Der Treuhand-Komplex

Bis heute sind die Folgen des 1. Juli 1990 noch nicht überwunden. Damals – vor 15 Jahren – wurde in der DDR mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion die D-Mark eingeführt. Für die Betriebe in der DDR schlug die Stunde der Wahrheit. Betriebsstilllegungen und Massenarbeitslosigkeit werden bis heute der Treuhandanstalt angelastet.
Helmut Kohl: „Ich glaube, dass die DDR von heute an gerechnet bis Mitte dieses Jahrzehnts, also bis zum Jahr 95, ein blühendes Land sein wird. "

Wolfgang Schäuble: „Niemand, niemand Herr Präsident, meine Damen und Herren, kann einigermaßen verlässlich die Frage beantworten, was die Deutsche Einheit kostet. "

Oskar Lafontaine: „Die Umstellung, meine Damen und Herren, von einer Kommandowirtschaft auf eine soziale Marktwirtschaft kennt nicht nur Gewinner. Ich sage daher, dass Härten entstehen, soziale Härten entstehen, und wir werden alles daran setzen müssen, sie zu vermeiden. "

Musik: Krasse Kassandra : „War sie nicht groß, war so gesund, drohte Bankrott: Die Firma Narwa durch unsere Treuhand. Jeder lief hin, jeder versprach, dass er sie hätt’ von unserer Treuhand, die Firma Narwa. Alle Lichter gingen plötzlich aus. Weil Gewerbepark soll da entstehen. Das war zu viel, das war zu groß, zu produktiv. Für Spekulanten. Wer immer da war. Über Nacht noch wickelt man sie ab. "

Gerd Gebhard: „Meine Damen und Herren, mein Name ist Dr. Gebhard. Ich spreche als unabhängiger Wissenschaftler. Und das vorgeschlagene Modell ist das Ergebnis langer Überlegungen und Abstimmungen mit sehr vielen Experten. Der Titel sollte sein: Bildung einer Holding Treuhand-Gesellschaft-Volkseigentum. "

Die DDR im Februar 1990. Zum ersten Mal fällt in der Öffentlichkeit der Begriff Treuhand. Es ist die Geburtsstunde einer der umstrittensten Institutionen im deutschen Einigungsprozess. Viele Ostdeutsche werden der Treuhand später den Verlust von Millionen Arbeitsplätzen vorwerfen, das Plattmachen tausender Betriebe, den Ausverkauf der DDR.

Doch als der Physiker Gerd Gebhard auf einer Pressekonferenz die Gründung der Treuhand vorschlägt, hat er etwas ganz anderes im Sinn als das, was später aus der Behörde geworden ist. Er gehört zu einer Gruppe, die sich „Freies Forschungskollegium Selbstorganisation“ nennt. Künstler und Wissenschaftler diskutieren dort während des Umbruchs in der DDR ihre liberalen und bisweilen wirren Thesen.

Gerd Gebhard: „Unser erstes Papier, das ist begonnen worden gleich am 9. Oktober. Das hatte die Überschrift: „Vom Subjekt-Monopolismus verwalteter Subalterner zur Subjektpluralität von Wirtschaftssubjekten. Klingt sehr kompliziert. Heißt aber: Initiative ergreifen und nicht warten, bis neue Kommandos kommen. "

Das Forschungskollegium ist keine Partei. Es will die neuen politischen Gruppen der DDR nur beraten. Prominentestes Mitglied ist Wolfgang Ullmann, Mitglied von „Demokratie Jetzt“, Mitinitiator des zentralen Runden Tisches und später DDR-Minister ohne Geschäftsbereich. Außerdem gehört der Gruppe der Ingenieur Matthias Artzt an.

Matthias Artzt: „Eine wichtige Frage, die wir damals schon diskutiert haben, war die Frage des Eigentums. Das Eigentum war zwar formal dem Volk zugeschrieben, aber der Besitz und die Nutzung dieses Eigentums lag in der Hand von Funktionären, die zum überwiegenden Teil verantwortungslos damit umgegangen sind. "

Die Eigentumsfrage bringt das Forschungskollegium schließlich auf die Idee zur Gründung der Treuhand-Anstalt.

„Wir sind ein Volk. Wir sind ein Volk. Wir sind ein Volk ... "

Denn alle Zeichen stehen im Februar 1990 auf Wiedervereinigung. Helmut Kohl stellt seine zehn Punkte vor. Selbst die SED-PDS-Führung sperrt sich nicht länger gegen die Einheit. Und das Forschungskollegium fragt sich, was soll in einem geeinten Deutschland aus dem Volkseigentum der DDR werden?

Matthias Artzt: „Der konkrete Anlass für den Entwurf zur Gründung einer Treuhandgesellschaft war der 7. Februar. An diesem Tag waren die Minister ohne Geschäftsbereich bei Bundeskanzler Kohl eingeladen. Und sie hatten um einen Milliardenkredit gebeten. Kohl hat dieses abgelehnt. Und am gleichen Tag haben wir noch ein Interview mit dem Präsidenten der USA, Bush, gehört, der gesagt hat: Nun geht es nur noch um den Anschluss der DDR nach Artikel 23. Das war an einem Freitag. "

An diesem Abend setzt sich das Forschungskollegium in Potsdam zusammen und entwirft übers Wochenende ein Konzept.

„Vorschlag der umgehenden Bildung einer Treuhandgesellschaft zur Wahrung der Anteilsrechte der Bürger mit DDR-Staatsbürgerschaft am Volkseigentum der DDR. "

Auf zwei DIN A4-Seiten schlagen die Autoren vor, das Volkseigentum einer Staatsholding zu übertragen. Sie soll verhindern, dass sich im Einigungsprozess Funktionäre oder Spekulanten das DDR-Vermögen unter den Nagel reißen. Stattdessen sollen die Bürger Anteile erhalten. Die Forscher wollen dem Volk endlich das zukommen lassen, was ihm auf dem Papier ohnehin längst zusteht. Ein Viertel des volkseigenen Vermögens soll die zu gründende Treuhand sofort an die DDR-Bürger verteilen. Einen Entwurf für die Anteilsscheine hat Gerd Gebhard bereits in der Schublade.

Gerd Gebhard: „Das war eher eine grafische Kunst, wo drauf stand: Hiermit werden Sie Eigentümer von einem Sechzehnmillionstel des DDR-Volkseigentums. Nutzen Sie Ihre Chance und Ihnen steht zu, Ihre Wohnung, Ihren Anteil an einem Betrieb, Anteil an landwirtschaftlicher Fläche und so weiter. "

Matthias Arzt: „Das Konzept am Runden Tisch ist dort vorgetragen worden von Wolfgang Ullmann von Demokratie Jetzt. Es ist kurz diskutiert worden und einstimmig beschlossen worden, weil alle beteiligten Partner das eigentlich als eine sehr gute Initiative gesehen haben und im Ergebnis wurde ein Beschluss gefasst, dass die Modrow-Regierung sofort bis zum 1. März eine entsprechende Vorlage zu erarbeiten hat. "

Tatsächlich legt die Regierung von Hans Modrow schon zwei Wochen später einen Gesetzentwurf zur Gründung einer Treuhandanstalt vor. Doch in dem Entwurf fehlt ein entscheidender Passus. Von einer Verteilung des Eigentums an das Volk ist nirgendwo die Rede. Grund: Die ersten freien Volkskammerwahlen stehen kurz bevor. Die Regierung Modrow glaubt, eine Verteilung des Volkseigentums sei zu kompliziert. Bis zum Wahltag am 18. März könne man unmöglich eine angemessene Lösung finden. Sie will die Entscheidung deshalb der neuen Regierung überlassen. Das Freie Forschungskollegium protestiert mit einer öffentlichen Stellungnahme. Allerdings vergeblich. Am 1. März 1990 wird mit einer Verordnung die Treuhandanstalt gegründet. Sie soll – wie vom Forschungskollegium vorgeschlagen – das volkseigene Vermögen vor Spekulanten sichern. Die Idee der Anteilsscheine wird begraben. Und das Volk ist noch nicht einmal wütend.

Matthias Artzt: „Die Reaktionen, die bei mir angekommen sind aus der Verwandtschaft und aus Freundeskreisen, die sich mehr mit der theoretischen Frage weniger beschäftigt haben, waren eher zurückhaltend. Ich glaube, wenn man eine Abstimmung gemacht hätte: Wollt ihr das Volkseigentum haben? Da hätte es möglicherweise eine Mehrheit gegeben, eine knappe Mehrheit, dass man sich damit nicht belasten will. "

Mit der Modrow-Verordnung wird die Treuhand-Anstalt Eigentümerin von 8000 Kombinaten mit etwa vier Millionen Mitarbeitern. In der neuen Behörde herrscht der DDR-typische Mangel. Für die Verwaltung des gesamten Volkseigentums gibt es am Anfang gerade einmal knapp 100 Mitarbeiter. Ihnen stehen zehn Schreibmaschinen zur Verfügung.

Werbespot DA: „Der Sozialismus hat Angst und Schrecken verbreitet. Der Sozialismus hat Hunderttausende aus unserer Heimat vertrieben. Der Sozialismus hat uns um den Lohn unserer Arbeit betrogen. Der Sozialismus hat jetzt abgewirtschaftet. "

Sprechchor: „Keiner wählt die SED, keiner wählt die SED. Keiner wählt die SED. "

Helmut Kohl: „.. dann wird Sachsen und Sachsen-Anhalt und Thüringen und Brandenburg in drei, vier, fünf Jahren blühende Landschaften in Deutschland sein. Warum auch nicht? Das ist die Frage, die ich ganz einfach stelle. "

Werbespot PDS: „Dont worry. Take Gysi. Mach Dir ‚nen Kopf. Wähl Gysi! Für demokratische Gleichstellung. Für gesicherte Rechte der Jugend. Für Kompetenz und Toleranz stehen Gregor und Hans. "

Wahlwerbung DA: „Stoppt die sozialistischen Parteien! "

Die ersten freien Volkskammerwahlen gewinnt am 18. März die Allianz für Deutschland – ein Zusammenschluss aus CDU, DSU und Demokratischem Aufbruch. Die Parteien haben den Ostdeutschen große Versprechen gemacht: Aufschwung, Wohlstand und die D-Mark. Angeführt wird der Wahlsieger vom Rechtsanwalt und CDU-Vorsitzenden Lothar de Maizière.

Lothar de Maizière: „Wir haben mit einem guten Ergebnis gerechnet. Dies ist ein unerwartet gutes Ergebnis, das uns doch sehr stolz macht. Die erste Frage, die wir angehen müssen, ist, dass die Menschen unser Land nicht mehr verlassen. Das heißt also, die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion. "

De Maizière tritt als neuer Regierungschef ein schweres Erbe an. Die DDR-Betriebe sind völlig veraltet. Seit dem Fall der Mauer hat die Wirtschaft weiter an Kraft eingebüßt. Mit jedem Tag droht der staatliche Bankrott. Die schlechte Lage ist der neuen Regierung durchaus bewusst.

Lothar de Maizière: „Es gab ein Papier, das mir von Wirtschaftskreisen zugearbeitet wurde, das sagte: Mit der Einführung der D-Mark werden wir drei Gruppen von Betrieben haben. Ein Drittel wird sofort und auf der Stelle in Konkurs gehen müssen, ein Drittel wird sich einigermaßen am Markt bewähren können und ein Drittel muss mit Umstrukturierungen wieder handlungsfähig gemacht werden. Aber das Entscheidende war: Über alles werden wir eine Halbierung der Beschäftigung hinnehmen müssen. "

Trotzdem forciert de Maizière eine schnelle Währungsunion. Denn die Fluchtwelle zu den besseren Lebensbedingungen hält unvermindert an.

„Kommt die D-Mark, bleiben wir. Kommt sie nicht, gehen wir zu ihr. "

Um die Abwanderung zu stoppen, fordert de Maizière einen Umtausch aller ostdeutschen Vermögenswerte, Löhne und Renten in D-Mark zu einem Kurs von 1 zu 1.

Lothar de Maizière: „Wissen Sie, ich bin ja nun nicht erst jetzt, sondern seit Jahrzehnten Anwalt. Und wenn man in Vergleichsverhandlungen einsteigt, muss man immer das Doppelte fordern von dem, was man nachher kriegt. "

Wirtschaftsexperten sind von der Forderung geschockt. Ökonomisch vernünftig – darin sind sich die meisten einig – wäre eine Umstellung von 1 zu 4. Mit diesem Wechselkurs hatte auch die SED inoffiziell immer gearbeitet. Ein Produkt, das in der DDR für reichlich vier Ost-Mark hergestellt wurde, verkaufte sie an den Westen für eine D-Mark.

Christian Watrin: „Wenn wir nun aber eine Umstellung machen, die aus politischen oder anderen Gründen 1 zu 1 landet ... "

Christian Watrin, Universität Köln

Christian Watrin: „... und wir auch die Löhne in dieser Richtung umstellen, dann ergibt sich natürlich die Frage, ob bei diesen Löhnen ihre Kombinate in der Lage sind, Produkte zu produzieren, die sich zu dieser Umstellungsrelation verkaufen lassen und nicht zu der alten 1 zu 4,4. "

Heiner Flassbeck vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

Heiner Flassbeck: „Diese D-Mark, die da hingegeben werden, müssen ja erwirtschaftet werden. Das heißt, sie müssen mit einer Produktion erwirtschaftet werden, die auch abgesetzt wird. Wenn das nicht geschieht, führt das ganze nur dazu, dass es in der DDR zu einem gewaltigen Schrumpfungsprozess kommt. "

Die mahnenden Worte der Wirtschaftsexperten werden nur von Wenigen ernst genommen. Als im April 1990 durchsickert, dass die Bundesbank einen Umtauschkurs von 2 zu 1 anstrebt, gehen viele Ostdeutsche wieder auf die Straße: 50.000 in Leipzig, 70.000 in Dresden, 100.000 in Berlin. Sie fordern die Einlösung der Wahlversprechen: Wohlstand und D-Mark. Die Politik gibt klein bei.

Rudolf Seiters: „Löhne, Gehälter, Stipendien, Mieten, Pachten und Renten sowie andere wiederkehrende Versorgungszahlungen zum Beispiel Unterhaltszahlungen werden im Verhältnis 1 zu1 umgestellt. "

Lothar de Maizière: „Dieser Kurs war ein politischer Kurs, kein ökonomischer Kurs. Wir mussten den Exodus der Menschen verhindern. Und wir haben ja mit einem Schlag das Preisniveau West gehabt. Und trotzdem nur Löhne und Gehälter von 40 bis 50 Prozent. Das heißt, die konnten sich für ihre Arbeit ohnehin nur die Hälfte dessen leisten, was sich der Kollege im Ruhrgebiet leisten konnte. "

In der Nacht zum 1. Juli 1990 wird das ersehnte Westgeld erstmals ausgezahlt.

Reportage:
Menschenmenge: „Halleluja, halleluja D-Mark“
Reporter: „Ja, halleluja D-Mark um 0 Uhr am Alexanderplatz. Zehntausende begrüßen jubelnd die Deutsche Mark. Mit Sekt, Silvesterraketen und Hubkonzerten wird gefeiert und überall herrscht wirklich ausgelassene Stimmung. Die Deutsche Bank am Alex, die zahlt ab Punkt Mitternacht ihr Geld aus als einzige Bank der DDR um diese Zeit. Zehntausende drängen zum Eingang, die Menschen werden eingekeilt und kommen nicht mehr raus. Dann gehen die ersten schon wieder. "
Umfrage: „Das ist ja viel zu voll. Wahnsinn. Die treten sich ja tot da vorne. Einen Schuh habe ich verloren. "
Reporter: „Dann drängen immer mehr Menschen dazu. Einige Personen werden gegen Pfosten und Scheiben gequetscht. Einige werden ohnmächtig und bekommen einen Kreislaufkollaps. "

Vor einem Kollaps steht auch die ostdeutsche Wirtschaft. Für die meisten Betriebe ist die Währungsumstellung ein Schock. Sie müssen nun Löhne in D-Mark zahlen – für die Produktion von Waren, die keiner mehr kaufen will. Ausgerechnet die Währungsunion macht über Nacht nahezu alle DDR-Unternehmen zum Sanierungsfall.

Lothar de Maizière: „Im Mannsfeld wurde Kupfer produziert. Zum Teil wurde da der Abraum aus der Lutherzeit noch mal verhüttet. Da kostete die Tonne Kupfer 135.000 Mark der DDR. Auf den Weltmärkten kostete damals eine Tonne 11.000 D-Mark. Das heißt, in dem Moment wo ich die Währung eins zu eins umstellte, kostete die Tonne Kupfer immer noch 135.000, aber jetzt D-Mark. Und damit war es sofort aus und vorbei. "

Die marode Industrie verwaltet niemand anderes als die Treuhand-Anstalt. Sie ist mit der Aufgabe völlig überfordert. Noch vor der Währungsunion beginnt die Regierung de Maizière deshalb, die junge Institution zu reformieren. Ein ordentliches Treuhand-Gesetz soll her. Eines, das nicht die Verwaltung des Volkseigentums regelt, sondern dessen zügigen Verkauf.

Wolfgang Seibel: „Der Einfluss auf das neue Treuhandgesetz ging ganz maßgeblich von westdeutschen Beratern aus. "

Wolfgang Seibel, Politik- und Verwaltungswissenschaftler.

Wolfgang Seibel: „Und das betraf sowohl westdeutsche Regierungskreise als auch die westdeutschen Banken. Und die westdeutschen Banken mussten ins Boot geholt werden, weil man ja durchaus vorhersehen konnte, wie immer das Schicksal der einzelnen Betriebe aussehen würde, in jedem Fall nach dem 1. Juli mit der Währungsunion ein ganz erheblicher Liquiditätsbedarf bestehen würde. Das heißt, es musste schon im Vorfeld abgeklärt werden, woher denn diese gigantischen Kredite kommen sollten. "

Eine Arbeitsgruppe im Büro de Maizières entwirft im Mai 1990 eine Gesetzesvorlage. Die Volkskammer ist an den Beratungen nicht beteiligt. Es soll schnell gehen. Die Experten sind von dem Gedanken geleitet: Nur mit einer reformierten Treuhand, die sämtliche Staatsbetriebe privatisieren darf, kann man Investoren locken und die DDR-Wirtschaft retten. Am 17. Juni 1990 wird das Gesetz in der Volkskammer beschlossen.

Lothar de Maiziere: „Das Treuhandgesetz ist ein Husarenstreich, wenn man so will. Artikel 10, Absatz 2 sagt: Alle Betriebe werden Eigentümer der Immobilien, auf denen sie sich befinden und für die sie bisher die Rechtsträgerschaft hatten. Das heißt: Der größte Immobilentransfer kraft Gesetz. Oder wir haben über Nacht aus den Betrieben, die bis dahin der Gewinnabführungspflicht der volkseigenen Wirtschaft unterlagen, haben wir Steuersubjekte gemacht. So dass alle Betriebe kraft Gesetz in Aktiengesellschaften oder GmbHs verwandelt wurden. "

Das Treuhand-Gesetz sieht zwei Möglichkeiten vor: Sanierung der Unternehmen auf Kosten des Staates oder Privatisierung, also sofortiger Verkauf. Von der ersten Stunde an setzt die Treuhand-Führung vor allem auf die Privatisierung. Aus den Erlösen will man die DDR-Schulden begleichen und die Infrastruktur verbessern. Eine illusorische Vorstellung. Denn Erlöse wird die Treuhand nie erzielen. Zunächst wächst die kleine Anstalt zu einer Großbehörde.

Wolfgang Seibel: „Zum 1. Juli 1990 hatte die Treuhand-Anstalt unwesentlich mehr als 100 Mitarbeiter und sie sollte dann anderthalb Jahre später angewachsen sein auf 3.500 Mitarbeiter. Sie sehen daran, dass da ein gigantisches Personalwachstum erfolgt war, was schlicht dieser gigantischen Aufgabe geschuldet war, die da zu bewältigen war. "

Mit ihren 8000 Kombinaten ist die Treuhand die größte Staatsholding der Welt – und vermutlich eine der verlustreichsten. Die Währungsunion hat in der DDR-Wirtschaft eine Depression ausgelöst. Ostprodukte sind Ladenhüter geworden. Innerhalb von nur sechs Monaten bricht das Bruttoinlandsprodukt um dreißig Prozent ein. Die DDR-Betriebe machen Schulden, die zunächst der Staat begleichen muss. Nach einigen Personalquerelen setzt sich im August 1990 ein harter Sanierer an der Spitze der Treuhandanstalt durch: Detlev Carsten Rohwedder. Zuvor hatte der Manager schon den maroden Hoesch-Konzern aus den roten Zahlen geholt.

Detlev Rohwedder: „Ich verstehe meine Rolle als die eines Kapitäns, der auf der Brücke steht und im Unterdeck da sitzen ganz starke und kräftige Männer und halten alle ein Ruder in der Hand und bringen diese Arche in schnittige und schnelle Fahrt. "

Wegen ihrer wachsenden Schulden will Rohwedder die volkseigenen Betriebe so schnell wie möglich verkaufen, zu Geld machen. Auf einer Konferenz in Wien lässt er die saloppe Bemerkung fallen, der ganze Salat sei wohl so 600 Milliarden Wert. Mit dem Salat meint Rohwedder die volkseigenen Betriebe der DDR.

Mit der Zeit merkt Rohwedder jedoch, dass das Volkseigentum nahezu unverkäuflich ist. Um die marode Industrie zu retten, müssten Milliarden investiert werden. Das können sich nur wenige große Firmen leisten. Doch deren Interesse hält sich in Grenzen. Viele Unternehmen brauchen keine neuen Fabriken, denn sie haben seit Jahren Überkapazitäten. Den Warenhunger der DDR-Bürger befriedigen sie spielend mit ihren alten Standorten im Westen.

Wolfgang Seibel: „Bis zur Wiedervereinigung kam es nur zu einigen wenigen Privatisierungen, jedenfalls bei größeren Betrieben. Was schnell funktionierte, war die Privatisierung im Dienstleistungsgewerbe, wie etwa bei Gaststätten und im früheren HO-Betrieben. "

Doch bei den Großunternehmen wird schnell klar: Oft bleibt nur die Liquidation. Als erstes trifft es den Kamerahersteller Pentacon in Dresden.

Jürgen Börner: „Wir waren die einzigen, die in der DDR Fototechnik herstellten und zwar Spiegelreflex-Kameras mit einer Jahresstückzahl von einer knappen halben Million – so zwischen 430.000 bis 480.000 Stück. "

Jürgen Börner arbeitet 1990 in der Forschungsabteilung von Pentacon. Die Mitteilung über die Liquidation erreicht ihn am Vorabend der Wiedervereinigung.

Jürgen Börner: „Also hier in Dresden war natürlich doch die Bestürzung recht groß. Wir wurden an diesem 2. Oktober in das Hygienemuseum geladen. Und dort wurde von Herrn Dr. Wellesieg, unserem Liquidator, bekannt gegeben, dass sich Pentacon in Liquidation befindet. Und alle, die damit umzugehen wussten, was das heißt, was dieses Wort beinhaltet, die kannten natürlich auch die Tragweite dieses Beschlusses. "

Die Manager, die bei der Treuhand das Aus für Pentacon besiegeln, begründen ihre Entscheidung mit dem Weltmarkt für Fototechnik. Eine Kamera, deren 900 Einzelteile allesamt in Deutschland produziert werden, ist für sie nicht konkurrenzfähig.

Klaus Nickol: „Die Begründung, das muss man ganz offen und ehrlich sagen, ist nachvollziehbar. "

Klaus Nickol arbeitet 1990 in Vertrieb und Kundendienst.

Klaus Nickol: „Wenn ich mir mal die ehemaligen alten Bundesländer anschaue oder Westeuropa, dann ist ja dort bereits in den Siebziger Jahren die Foto-Industrie quasi eingestellt worden und quasi abgewandert an asiatische Fertigungsstandorte. So dass man sagen muss: Allen leitenden Mitarbeitern von Pentacon war schon klar: Das Umfeld, Fototechnik hier in Deutschland oder Europa zu produzieren, hatte sich so verändert, dass mit einer Fortsetzung eines Großbetriebes mit tausenden Beschäftigten eigentlich nicht zu rechnen war. "

Die Pentacon-Belegschaft hat Glück im Unglück. Viele finden relativ schnell eine Umschulung oder einen neuen Job. Ende 1990 hält sich die Zahl der Arbeitslosen noch in Grenzen. Doch die Stimmung in Ostdeutschland verschlechtert sich in beängstigendem Tempo. Auf die Einheitsfeiern folgt die Ernüchterung. Ganze Industriezweige brechen zusammen. Selbst ehemaligen Musterbetrieben droht das Aus. Wo privatisiert wird, wird auch entlassen. Für das Dilemma machen viele nicht etwa vierzig Jahre Planwirtschaft, sondern die Treuhand verantwortlich. Der Hass erreicht seinen Höhepunkt am 1. April 1991.

Tagesschau: „Guten Abend, meine Damen und Herren. Der Chef der Treuhandanstalt Rohwedder ist offensichtlich von Terroristen ermordet worden. "

Rohwedder wird durch das Fenster seines Hauses erschossen. Die Hintergründe des Attentats sind bis heute ungeklärt. Der Schock lässt die Kritiker verstummen – allerdings nur für kurze Zeit.

Sprechchor: „Lügner, Lügner, Lügner ... "

Am 10. Mai 1991 fliegen in Halle Eier auf Kanzler Kohl. Inzwischen sind fast drei Millionen Ostdeutsche arbeitslos. Die Betroffenen fühlen sich von der Politik verraten. Versprochen hatten die Politiker blühende Landschaften. Stattdessen wird der Osten nahezu komplett entindustrialisiert. Vielen drängt sich der Verdacht auf, der Westen entledige sich mit Hilfe der Treuhand der ostdeutschen Konkurrenz.

Wolfgang Seibel: „Das Privatisierungsmodell der Treuhandanstalt war wesentlich besser als der Ruf der Treuhandanstalt in der Öffentlichkeit. "

Der Politik- und Verwaltungswissenschaftler Wolfgang Seibel.

Wolfgang Seibel: „Das beruhte nämlich darauf, dass man einen Unternehmensplan verlangte von dem Investor und der Kaufpreis spielte eine weitgehend untergeordnete Rolle, weil klar war, dass die Unternehmen so schwach waren von ihrer Ertragslage her, dass man sich daran nicht würde gesund stoßen können. So dass die Treuhand-Anstalt tatsächlich etwas getan hat, was ihr umgekehrt etwa von neoliberaler Seite vorgehalten wurde, nämlich dass sie in eine ziemlich gründliche Einzelfallprüfung eingetreten ist. Und hier ist es sehr oft zu Entscheidungen gekommen, wo nicht derjenige den Zuschlag erhalten hat, der vielleicht ein bisschen mehr Geld bezahlt hätte, wenn andere Unternehmenskonzepte vielversprechender waren. "

Bei vielen Betrieben gelingt die Privatisierung. Beispiele dafür sind der Schwermaschinenhersteller Takraf in Leipzig oder das Schilderwerk im sächsischen Beutha. Die Rolle des Buhmanns wird die Treuhand trotzdem nie wieder los. Das liegt vor allem an Fällen wie dem Hartmetallwerk Immelborn in Thüringen: Ein westdeutscher Investor kauft das Werk, kassiert die Maschinen ein und geht schließlich selbst pleite. Auch die Interflug geht zu Bruch. Die Fabriken für den Trabi müssen schließen.

Das alles nagt am Selbstbewusstsein der Ostdeutschen. Und die Personalpolitik der Treuhand macht es nur noch schlimmer. 1990 war der Verwaltungsrat paritätisch zwischen Ost- und Westdeutschen besetzt worden. Nur ein Jahr später dominieren die Westdeutschen.

Musik Gerhard Gundermann: „Zuerst komm ich in Schwarze Pumpe über'n Berg und da schimmert in der Sonne das nagelneue Kraftwerk. Das sieht aus, als ob ein UFO hier gelandet wär, es glänzt wie gelogen und passt hier nicht richtig her. Nebenan verdienten einst vierzehntausend ihr Brot, die sind vom Wind verweht und die alte Dreckschleuder ist tot. Vom Winde verweht ist auch der Ruß, die ganze dicke Schicht, heute verheizen sie ihr Giftmüll und das Gift, das sieht man nicht. Und ich sehe auf der Straße nach Norden, dieser Teil der Welt ist anders geworden, ich schwimme mittendrin in meinem Hemd, gehöre noch dazu und bin schon ziemlich fremd. "

Lothar de Maiziere: „Die DDR-Wirtschaft war auch nicht so wenig Wert wie sie im Nachhinein gesehen wurde. Sie war so viel Wert wie sie im Verbund mit den anderen osteuropäischen Wirtschaften produzieren konnte und Abnehmer fand. Aber eben nicht im Vergleich zu einer westeuropäischen Wirtschaft. Ich sage manchmal, wir haben eine Spielzeugeisenbahn an 380 Volt Drehstrom angeschlossen und wundern uns, dass die Motoren durchgebrannt sind. Das geht eben nicht gut, wenn ich einen Leichtgewichtsboxer gegen einen Schwergewichtsboxer in den Ring stelle. "

Nach Rohwedders Tod übernimmt Birgit Breuel das Amt der Präsidentin. Sie wird den Privatisierungskurs noch einmal verschärfen. Die verlustreichen DDR-Betriebe sollen so schnell wie möglich verkauft oder abgewickelt werden. Wenn die neuen Besitzer den Erhalt von Arbeitsplätzen versprechen, bekommen sie die Betriebe jetzt sogar oftmals geschenkt.

Wolfgang Seibel: „Von einer Politik des Plattmachens mit Hilfe der Treuhand-Anstalt kann bei Lichte betrachtet nicht die Rede sein. Was den Effekt erzeugt hat, der diesen Eindruck hervorrief, das war nicht das Handeln der Treuhandanstalt. Es war die schlichte Tatsache, dass selbst eine noch so gutwillige und eine noch so aktive Treuhandanstalt nicht den Effekt der Währungsunion bei Umstellungskursen bei Löhnen und Gehältern von 1 zu 1 kompensieren, also ausgleichen konnte. "

Nicht mal fünf Jahre nach ihrer Gründung stellt die Treuhand ihre Arbeit ein. Der Großteil des Volkseigentums ist Ende 1994 privatisiert. Eigentlich hatte der Verkauf Erlöse bringen sollen, aus denen Sozial- und Investitionsprogramme finanziert werden können. Doch die Privatisierungsbilanz sieht ganz anders aus: Sie endet mit einem gigantischen Minus. Beim Verkauf der ostdeutschen Betriebe hat die Treuhand mehr als 200 Milliarden DM draufgezahlt – für Personal, Fördergelder, die Sanierung von Umweltschäden.

Lothar de Maiziere: „Wir hatten in der DDR Hunderte von Lehrbüchern, in denen wir lernen konnten, wie man von der Marktwirtschaft zur Planwirtschaft kommt. Aber es gab leider kein einziges für den Rückweg. "

Als die DDR-Bürger am 1. Juli 1990 die heiß begehrte D-Mark erhielten, hatte das Volkseigentum wegen des unrealistischen Umtauschkurses über Nacht seinen Wert verloren. Aus Vermögen waren Lasten geworden – oder anders ausgedrückt: Hätte man den Ostdeutschen 1990 wirklich Anteilsscheine am Volkseigentum ausgegeben – es wären nach der Währungsunion Schuldscheine daraus geworden. Die DDR-Bürger haben die D-Mark mit dem Totalverlust ihres Volkseigentums bezahlt.