Der unverstellte Blick der Jugend

Von Rudolf Schmitz · 21.02.2013
Die Niederländerin Rineke Dijkstra zählt zu den bekanntesten Foto- und Videokünstlern der Gegenwart. Das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main zeigt nun die erste Retrospektive ihrer Arbeiten, die oft von jungen Menschen an der Schwelle zum Erwachsensein handeln.
Sie hat ein Faible für junge Menschen, die dabei sind, sich zu entdecken, mit all den Ängsten, Unsicherheiten und Posen, die nun einmal dazu gehören. Und diese liebevolle Aufmerksamkeit für das Ungelenke, für das Erwartungsvolle oder die heroisch überwundenen Selbstzweifel macht Rineke Dijkstras Fotografien so anrührend und überzeugend. Zum Beispiel die Jungen und Mädchen, die sie im Berliner Tiergarten fotografiert hat: Als seien sie in den Posen eines selbstverlorenen Spiels festgebannt.

Dijkstra: "Das mag ich an jungen Menschen, dass sie noch so offen sind und alles zum ersten Mal erleben. Sie haben noch keine festen Gewohnheiten, da ist noch so viel Neugier. Und es hat auch mit Schönheit zu tun, aber nicht mit der Schönheit, wie sie die Medien servieren."

2009 hat die niederländische Künstlerin das Liverpooler Nachtleben erforscht und im Club "Krazyhouse" ein Studio aufgebaut, mit weißem Hintergrund. Sie hat fünf Jungendliche gebeten, dort für sie zu tanzen. Und diese Videos sind ihre neueste und vielleicht faszinierendste Arbeit. Denn es sind großartige Studien dabei herausgekommen: Bilder von Ekstase, von Selbstvergessenheit, von Übermut, aber auch von Zaghaftigkeit und Irritation. Die meisten Betrachter dieses 4-Kanal-Videos haben ein Lächeln auf dem Gesicht, denn diese Selbstoffenbarung, die man dort sieht, ist mitreißend und macht gute Laune.

"Es entsteht ein gutes Gefühl und für mich ist das alles eine Art Porträt. Wichtig ist, dass man eine Beziehung bekommt zu der Person, die man dort sieht. Sie alle tanzen zu ihrer Lieblingsmusik und das bringt eine gute Energie ins Spiel."

Arbeiten, die einen schmunzeln lassen
Ein 13-jähriges Mädchen, Annemiek, bewegt die Lippen zu ihrem Lieblingssong von den Backstreet Boys. Sie traut sich dabei kaum, in die Kamera zu blicken, als würde sie dort ihr Spiegelbild sehen. Doch nach und nach lässt sie sich vom Song hinreißen und wird freier. Peter Gorschlüter, Kurator der Frankfurter Ausstellung:

"Das kennen wir alle aus der Pubertät, wo wir langsam uns unserem eigenen Selbst bewusst werden und andererseits auch manchmal beschämt sind von dem Blick in den Spiegel. Eben diese Momente, in denen wir selbst Vertrauen fassen, die spiegeln sich auf verschiedenen Ebenen im Werk von Rineke Dijkstra wider und ich glaube, daran erkennen wir uns wieder, und das macht es aus, dass diese Arbeiten uns schmunzeln lassen oder eine Vertrautheit haben, die so faszinierend ist."

In einem Liverpooler Museum ist Rineke Dijkstra einer Schulklasse begegnet, mit grauen Schulpullovern und roten Krawatten. Auch mit ihnen hat sie ein Video gemacht: Sie sitzen vor einer Reproduktion des Picasso-Bildes der weinenden Frau von 1937 und beschreiben, was sie sehen. Der Betrachter sieht nur die Gesichter der Schüler und hört ihre wunderbaren, skurrilen, oft von persönlichen Erlebnissen geprägten Interpretationen.

Unten im Museum dann, in der Eingangshalle, begegnen wir dem Original von Picasso, ausgeliehen von der Tate London. An der gegenüberliegenden Wand das Foto einer spröden Schönheit in gelbem Rüschenkleid von Rineke Dijkstra, im Zwischenraum eine Installation von Tobias Rehberger mit neun George-Nelson Lampen. Eine ebenso beschwingende wie tiefgründige Begegnung zum Thema Schönheit, Schmerz und Utopie.

Diese Dialoge mit Werken der Sammlung setzen sich in allen Räumen der Ausstellung fort. In einer gewaltigen Umräumaktion hat das Frankfurter Museum für Moderne Kunst, nach Rineke Dijkstras Wünschen, solche Konstellationen geschaffen, um die Fotografien und Videoinstallationen der niederländischen Künstlerin zu zeigen. Das beweist nicht nur, welchen Rang man der Fotografin zumisst. Sondern bringt auch frischen Wind in die Sammlung des Museums, jugendlichen, unbesorgten Charme. Dabei ist die hier gezeigte Kunst ohnehin sehr jung. Aber jetzt, mit Rineke Dijkstra, fängt das alles an zu schweben.


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