Der unbekannte Dichter der bekanntesten Dichtung

Von Oliver Seppelfricke |
Kaum eine Figur der Antike hat die westliche Kultur so nachhaltig geprägt wie Homer. Auch 2800 Jahre später bleiben der Trojanische Krieg, die schöne Helena und der schlaue Odysseus Allgemeingut. Dem Schöpfer von Ilias und Odyssee widmet das Antikenmuseum Basel nun eine Sonderausstellung: "Homer. Der Mythos von Troja in Dichtung und Kunst" heißt sie und sie zeigt 250 auf Homer bezogene Exponate aus über vier Jahrtausenden – vom antiken Papyrus bis zur modernen Video-Installation.
"Nenne mir, Muse, den Mann, den Weitgereisten..." So beginnt das epochale Werk "Die Odyssee". Bis heute übt es eine ungebrochene Faszination aus. Genauso wie die Sage um die Schlacht um Troja. Andrea Bignasca, Kurator der Schau im Antikenmuseum Basel:

"Wir stellen nach der Troja-Ausstellung in Deutschland, die den Schauplatz thematisiert hat, den Dichter und seine Werke heraus. Von seiner Wirkung in der Antike bis in die zeitgenössische Kunst."

Die Basler Schau stellt erstmals die Person Homers und die Großdichtungen "Ilias" und "Odyssee" in den Mittelpunkt einer Ausstellung. Eine nötige Veranstaltung, denn über den Mann, der als Homeros bekannt geworden ist, weiß man sehr wenig.

Andrea Bignasca: "Homer hat im westkleinasiatischen Raum gelebt und hat für Griechen gesungen und geschrieben. (...)"

Gut 250 äußerst hochkarätige Kunstwerke aus 50 Museen und Sammlungen, darunter zahlreiche griechische Keramiken, versuchen, die vielen ungelösten Fragen zu klären: Stammen die beiden Großepen wirklich von der Figur, die als "Homeros" bekannt ist? Oder sind sie nicht vielmehr der Endpunkt einer jahrhundertealten mündlichen Überlieferung? Damit quasi die Zusammenschrift all dessen, was man bis dahin an Gesängen über den Untergang Trojas oder die Irrfahrten eines Mannes namens Odysseus sich erzählt und besungen hat? Sind sie die Leistungen eines Dichters namens Homer? Oder hat dieser "nur" aufgeschrieben, was an alten Gesängen zu seiner Zeit überliefert war ? Bis heute ist diese Frage nicht eindeutig geklärt. Nur soviel weiß man:

Andrea Bignasca: "Es gibt Unterschiede zwischen den beiden Epen. Die 'Ilias' erzählt über den Krieg, über die Ehre, den Kampf, die Schönheit, über die traditionellen Werte der Gesellschaft Homers. Die 'Odyssee' ist fortschrittlicher. Sie geht auf die kulturelle Entwicklung in Griechenland zurück, auf die Kolonisierung des Mittelmeerraums, als die Griechen die Schrift übernahmen.”"

Die beiden Epen "Ilias" und "Odyssee" sind nur deshalb bis zu uns heute gelangt, weil im Mittelalter die damals komplett vorliegenden ägyptischen Papyri, auf denen die Werke Homers festgehalten waren, in Klöstern übersetzt und verschriftlicht wurden. Ein Großteil der Papyri ist inzwischen zerstört. Überlebt haben jedoch die mittelalterlichen Übertragungen, die wiederum spätere Übersetzer wie Voß als Grundlage für ihre Texte genommen haben. Der Homer, den wir heute lesen, ist also ein relativ eindeutiger Text, von den Sprach- und Altertumswissenschaftlern akzeptiert, und zu Homers Zeit war er etwas völlig Neues:

" "Die vorhomerischen Epen schildern einen Ablauf, haben Anfang, Mitte, Ende, Homer dagegen fokussiert auf ein Ereignis, er stellt 51 Tage aus dem zehn Jahre dauernden Krieg um Troja dar und stellt die Frage nach den Gründen menschlicher Gewalt, er geht in die Tiefe. Was ist Krieg, warum kämpfen die Leute? Das ist neu und es fasziniert bis heute!"

Der Schriftsteller Raoul Schrott stellt in seiner jüngst veröffentlichten neuen Ilias-Übersetzung die These auf, Homer sei ein griechischer Schreiber in assyrischem Auftrag gewesen, zudem ein Eunuch, und der Kampf um Troja habe 800 Kilometer südöstlich von Schliemanns Ausgrabungsort stattgefunden, im sogenannten Kilikien. Die Fachwissenschaften haben heftig widersprochen, zum Teil diese These aber auch als Anregung begrüßt. Und was sagt die Basler Ausstellung dazu? Sie antwortet am Eingang mit einem Merkblatt, ganz klar und eindeutig:

"Wir widersprechen, Schrott ist nicht wissenschaftlich!"

Service:
Die Ausstellung "Homer - Der Mythos von Troia in Dichtung und Kunst" ist bis zum 17. August 2008 im Antikenmuseum Basel zu sehen.