Der unbekannte Klimakiller

Marion Wichmann-Fiebig im Gespräch mit Dieter Kassel · 09.01.2013
Neben Kohlendioxid trägt zunehmend auch Stickstofftrifluorid zur Aufheizung der Erdatmosphäre bei, warnt Marion Wichmann-Fiebig vom Umweltbundesamt. Das Gas wird vor allem bei der Herstellung von Flachbildschirmen in Asien freigesetzt.
Dieter Kassel: Geht es um Treibhausgase und den Klimawandel, dann ist eigentlich immer sofort vom Kohlendioxid die Rede. Das ist auch keineswegs unberechtigt, denn in Deutschland zum Beispiel macht CO2 ungefähr 85,86 Prozent der klimaschädlichen Ausstöße aus. Auch weltweit ist es das mit Abstand häufigste Treibhausgas, aber es ist nicht das einzige, und es ist auch nicht das gefährlichste.

Die klimafeindliche Wirkung von Stickstofftrifluorid zum Beispiel soll 17.200 mal so stark sein. Und weil außerdem der Ausstoß von NF3, so wird diese Substanz abgekürzt, in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, wurde das Gas jetzt auch ins verlängerte Kyoto-Protokoll mit aufgenommen.

Grund genug für ein Gespräch mit Marion Wichmann-Fiebig, sie leitet beim Umweltbundesamt innerhalb des Fachbereichs 2, der zuständig ist für gesundheitlichen Umweltschutz und den Schutz der Ökosysteme, die Abteilung Luft, und sie sitzt jetzt im Studio in Dessau für uns. Schönen guten Tag, Frau Wichmann-Fiebig!

Marion Wichmann-Fiebig: Einen schönen guten Tag!

Kassel: 17.200 mal so gefährlich wie CO2 soll Stickstofftrifluorid sein. Was bedeutet das denn konkret, und kann man das wirklich so ausrechnen?

Wichmann-Fiebig: Man kann es so ausrechnen. Es geht ja darum, welcher Anteil der Strahlung tatsächlich von so einem Gas absorbiert wird und unsere Atmosphäre aufheizt, das weiß man recht genau. Das heißt, für das einzelne Molekül kann man das sagen, und das bedeutet schon, wenn ich eben ein Kilogramm CO2 ausstoße, dann hat das die gleiche Wirkung, als wenn ich nur ein Siebzehntausendstel von diesem NF3 ausstoße. Allerdings sind die Produktionsmengen und die Freisetzungsmengen noch relativ klein beim NF3.

Kassel: Woher das Kohlendioxid kommt, wissen die meisten Menschen zumindest halbwegs. Woher kommt denn das NF3?

Wichmann-Fiebig: Das ist ein technisches Gas, das in Produktionsprozessen eingesetzt wird, und zwar vor allem bei der Herstellung von Flachbildschirmen und auch in der Dünnschicht-Solarzellentechnik. Das bedeutet nicht, dass dieses Gas jetzt in den Bildschirmen direkt drin ist, aber beim Produktionsprozess braucht man es, um Siliziumreste wieder zu entfernen. Im Idealfall bleibt es dann eigentlich auch im Prozess und wird nicht freigesetzt, aber zu 100 Prozent klappt das eben nicht.

Kassel: Wenn Sie sagen, es kann entweichen, muss aber nicht, heißt das, die Tatsache, dass dieses Gas überhaupt in die Atmosphäre kommt, ist sozusagen irgendwelcher Unordnung beim Produktionsprozess geschuldet?

Wichmann-Fiebig: Unordnung nicht direkt. Also es wird zunächst mal im Produktionsprozess selber, in der Verwendung, eigentlich zerstört, also das Gas ist dann in diesem Prozess gar nicht stabil, es bleiben aber ein bis drei Prozent übrig. Wenn man eine Abgasreinigungsanlage hat, was bei deutschen Produktionsfirmen häufig der Fall ist, kann man wesentliche Teile von dem Gas dann auch zurückhalten. Das ist allerdings in Produktionsstätten gerade in Asien häufig nicht der Fall, und dort entweicht das dann eben in die Atmosphäre.

Kassel: Wozu es wahrscheinlich kommen dürfte – Sie haben das schon erwähnt, bei welchen Produktionen man dieses Gas vorwiegend braucht –, dass vermutlich das Gas auch in asiatischen Ländern, zum Beispiel bei der Herstellung von Flachbildschirmen oder Solarzellen auch weitaus häufiger eingesetzt wird als bei uns.

Wichmann-Fiebig: Die Produktionszahlen sind dort einfach sehr viel höher, als sie es in Deutschland sind. Und naturgemäß wird dann eben auch mehr von diesem Gas eingesetzt. Wir beobachten zurzeit in der Welt etwa einen elfprozentigen Anstieg in der Atmosphäre, und den führen wir schon wesentlich auf die Produktionszahlen und Produktionsprozesse in Asien zurück.

Kassel: Bleibt denn dieses Gas vergleichbar lange in der Atmosphäre wie CO2, wenn es erst mal dort hingelangt ist?

Wichmann-Fiebig: Es bleibt 740 Jahre in der Atmosphäre, zirka. Das ist ein ziemlich langer Zeitraum, und auch das ist ein Aspekt, warum dieses NF3 durchaus von Bedeutung ist, neben den wachsenden Freisetzungsraten eben und der hohen Treibhauswirkung eben auch die lange Lebenszeit.

Kassel: Nun ist aber doch, wenn ich das nicht missverstanden habe, NF3 im Prinzip schon ein Ersatzstoff für andere, für inzwischen verbotene Fluorkohlenwasserstoffverbindungen. Hat man, als man diesen Ersatzstoff eingeführt hat, das nicht gewusst, dass man da quasi den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben hat?

Wichmann-Fiebig: Nun, man hat zunächst mal versucht, die Treibhauswirkungen, die Klimawirkungen der FCWs, also der Vorläuferstoffe, zu vermindern, indem man ein Gas einsetzt, was nicht ganz so schädlich ist, zumal zur damaligen Zeit die Produktionsraten einfach noch sehr gering waren. Wir kennen es alle, Flachbildschirme sind in den letzten Jahren sprunghaft auf den Markt gekommen, jeder hat sie mehr oder weniger zu Hause inzwischen. Vor 10 oder 15 Jahren hat davon noch niemand geredet. Man muss halt ständig sehen, dass man, wenn sich solche Prozesse entwickeln, dann auch gegensteuert und Entwicklungen, die vielleicht bei Einführung eines Gases noch gar nicht abzusehen waren, jetzt auch etwas entgegensetzt.

Kassel: Wir reden heute im Deutschlandradio Kultur mit Marion Wichmann-Fiebig vom Umweltbundesamt über die Gefahren, die von NF3 ausgehen, das ist die Abkürzung für ein Gas namens Stickstofftrifluorid. Nun haben wir schon gerade darüber geredet, dass es eigentlich der Ersatz für – Sie haben das auch gesagt – noch viel giftigere, gefährlichere Stoffe ist. Kann man denn diesen Stoff auch durch irgendetwas ersetzen, oder liegt die Lösung eher darin, ihn eben wirklich so einzusetzen, dass er nicht mehr in die Umwelt gelangt?

Wichmann-Fiebig: Man sollte beides tun, wie immer. Zunächst mal ist natürlich zu vermeiden, dass der Stoff freigesetzt wird, das ist das, was wir heute schon machen können, es gibt aber auch schon Ersatztechnologien, die dann wirklich – da sind wir uns jetzt sicher – ohne Treibhauseffekt möglich sind. Es gibt sogenannte – jetzt kommt der nächste Begriff – Fluorwasserstoffe, da kommen dann also noch weniger Komponenten zum Tragen, die können heutzutage schon technisch eingesetzt werden, werden auch eingesetzt, um genau diesen Reinigungsprozess, der bei der Herstellung von Flachbildschirmen eben nötig ist, um diesen Reinigungsprozess zu erreichen.

Sie sind bei der Herstellung der Produktionsanlagen, bei der Inbetriebnahme sind sie im Augenblick noch etwas teurer. Wir nehmen an, dass sie sich eigentlich im Betrieb auf die Dauer rechnen, zumal dann auch weniger Energie eingesetzt werden muss – Energie kostet Geld. Es ist, wie gesagt, eine Produktionstechnik, die von einzelnen Herstellerfirmen schon eingesetzt wird, aber noch nicht breite Verwendung findet. Allerdings würden wir das eben anstreben.

Kassel: Sie haben ja erklärt, dass es sich um Industriegas handelt, das heißt, es gibt Firmen, die das herstellen. Und meines Wissens sitzt der größte Hersteller von NF3 in den USA und verdient damit vermutlich ordentlich Geld, das heißt, es gibt auch wieder Geschäftsinteressen, die wahrscheinlich der Einschränkung der Verwendung von NF3 entgegenstehen.

Wichmann-Fiebig: Das wird sicherlich so sein, dass dort bei dem Herstellerunternehmen natürlich Vertriebsinteressen bestehen, aber entscheidend für die Nutzung sind in der Tat die Produktionsfirmen, die den Stoff einsetzen. Da kommt man eigentlich nur über die Wirtschaftlichkeitsschiene ran – der Appell an die Verminderung des Klimaeffekts wird zunächst mal nicht greifen, zumal eben derzeit zum Glück die Mengen noch so gering sind, dass sie nicht gravierend ins Gewicht fallen.

Kassel: Was mich sehr nachdenklich gemacht hat, als ich das erste Mal von Stickstofftrifluorid gehört habe – und ich gebe zu, das ist noch nicht besonders lange her –, ist, dass ich das gar nicht gekannt habe. Man kennt Kohlendioxid, manch einer hat auch noch vom Methangas als Klimaschädling gehört, ich kriege vielleicht auch noch ein, zwei weitere zusammen, aber dieser Stoff war ja – vor allen Dingen seine Gefährlichkeit in diesem Ausmaß – selbst auf dem Bildschirm von Wissenschaftlern vor ein paar Jahren noch nicht. Ist die Befürchtung berechtigt, dass es neben den uns bekannten klimaschädlichen Gasen noch weitere gibt, die nach und nach eine Rolle spielen werden?

Wichmann-Fiebig: Es gibt sicherlich noch weitere, aber ich kann Ihnen da nicht ganz folgen, dass es der Wissenschaft nicht bekannt ist. Wir zum Beispiel verfolgen eben NF3, ohne es jetzt wirklich selber seitens des Umweltbundesamtes zu messen, verfolgen die Entwicklung schon seit einiger Zeit. Man darf aber jetzt natürlich echt auch nicht dramatisieren, wenn eben die Mengen, die freigesetzt werden, noch sehr gering sind.

Wir haben jetzt gesagt: Vorsicht, es beginnt langsam in eine Größenordnung zu wachsen, wo man gegensteuern sollte. Und das gilt natürlich auch für andere Stoffe, von denen wir wissen, die nicht überall, aber doch an einigen zuverlässigen Beobachtungsorten gemessen werden, und wo man halt rechtzeitig schauen muss, muss man gegensteuern, müssen Einschränkungen, Beschränkungen ergriffen werden, oder ist das noch akzeptabel im Vergleich zu dem CO2 und zu den CO2-Mengen, die immer noch freigesetzt werden.

Kassel: Dann stelle ich die Frage gerne neu, weil ich wollte Ihnen gar nicht unterstellen, dass Sie nicht gewusst haben, dass NF3 grundsätzlich sehr schädlich ist fürs Klima. Aber dann sagen wir mal so, es war bis vor wenigen Jahren ja tatsächlich nicht absehbar, dass die Mengen so relevant sind, dass man sich da wirklich weltweit drum kümmern muss. Ich verstehe also Ihre gerade gegebene Antwort so, dass das schon denkbar ist, dass auch andere Substanzen, die im Moment noch nicht relevant sind, fürs Weltklima relevant werden können.

Wichmann-Fiebig: Das ist auf jeden Fall so, das kann man nicht ausschließen.

Kassel: Frage zum Schluss, weil manch einer beunruhigt ist: Sie haben es zwar am Rande erwähnt, aber wenn ich jetzt einen Flachbildschirm zu Hause im Wohnzimmer habe oder Solarzellen auf dem Dach, da muss ich mir keine Sorgen machen. Ich meine, die sollte ich logischerweise irgendwann mal umweltgerecht entsorgen, aber NF3 kann da nicht rauskommen?

Wichmann-Fiebig: NF3 ist nicht mal drin. Es wird halt bei der Produktion verwendet, das heißt aber nicht, dass dieser Stoff in einem Flachbildschirm ist, sondern wirklich im Nachhinein eigentlich zur Reinigung der Produktionsstätten wieder eingesetzt wird. Abgesehen davon muss man sich auch keine gesundheitlichen Sorgen machen, denn es ist eben kein Stoff, der durch Einatmen oder Hautkontakt unmittelbar jetzt die menschliche Gesundheit gefährden würde, sondern das Risiko, das in der Verwendung des Stoffes liegt, ist eben die Klimawirkung, ist die Klimaerwärmung, die damit verbunden ist.

Das heißt, man sollte sich eigentlich nicht unbedingt Sorgen machen, was aus dem eigenen Bildschirm rauskommt, sondern man soll vielleicht gucken wo er herkommt, und wenn man die Möglichkeit hat, vielleicht mal fragen, wie denn der Produktionsprozess gestaltet ist.

Kassel: Marion Wichmann-Fiebig vom Umweltbundesamt über Stickstofftrifluorid, ein Klimaschädling, dessen Namen oder wenigstens die einfacher auszusprechende Abkürzung NF3 wir uns wohl merken sollten. Frau Wichmann-Fiebig, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Wichmann-Fiebig: Gern geschehen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.