Der Untergang des Hauses Buch

Hans Christoph Buch hat vordergründig einen autobiografischen Roman geschrieben, der sich jedoch weitet und als beunruhigend faszinierendes, burleskes Welttheater mit verschiedenen Handlungssträngen entpuppt.
Es ist eine Paarreise der besonderen Art: Der Berliner Schriftsteller H.C. Buch und dessen Ex-Frau Judith feiern in Südfrankreich nicht nur das Jubiläum ihrer Hochzeit vor drei Jahrzehnten, sondern auch den Jahrestag ihrer einvernehmlichen Scheidung, die ebenfalls bereits einige Zeit zurück liegt. Darüber hinaus liefert die bergige Gegend rund um das Kloster La Sainte Baume Reminiszenzen an die frühe Jugend: Aufgewachsen in Marseille als Sohn des deutschen Generalkonsuls, war der 1944 geborene Buch hier zeitweise Internatsschüler und hat lateinische Verse gepaukt.

Auch später war er immer wieder in den Süden zurückgekehrt, als Teenager-Dandy der frühen 60er-Jahre, dem es die französischen Mädchen und der amerikanische Jazz mehr angetan hatten als die Bücher der deutschen Emigranten-Schriftsteller, die drei Jahrzehnte zuvor im nahe gelegenen Küstenstädtchen Sanary-sur-Mer logiert hatten.

Die Assoziationen des reisenden Schriftstellers sind also mannigfaltiger Art, werden jedoch gebändigt durch einen ebenso prägnanten wie sinnlichen Stil, der aus den mäandernden Erinnerungen Bilder macht, die sich sofort ins Gedächtnis haken. Das zum Teil karikierend Vignettenhafte, das Auf und Ab der an Marionetten erinnernden Gestalten ist dabei Absicht, die den auf realistische Lektüre getrimmten Leser zwar mitunter irritiert, jedoch nicht verstimmt. Die Erfahrungen, vor allem aber Brüche historischer und individueller Existenz lassen sich nicht eins zu eins nacherzählen.

Und so ist es schließlich auch keine arbiträre Autoren-Laune, wenn wir uns dann plötzlich direkt in Sanary befinden, wo die Schriftstellerin Sybille Bedford als eine Art jung-lesbische Francoise Sagan der 30er-Jahre mit offenem Mund das Defilee der dortigen Exil-Schriftsteller bestaunt, Klaus Mann kennenlernt und bei einem Abend im Hause Thomas Manns eine Bemerkung des ebenfalls eingeladenen Lion Feuchtwangers aufschnappt, nach der die Menschheit schon immer am Abgrund gestanden habe und jede Zivilisation artifiziell sei.

Eine Einsicht, die H.C. Buch dann auf einer anderen Romanebene, in seiner zweiten Heimat auf der Karibikinsel Haiti, aufs Schlimmste bestätigt findet: Nach dem desaströsen Erdbeben ist das ohnehin geschundene Eiland kaum mehr wiederzuerkennen – auch die eigenen (Buchlesern aus vielen vorangegangenen Romanen bereits bekannten) Familienbezüge haben sich aufgelöst; die um die vorvergangene Jahrhundertwende von seinem ausgewanderten Großvater gegründete Apotheke ist längst geschlossen, und in einem der Räume liegt sogar ein Sterbender, vermutlich ein im allgemeinen Chaos angeschossener Plünderer.

Wiederum aber wird das Tohuwabohu nicht nur durch verfremdete literarische Zitate ("Der Untergang des Hauses Buch") und Exkurse in die Götterwelt der Voodoo-Religion ("Baron Samstag") auf Abstand gehalten, auch trägt die strenge Gliederung des Romans zu seiner immensen Lesbarkeit bei: Gegliedert in je drei Bücher, findet sich jedes der insgesamt neun Binnenkapitel unter der gleichen Überschrift: Gott in Frankreich – Haiti gibt es nicht – Das dritte Ufer des Flusses.

Jenes, eine vermeintliche Absurdität, befindet sich in der brasilianischen Amazonas-Region, welche Judith nach dem Tod ihres Ex-Mannes durchstreift: Der Autor H.C. Buch war am Ende ihrer gemeinsamen Südfrankreich-Reise bei einer einsamen Bergwanderung schließlich zu Tode gekommen. Eine weitere Volte, die nicht nur die Hörer dieses Senders verblüffen wird, die Hans Christoph Buchs Stimme immerhin aus zahlreichen Kommentaren zu den Bürgerkriegen dieser Welt kennen.

Denn der viel interessierte weltreisende Reporter, Essayist und Romancier ist selbstverständlich nicht tot, auch hat er sein eigenes Verschwinden nicht etwa pompös zelebriert, sondern eher en passant erwähnt, sozusagen am Schluchtenrand. Ich ist demnach noch immer ein Anderer und die Welt ein gefährlicher Ort: Dass sie aber dennoch in ihren räumlichen und zeitlichen Schichtungen darstellbar ist - wenn auch nur in den Kapriolen eines hoch artifiziellen, fluoreszierend spiralförmigen Textes - kann sehr wohl als Sieg der Literatur gelten, als Beweis eines überaus gelungenen Romans.

Besprochen von Marko Martin

Hans Christoph Buch: Baron Samstag
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2013
256 Seiten, 19,90 Euro
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