellungswelt vom Leben nach dem Tode, die wird radikal vereinfacht. Das Jenseits wird auf das Diesseits reduziert."

Thomas Mann legt seinem Echnaton dazu folgende Worte in den Mund:

"Es ist alles nur Verängstigung mit diesem alten Glauben, der selber tot ist und meines Vaters Sohn glaubt nicht daran! Vor Usir, dem Unteren, sind alle gleich - ja, gleich im Schrecken! Vor IHM aber sollen alle gleich sein in der Freude."

"Wie weit das von der ägyptischen Bevölkerung aufgenommen wurde oder verstanden, mitgetragen wurde, das entzieht sich völlig unserer Beurteilung. Mein Eindruck: Es wurde eher als eine Katastrophe empfunden. Das kann ich mir gar nicht anders vorstellen, als eine für die Menschen der damaligen Zeit traumatische Erfahrung."

Auch der ägyptische Literaturnobelpreisträger Nagib Machfuss sah das Dilemma jener Zeit:

"Das Volk litt schwer in jenen schwarzen Tagen, war es doch hin und hergerissen zwischen der Treue zu seinen Göttern und der zum König."

Machfuss umkreist in seinem Buch "Echnaton - der die Wahrheit liebt" fiktive Sichtweisen des Umsturzes, lässt nach Chronistenart Gegner und Anhänger des Ketzers zu Wort kommen.

Uns heute allerdings erscheint ein Glauben, der aufräumt mit der exklusiven Rolle der Priester, der konsequent alles Leben, Menschen, Tiere und Pflanzen eingeschlossen, und auch das der "Fremdländer" zu Gottesgeschöpfen erklärt, durchaus positiv. Ein Vorgriff auf postreligiöse Zeiten?

Jan Assmann:"Bei Echnaton muss der Mensch eigentlich gar nichts dafür tun, er ist immer schon Kreatur dieses Sonnengottes und sein bloßes Dasein, sein Aufwachen am Morgen und sein Einschlafen am Abend - alles bezeugt die Abhängigkeit von diesem Gott und ist insofern schon Gottesdienst. Da ist die Ethik völlig ausgeblendet. Und genau umgekehrt ist es im Alten Testament, wo eben nun die Ethik alles ist, die Befolgung des Gesetzes."

Ein Normensender wie der Gott des Moses ist Aton nicht. Aber es gibt in dem Sonnenglauben oder der Kosmologie des Echnaton immer wieder Elemente, die an die Bibel erinnern und verblüffend nah erscheinen:

Ich bin dein Sohn, der dir dienlich ist,
der deinen Namen verherrlicht!
Deine Macht und deine Stärke bleiben in meinem Herzen!


Jan Assmann:"Nach dem traditionellen ägyptischen Mythos ist jeder König Sohn Gottes und das ist eine Sohnschaft, in die er einsteigt mit der Krönung. Er bekommt damit nicht nur den Thron und die Krone, sondern auch eine Biografie. Diese Biografie besagt, dass der höchste Gott Amun in Gestalt seines Vaters seiner Mutter beigewohnt hat und ihn mit der Mutter, der Königin, gezeugt hat.

Das ist also eine traditionelle mythische Vorstellung, mit der Echnaton genauso aufräumt wie mit allen anderen traditionellen Vorstellungen, die er aber nun auf seine Weise umdeutet. Und zwar in der Weise, dass der Sonnengott, der für alle Menschen nichts ist als kosmische Energie, für ihn und nur für ihn ein Vater ist, ein Gott, ein persönlicher Partner. Echnaton und der Sonnengott regieren gemeinsam die Welt.

Es ist in dem Sinne schon ähnlich wie im Alten Testament ein Bundesgedanke. Echnaton gewinnt diese Sohnschaft nicht durch die Krönung, sondern jeden Tag aus Neue durch die Bestrahlung. Das ist als eine exklusive Ausdeutung des Sonnenlichts im Sinne einer väterlichen Segnung."

Exklusiv, weil sie nur den König und die Königin erreicht - deutlich sichtbar auf etlichen Kunstwerken im Ägyptischen Museum Berlin, zum Beispiel auf einem Kalksteinrelief, einem Hausaltar, den Dietrich Wildung erläutert:

"Diese Sonnenscheibe oder dieser Sonnenball hoch oben am Himmel kommuniziert durch ihre Strahlen, die in kleine menschliche Hände auslaufen und überall dort, wo diese Hände auf einen Menschen treffen, auf Nofretete rechts und Echnaton links, halten sie eine Hieroglyphe, die Hieroglyphe mit dem altägyptischen Lautwert 'Anch' und die Bedeutung dieser Hieroglyphe ist: Leben."

Thomas Mann spricht von einer "zärtlich verschwärmten Liebesreligion" - tatsächlich verabscheut der Echnaton der Schriftsteller (also die fiktive Gestalt) den Krieg und liebt die Natur.

Übrigens lässt Thomas Mann in seinem Roman keinen Zweifel daran, dass Echnatons Neuerungen eine Angelegenheit der Elite waren. Auch Jan Assmann spricht davon, dass unter Echnaton Volksreligion und Elitereligion auseinanderfallen. Ist zu Anfang des neuen Reiches, also um 1500 vor Christus die Stärkung eines neuen persönlicheren Bandes zwischen Mensch und Göttern jenseits des kultischen Bereichs zu beobachten, und damit eine Stärkung der Laien im Außerkultischen, so räumt Echnaton damit auf. Sein Eingottglaube macht diese Art der Demokratisierung von Glaubensangelegenheiten zunichte - indem er ihn als königliches Monopol sichert.

Doch das Erinnerungsverbot, die Auslöschung sämtlicher Spuren, die sensationellen späten Funde: Das alles übt einen besonderen Reiz aus, sich mit dem Umbruch von oben zu beschäftigen - und mit den späten Folgen. Wie viel hat da weitergelebt trotz der gründlichen Verdrängung, so wie Verdrängtes bekanntermaßen weiterlebt. Was verdanken die anderen monotheistischen Religionen dieser frühen Abkehr vom Polytheismus?

Immerhin hat Sigmund Freud den biblischen Mose zu einem Nachfahren Echnatons erklärt. Jan Assmann jedoch verwirft die Idee einer Urszene und der entsprechenden Nachwirkung - jedenfalls, wenn man kausale Zusammenhänge konstruieren wollte:

"Nur in einem Punkt - und das ist das, was ich die mosaische Unterscheidung nenne in der Religion. Also die Idee, es könnte so etwas wie falsche Götter geben oder eine falsche Religion, eine Religion, die man abschaffen muss. Das ist in der Amarna-Religion impliziert. Es wird nie explizit ausgedrückt. Aber implizit ist es völlig klar, dass Echnaton diesen Unterschied macht zwischen Kulten, die geschlossen werden müssen, die in ihrer Art falsch sind und dem einen Kult, der die Wahrheit darstellt.

Und dieses ganz abstrakte Element, was als eine implizite Handlungsmaxime zugrunde gelegt ist, dieses Element teilt die Amarna-Religion bereits mit den biblischen und mit dem islamischen Monotheismus. Und da könnte man sich fragen, wenn diese Idee einmal in die Welt gekommen ist, es könnte auch falsche Götter geben oder falsche Kulte usw. Ist es denkbar, dass diese Idee dann, einmal in der Welt, nicht mehr draus verschwindet? Sondern eben 600 Jahre später in anderen Zusammenhängen? Also ich weiß es nicht. Man könnte sich auch vorstellen, dass es eine so abstrakte Idee ist, dass sie davon unabhängig auch spontan in anderen Zusammenhängen auftaucht."

Herr der Ewigkeit!
Du bist strahlend, wunderschön und mächtig,
Deine Liebe ist groß und gewaltig.
Du bist Mutter und Vater für all dein Geschaffenes


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