Der typische Jelinek-Sound

07.06.2013
Elfriede Jelinek schrieb anlässlich der Münchner Opernfestspiele 2012 die Wagner-Paraphrase "Rein Gold". Darin nimmt sie die Auseinandersetzung zwischen Wotan und Brünnhilde in Wagners "Walküre" zum Ausgangspunkt für ihre eigene Interpretation des Konflikts. Ein gewohnter Jelinek-Essay mit zu viel Kalauern.
Anlässlich der Münchner Opernfestspiele 2012, die Intendant Nikolaus Bachler unter das Motto "Rund um den Ring" gestellt hatte, schrieb Elfriede Jelinek für die Bayerische Staatsoper die Wagner-Paraphrase "Rein Gold", der sie den Untertitel "Ein Bühnenessay" gab. Uraufgeführt wurde "Rein Gold" als szenische "Urlesung" im Juli 2012 im Münchner Prinzregentheater. Inzwischen hat Elfriede Jelinek ihren Bühnenessay für die vorliegende Buchfassung nochmals um 90 Seiten erweitert.

Ohne das szenische Spektakel der "Urlesung" muss "Rein Gold" nun als reiner Lesetext rezipiert werden. Der Text ist sperrig und strapaziös und stellt hohe Anforderungen an die Disziplin, Geduld und Ausdauer des Lesers. Er ist über weite Strecken eine ebenso spröde wie ausufernde Lektüre, allerdings aufgelockert durch sarkastische aktuelle Anspielungen und gnadenlose Selbstverspottungen der Autorin für die eigene, nicht zu bremsende Schreibwut. Wagner-Parodie und Selbst-Parodie strukturieren den Text.

Elfriede Jelinek nimmt das Abschiedsgespräch zwischen Wotan und Brünnhilde im dritten Aufzug von Wagners "Walküre" zum Ausgangspunkt für ihre ganz eigene Lesart der Auseinandersetzung zwischen dem Göttervater und seiner ungehorsamen Lieblingstochter. In langen, handlungslosen, monologischen Prosa-Litaneien, verteilt auf die Sprecher W. und B., Wotan und Brünnhilde, paraphrasiert Jelinek die wichtigsten Themen und Motive der "Ring"-Tetralogie - Gier, Macht, Gold, Raub, Betrug, Schuld und Schulden, Held, Weltenbrand und Untergang - und schließt sie kurz mit ihrer Kritik an der kapitalistischen Gegenwart mit ihren Finanz-, Banken- und Schuldenkrisen. Wobei Jelinek der Brünnhilde-Stimme die moralische Anklage zuweist und der Wotan-Stimme das zynische Macht-Kalkül.

"Rein Gold" liest sich wie eine erbitterte Strafpredigt, die mit Marx, Jesus und Bakunin gegen die Exzesse des Raubtier-Kapitalismus und alle möglichen Missstände von heute wettert, von der Immobilienkrise bis zum Verblödungsfernsehen und von den Bank-Schwindeleien mit toxischen Papieren bis zu den NSU-Verbrechen. Steve Jobs und sein "Tablettenrechner" kriegen ebenso sein Fett ab wie die NSU-Videos mit dem Rosaroten Panther.

In frei flottierenden Assoziationsströmen leitet Elfriede Jelinek ihre ökonomische Interpretation von Wagners "Ring" um in die Gegenwart. So stellt sie Wotan mit seiner Burg Walhall spöttisch Christian Wulff und seiner "großen Burg Wedel" gegenüber: Beide können ihr neues Eigenheim nicht bezahlen. Und von der hinter einem Feuerring ihres Helden harrenden Brünnhilde ist es für Jelinek nur ein Gedankensprung zur Feuer legenden "Nazi-Braut" von Zwickau und ihren beiden Helden.

Der typische Jelinek-Sound findet sich auch hier. Die Autorin nimmt Wortbilder und Metaphern wörtlich, spielt mit ihnen, zersetzt und verzerrt sie in bösen Wortspielen. Vor allem die Begriffsfelder Gold-Geld-Kredit-Schatz werden endlos redensartlich und sprachspielerisch variiert: Jelinek ist ja bekannt dafür, keinem Kalauer auszuweichen. Das Kalauern hat inzwischen allerdings etwas Zwanghaftes.

Besprochen von Sigrid Löffler


Elfriede Jelinek: Rein Gold. Ein Bühnenessay
Rowohlt Verlag, Reinbek 2013
224 Seiten, 16,95 Euro