Der TUNIX-Kongress 1978

Neue Träume statt Weltrevolution

Besucher eines Cafés am 06.06.1980 in der neuen Kultur-und Freizeitstätte auf dem ehemaligen UFA-Gelände in Berlin-Tempelhof.
Nach dem TUNIX-Kongress 1978 entstanden zahlreiche Initiativen wie die Kultur-und Freizeitstätte auf dem ehemaligen UFA-Gelände in Berlin. © picture alliance / dpa
Von Laf Überland · 24.01.2018
Nach APO und Deutschem Herbst - Weil die großen Utopien gescheitert waren, setzte die Linke auf die Politik der kleinen Schritte: Auf dem TUNIX-Kongress im Januar 1978 nahmen alternative Buchläden, Bürgerinitiativen und auch die "tageszeitung" ihren Anfang.
"Wir fangen wieder an, unser Leben in unsere eigenen Hände zu nehmen, wir werden wieder den Mut haben, zu dem zu stehen, was wir eigentlich wollen, wir scheißen auf das Modell Deutschland."
"Modell Deutschland", das war der Wahlkampfslogan der SPD im Wahlkampf von 1976 gewesen, aber 1977 war der deutsche Herbst durchs Land marodiert: Die Rote Armee Fraktion hatte Generalbundesanwalt Buback, Bankier Ponto, Arbeitgeberpräsident Schleyer ermordet, Kanzler Schmidts Modell Deutschland stand für Atomkraft, Berufsverbote, Überwachungsstaat, Rasterfahndung: für Hubschrauber über der Landstraße und Verkehrskontrollen mit Maschinenpistolen, um den "Sympathisantensumpf des Terrorismus" auszutrocknen.
Die Repression des Staates war allgegenwärtig, die Stimmung eisig, und nach dem Deutschen Herbst würde ein politischer Winter einziehen: Da beschlossen im Dezember 77 ein paar Spontis (beim Bier nach dem samstäglichen Kicken hinter der West-Berliner Kongresshalle), dem drohenden Erstickungstod der Linken ein neues Lebenszeichen entgegenzusetzen: einen lokalen Kongress mit dem irreführenden Namen TUNIX, der die Utopien noch einmal feiern sollte – als produktives Fanal, bei dem auch fröhliche Lieder gesungen wurden.

Abschied vom Klassenkampf

Macht die Politik der kleinen Schritte, fangt zuhause an mit dieser Kunst: Das war die neue Idee der undogmatischen Linken. TUNIX wurde zur größten linksintellektuellen Veranstaltung seit Beginn der Studentenbewegung. Die großen theoretischen Konzepte des SDS und der APO waren ebenso an der Realität gescheitert wie die dogmatischen Versuche kommunistischer Sekten, das Proletariat über Betriebsarbeit zum Klassenkampf zu führen. Die einzige Theorie, die übrig blieb, war die der Graswurzelrevolution, die Veränderung der eigenen Person
Aber die Veränderung sollte durchaus die Gesellschaft verändern – durch das Schaffen eines Gegenmodells in friedvollem Miteinander.
Es gab Arbeitsgruppen zum Staat ("Erobern oder zerstören?"), zu Anti-Psychiatrie, selbst verwalteten Jugendzentren und Food-Coops (zum "Aufbau einer eigenen Nahrungsmittelkette"); Frauen diskutierten über "Feminismus und Ökologie", und unter dem Motto "Rosa glänzt der Mond von TUNIX" trafen sich Männer, die bald die ersten Paraden zum "Christopher Street Day" organisierten. Es ging um linke Buchhandlungen, Anwaltskollektive und Windenergie, um politische Gefangene und um Kneipen: Der Programmpunkt hieß "Linke Kneipen - Abfüllstation oder Gegenöffentlichkeit?"
Die Nullnummer der alternativen "Tageszeitung", allgemein taz genannt, erschien im September 1978.
Die Nullnummer der alternativen "Tageszeitung", allgemein taz genannt, erschien im September 1978 mit einer Auflage von 55.000 Exemplaren. Die erset Ausgabe erschien aber erst am 17. April 1979. © dpa / picture alliance / Roland Witschel

Sogar die SPD war neugierig

Zur Unterhaltung spielten – für fünf Mark Eintritt - Bands wie Teller Bunte Knete, Missus Beastly und das sogenannte Linksradikale Blasorchester.
Nicht jeder verstand sofort die Zeichen der neuen Zeit. CDU-Mann Eberhard Diepgen jedenfalls nicht:
"Die politische Stoßrichtung dieser Veranstaltung ist aber nicht neu! Die alten Ziele der extremistischen und terroristischen Gruppen sind geblieben. Sie wollen diesen Staat und diese Gesellschaft zerschlagen, bekämpfen und unterwandern."
SPD-Mann Peter Glotz, West-Berliner Wissenschaftssenator, war neugieriger, trat sogar bei TUNIX auf, aber im Berliner Abgeordnetenhaus musste er sich in einem christdemokratischen Tumult für sein Interesse an den Gedanken dieser neuen jungen Linkenströmung rechtfertigen:
"Wo stellen Sie sich denn? Wo diskutieren Sie denn mit diesen jungen Menschen? Wo ist denn Ihre christliche Gesinnung? Was macht denn eigentlich Ihre eigene Grundeinstellung? Ich beantworte jetzt keine Rage, Herr Diepgen. Hören Sie zu! Hören Sie zu!"

Neue Buchläden, Reisebüros und eine neue Partei

Die Medien berichteten, wenn überhaupt, allenfalls über die Steinewerfer bei der Samstagsdemo. Was fehlte? Der Anwalt Christian Ströbele und der investigative Reporter Günther Wallraff stellten das Projekt "tageszeitung" vor, eine Idee, entstanden unter dem Eindruck einer großen Nachrichtensperre während der Schleyer-Entführung 1977.
TUNIX hieß der Kongress, aber tu was war die Grundstimmung. Buchläden, Ökobauernhöfe, Bürgerinitiativen, alternative Reisebüros – ein linkes Gründungsfieber war ausgebrochen. Befreit von der heiligen Pflicht des Revolutionärs, die Revolution zu machen, konnte man etwas Neues unternehmen, selbst auf dem abgeranzten Feld der Parteipolitik.

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