Der Vorhang fällt und alle Fragen offen
Gönnen wir uns einen Moment des Durchatmens: Der Wahlkampf ist vorbei. War er wirklich so langweilig und substanzlos? Wer ehrabschneidende Behauptungen und Verunglimpfungen des politischen Gegners als unterhaltsame Würze empfindet, wer sich nach Reden a la Franz-Josef Strauß im Sonthovener Format sehnt, der hat sicher etwas vermisst. Kein Abendland mehr, das unterzugehen droht; Moskaus Fünfte Kolonne marschiert auch nicht mehr, selbst rote Socken sind im Schrank geblieben. Das unaufgeregte, fast skandinavische Flair des Wahlkampfs ist aber eher ein zivilisatorischer Fortschritt.
Problematischer ist die inhaltliche Ebene: Da verlegen sich Regierungsparteien aufs Appellative, als wollten sie vergessen machen, dass Sie doch bittschön seit vier Jahren an der Macht sind. Und die in der Opposition versetzen sich auf Forderungen, als hätten sie als einstige Regierungsparteien gar nichts mit den Zuständen zu tun, die sie jetzt so lauthals beklagen. Der eklatante Mangel an Substanz und inhaltlicher Auseinandersetzung – er ist vor allem darauf zurückzuführen, dass das Verhältnis zwischen Politikern und Bürgern inzwischen reif für den Therapeuten ist.
Viele Politiker haben offenbar schlicht Angst vor den Bürgern. Die Haltung, die daraus erwächst: bloß nichts Falsches sagen; immer in der Deckung bleiben, sich bloß nicht auf irgendetwas Konkretes festlegen lassen. Es könnte gegen einen verwendet werden. Jedem Kind wird beigebracht, dass es beim Taschengeld Prioritäten setzen muss: Wenn du dir das kaufst, musst du auf jenes verzichten. Aber die Politik traut sich nicht, von der Gesellschaft solche klaren Prioritäten zu verlangen. Am Ende ist ganz viel möglich, meistens kreditfinanziert und abhängig davon, welche Lobbygruppe ihre Partikularinteressen am Geschicktesten als Gesamtwohl-Interessen kommuniziert.
Und die Bürger – die pflegen inzwischen gegenüber ihren Volksvertretern eine Attitüde von verachtungsvoller Besserwisserei, die in der Tat die Politik demotivieren muss. Da werden Ansprüche und Erwartungen formuliert, die normale Menschen schon rein physisch nicht erfüllen können. Und wenn man solche, die angeblich wissen, wie es doch eigentlich gehen müsste, wenn man die fragt, warum sie denn nicht in die Politik gehen, dann winken die ab: So etwas tue ich mir doch nicht an.
Man wird diesen Wahlkampf nicht verstehen, ohne auf die dazwischen zu schauen: auf die Rolle der Medien. Sie sind für die Substanzlosigkeit mitverantwortlich. Der Berliner Käseglocken-Journalismus mag sich lustvoll im Spiel der Farbenkunde ergehen. Aber wenn er sich darin erschöpft, mutet er dem Publikum ebenso wenig an intellektueller Anstrengung zu wie die Politiker den Bürgern. Das berühmte Projekt Elterngeld zum Beispiel – wo war eigentlich Frau von der Leyen in den letzten Wochen – hat das teure Elterngeld wirklich mehr gebracht als einen Mitnahmeeffekt bei den begüterten Ständen? Wäre das Geld nicht besser in die Betreuung investiert worden? Oder darin, den Renten-Nachteil erziehender Frauen weiter zu mildern?
Wir ereifern uns über gierige Manager. Aber war es wirklich klug, die private Altersvorsorge so zu organisieren, dass ein paar Banken und Konzerne eine unantastbare Sonderstellung bekommen, die Marktregeln außer Kraft setzt?
Und ist es wirklich der Weisheit letzter Schluss, unser Kinder in acht Jahren zum Abitur zu hetzen, wenn nachher nur Warteschleifen vor den Hochschulen folgen?
Den Dingen einmal auf den Grund zu gehen, das ist in diesem Wahlkampf zu wenig passiert.
Politiker wie Medien sind inzwischen oft überfordert, oder haben zu wenig Zeit, um die Zusammenhänge politischer Entscheidungen zu erkennen und zu erklären. Und sie trauen auch den Bürgern immer weniger zu, das zu verstehen. Solange sich im Selbstverständnis dieser drei Akteure nichts ändert, wird der allgemeine Frust wie Mottenfraß weitergehen: Die führen uns hinters Licht und machen sowieso was sie wollen.
Mich hat dieser Wahlkampf an ein Wort des späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann aus dem Jahr 1955 erinnert: Merken wir denn nicht, dass unsere vorherrschende Weltanschauung aus drei Sätzen besteht: Viel verdienen; Soldaten, die das verteidigen und Kirchen, die beides segnen.
Es ist nur ein kleiner Trost. Aber früher war keineswegs alles besser.
Viele Politiker haben offenbar schlicht Angst vor den Bürgern. Die Haltung, die daraus erwächst: bloß nichts Falsches sagen; immer in der Deckung bleiben, sich bloß nicht auf irgendetwas Konkretes festlegen lassen. Es könnte gegen einen verwendet werden. Jedem Kind wird beigebracht, dass es beim Taschengeld Prioritäten setzen muss: Wenn du dir das kaufst, musst du auf jenes verzichten. Aber die Politik traut sich nicht, von der Gesellschaft solche klaren Prioritäten zu verlangen. Am Ende ist ganz viel möglich, meistens kreditfinanziert und abhängig davon, welche Lobbygruppe ihre Partikularinteressen am Geschicktesten als Gesamtwohl-Interessen kommuniziert.
Und die Bürger – die pflegen inzwischen gegenüber ihren Volksvertretern eine Attitüde von verachtungsvoller Besserwisserei, die in der Tat die Politik demotivieren muss. Da werden Ansprüche und Erwartungen formuliert, die normale Menschen schon rein physisch nicht erfüllen können. Und wenn man solche, die angeblich wissen, wie es doch eigentlich gehen müsste, wenn man die fragt, warum sie denn nicht in die Politik gehen, dann winken die ab: So etwas tue ich mir doch nicht an.
Man wird diesen Wahlkampf nicht verstehen, ohne auf die dazwischen zu schauen: auf die Rolle der Medien. Sie sind für die Substanzlosigkeit mitverantwortlich. Der Berliner Käseglocken-Journalismus mag sich lustvoll im Spiel der Farbenkunde ergehen. Aber wenn er sich darin erschöpft, mutet er dem Publikum ebenso wenig an intellektueller Anstrengung zu wie die Politiker den Bürgern. Das berühmte Projekt Elterngeld zum Beispiel – wo war eigentlich Frau von der Leyen in den letzten Wochen – hat das teure Elterngeld wirklich mehr gebracht als einen Mitnahmeeffekt bei den begüterten Ständen? Wäre das Geld nicht besser in die Betreuung investiert worden? Oder darin, den Renten-Nachteil erziehender Frauen weiter zu mildern?
Wir ereifern uns über gierige Manager. Aber war es wirklich klug, die private Altersvorsorge so zu organisieren, dass ein paar Banken und Konzerne eine unantastbare Sonderstellung bekommen, die Marktregeln außer Kraft setzt?
Und ist es wirklich der Weisheit letzter Schluss, unser Kinder in acht Jahren zum Abitur zu hetzen, wenn nachher nur Warteschleifen vor den Hochschulen folgen?
Den Dingen einmal auf den Grund zu gehen, das ist in diesem Wahlkampf zu wenig passiert.
Politiker wie Medien sind inzwischen oft überfordert, oder haben zu wenig Zeit, um die Zusammenhänge politischer Entscheidungen zu erkennen und zu erklären. Und sie trauen auch den Bürgern immer weniger zu, das zu verstehen. Solange sich im Selbstverständnis dieser drei Akteure nichts ändert, wird der allgemeine Frust wie Mottenfraß weitergehen: Die führen uns hinters Licht und machen sowieso was sie wollen.
Mich hat dieser Wahlkampf an ein Wort des späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann aus dem Jahr 1955 erinnert: Merken wir denn nicht, dass unsere vorherrschende Weltanschauung aus drei Sätzen besteht: Viel verdienen; Soldaten, die das verteidigen und Kirchen, die beides segnen.
Es ist nur ein kleiner Trost. Aber früher war keineswegs alles besser.