Der Vatikan forscht im Supermarkt der Spiritualitäten

Von Thomas Migge |
Von Sekten und Buddhismus, von Scientology und Bagwhan, von Schamanismur und Wiedergeburt hatten man in den altehrwürdigen Hallen der römischen Gregoriana noch nie etwas gehört. In der über 500 Jahre alten Hochschule der römisch-katholischen Päpste werden Kirchengeschichte, Exegese und Doktrinen gelehrt. Alles, was nicht zur katholischen und christlichen Welt gehört, wurde bisher nur am Rande erwähnt – und nicht unbedingt ernst genommen. Michael Fuss ist der Beweis dafür, dass sich auch an der Papst-Uni im erzkatholischen Rom einiges ändert:
„Es geht hier nicht um eine Kritik oder um eine Apologetik wie in früherer Zeit, sondern tatsächlich eigentlich darum, dem Bedürfnis der heutigen Menschen nachzuspüren, die nach religiösen Werten und religiösen Orientierungen suchen, aber sie oftmals nicht in der christlichen Kirche mehr finden.“

Michael Fuss ist ein Nachspürer, jemand, der den religiösen Orientierungen seiner Zeitgenossen auf die Spur kommen will. Der Theologe ist ein international ausgewiesener Esoterikexperte. Er hört sich um, er liest, er forscht und studiert und reist um die Welt, um religiöse Trends und Ideen, gefährliche und harmlose Sekten, um alle möglichen Ausdrucksformen religiöser Bedürfnisse außerhalb des Christentums zu erkunden – wie zum Beispiel New Age, Reiki aber auch Astrologie. Der 57-jährige Deutsche bietet in der Gregoriana einen zweijährigen Masterstudiengang für nichtkonventionelle Religionen und Spiritualitätsformen an. Ein absolutes Novum:

„Ich bin von Haus aus eigentlich Religionswissenschaftler, habe mich eigentlich auf östliche und asiatische Religionen spezialisiert, aber hab eben festgestellt, dass es heute sehr viele Mischformen gibt und vor allem auch neue Entwicklungen auch innerhalb der asiatischen Religionen, die ja in den Westen ausstrahlen und die man eben auch vom Religionswissenschaftlichen her betrachten muss.“

Fuss unterrichtet angehende Geistliche, Ordensleute und einige wenige Laien aus den verschiedensten Ländern. Im kommenden Semester wird er das Esoterikangebot seines Magisterstudiengangs sogar um das Thema Reinkarnation erweitern. Als Leiter dieses Studiengangs zieht er dafür auch andere Experten als Assistenten heran: eine christische Theologin aus Korea erklärt Formen von Schamanismus und ein spanischer Dominikaner informiert über neue Religionsformen in Südamerika.

Michael Fuss will aber nicht nur einen vertieften akademischen Einblick in den globalen Supermarkt der Spiritualität bieten. Ihm geht es auch darum, auf mögliche Gefahren hinzuweisen, die in bestimmten Religions- und Spiritualitätsformen enthalten sein können. Ein Beispiel von vielen: Während unseres Gesprächs zieht er ein Buch des Theosophen Rudolf Steiner aus seiner schwarzen Aktentasche. Ein Buch aus den 20er Jahren, das erst kürzlich neu aufgelegt wurde und in dem, so Fuss, Menschen mit dunkler Hautfarbe mit eindeutig rassistischen Bemerkungen abgetan werden.

Fuss weist darauf hin, dass sich die katholische Kirche innerhalb ihrer langen Geschichte immer um die so genannte „Inkulturation“ bemüht habe, das heißt nichts anderes, als dass ihre Geistlichen, um nur ein Beispiel zu nennen, in traditionelle afrikanische Gewänder schlüpfen, um ihre Religion unters Volk zu bringen – dabei aber in der Sache ganz sie selbst bleibt:

„Da sehe ich heute tatsächlich die Notwendigkeit, dass das Christentum sich auch inkulturiert in diese ganze esoterische Religiösität, die ja tatsächlich eine, ja man kann sagen, Lebensform für viele Menschen heute bedeutet.“

Theologe Fuss will seine Studierenden fit machen, damit sie im pastoralen Leben den Gläubigen klar machen können – mit konkreten Fakten und Informationen – dass Kirche nicht gleich Kirche und Religion nicht gleich Religion ist und dass das immer beliebtere Rezept: ein bisschen Christentum, ein bisschen Esoterik und Astrologie und vielleicht auch Buddhismus nichts mit dem wahren Glauben der katholischen Kirche zu tun habe. Unterscheidungsvermögen sei angesagt, so der Experte:

„Ein Beispiel wäre etwa nur der Gebrauch des Wortes Kirche durch die Scientology-Organisation, die eindeutig überhaupt nichts mit Religion zu tun hat. Allerdings ist der Begriff Kirche in dem rein Rechtlichen nicht geschützt und jeder kleine Verein kann sich theoretisch Kirche nennen.“

Beim Stichwort Scientology verrät Fuss, dass im Vatikan das Wissen um Esoterik und neue spirituelle Organisationsformen sehr begrenzt sei. Mit bedenklichen Folgen: Als der Deutsche vor einiger Zeit auf eine Veranstaltung im Kongresszentrum der Gregoriana-Universität aufmerksam wurde, an dem auch ein römischer Kurienkardinal teilnahm, und der von einer ominösen interparlamentarischen Organisation aus den USA veranstaltet wurde, forschte Fuss nach. Dabei entdeckte er, dass hinter den Organisatoren des Kongressen die Scientologen-Vereinigung steckte. Das Entsetzen über diese Entdeckung war grenzenlos im Vatikan, denn mit diesen Leute will man nun wirklich nichts zu Schaffen haben – vor allem nicht in den eigenen Räumlichkeiten.