"Der Trend geht doch sehr stark zur zeitunabhängigen Nutzung"
Lutz Hachmeister im Gespräch mit Katrin Heise · 09.06.2010
Nach Einschätzung des Medienwissenschaftlers Lutz Hachmeister hat sich die Fernsehnutzung durch Digitalisierung und Internet noch nicht stark verändert. Das passiere "natürlich schleichend", sagte Hachmeister anlässlich des 60. Gründungstages der ARD.
Katrin Heise: Es reicht nicht mehr, den Fan des "Tatorts" am Sonntagabend um zehn vor zehn anzurufen, um ihn nicht zu stören – sehr wahrscheinlich hat der Krimiliebhaber die Sendung ja aufgenommen, schaut sie zeitversetzt, weil die Kinder mal wieder nicht früh genug im Bett waren oder der Sonntagsausflug länger gedauert hat. Das individuell zusammengestellte Fernsehprogramm, das ist zeitlich unabhängig und auch unabhängig von der Quelle, die ist auch nicht mehr vorgegeben. Immer mehr Menschen lassen sich von Filmen aus Online-Angeboten unterhalten oder, na, von DVDs zum Beispiel.
Heute, am 60. Gründungstag der ARD, machen sich ARD, ZDF und die Ministerpräsidenten Gedanken zur künftigen Rundfunkfinanzierung – aber wie sieht eigentlich die Zukunft des Fernsehens aus angesichts des vergrößerten Angebotes? Darüber denkt der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister schon lange nach. Er ist Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik. Schönen guten Tag, Herr Hachmeister!
Lutz Hachmeister: Guten Tag!
Heise: Ein paar Möglichkeiten habe ich ja jetzt schon aufgezählt, Sie können das vielleicht noch ergänzen: Wie hat sich die Fernsehnutzung durch Digitalisierung und Internet verändert?
Hachmeister: Zunächst mal nicht wirklich dramatisch, also, die übergroße Mehrheit der Bevölkerung guckt immer noch traditionelles Programmfernsehen, schaut das Programm dann, wenn es gesendet wird, schaut auch ein von außen für sie gestaltetes Programm. Also, diese Ideologie des Interaktiven – der Zuschauer als sein eigener Programmdirektor – hat sich bei 70, 80 Prozent der Bevölkerung immer noch nicht durchgesetzt, aber das verändert sich natürlich schleichend.
Also gerade jüngere Leute – man spricht ja auch von Mediengeneration, je nachdem, wer mit welchem Medium aufgewachsen ist und von welchem Medium besonders geprägt wurde –, da findet schon ein Bruch in der Nutzung statt. Der Trend geht doch sehr stark zur zeitunabhängigen Nutzung. Das heißt aber nicht, dass diese Programme nicht noch ... Die müssen immer noch produziert werden, das heißt, man braucht starke Institutionen, die diese Programme weiter herstellen.
Heise: Genau, darauf wollte ich auch noch zu sprechen kommen, aber erst noch: Welche Sendungen, welche Formate betrifft das denn, also, wo die andere Generation, Mediennutzungsgeneration jetzt dann doch ihr eigenes Programm zusammenstellt?
Hachmeister: Eigentlich alle.
Heise: Also nicht nur Serien?
Hachmeister: Nicht nur Serien. Nachrichten werden zeitversetzt gesehen, falls jüngere Leute überhaupt in hohem Maße Nachrichten schauen, aber das hängt natürlich auch von der Nachrichtenlage ab, Serien natürlich, amerikanische Serien, deutsche Serien, weniger Fernsehspiele, also, das gute alte Fernsehspiel, der Fernsehfilm, "Tatort", "Polizeiruf" ist eigentlich immer noch ein Ritual, das an die Zeit gebunden ist, in der diese Programme auch wirklich ausgestrahlt werden. Aber alles andere kann über alle möglichen Geräte zu allen möglichen Zeiten inzwischen empfangen werden.
Heise: Sie haben die Produktionsmöglichkeiten oder die Produktion überhaupt angesprochen. Wie verändert sich die durch so ein schleichend sich veränderndes Konsumverhalten?
Hachmeister: Nicht wirklich. Also, die Nachrichten müssen ja immer noch für einen Zeitpunkt produziert werden, wo sie auch wirklich ausgestrahlt werden, also, für die 20-Uhr-Tagesschau muss produziert werden, sehr aktuell produziert werden, auch wenn sie von gewissen Teilen der Zuschauer um 21 Uhr oder um 22 Uhr gesehen werden.
Der "Tatort" muss in einer ganz konventionellen Art produziert werden, also, die Produktionsbedingungen, zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Produkt auch abzuliefern, eine Sendung, die haben sich bislang dadurch überhaupt nicht verändert.
Heise: Aber die Finanzierung wird sich verändern, denn wenn die Leute was Aufgenommenes gucken, dann werden sie eventuell bei Werbepausen darüber wegspielen, das heißt, die Werbung findet nicht mehr so statt, die Werbung findet ihre Kundschaft eigentlich nicht mehr. Was bedeutet das?
Hachmeister: Also, die konventionellen, privaten Sender, das sogenannte Free TV, die sind am stärksten unter Druck geraten durch diesen technologischen und durch den Wandel in der Nutzung des Fernsehens, also RTL, Sat.1, ProSieben, die haben schon große Probleme, sich noch zu refinanzieren, da wird viel gespart, viel rationalisiert, viel mehr formatiert, also gleichartige Programme gesendet, und das sah vor 15 Jahren noch ganz anders aus.
Also, man hat dem privaten Fernsehen eigentlich eine glänzendere Zukunft vorausgesagt und gedacht, dass die öffentlich-rechtlichen Systeme, ARD und ZDF, stärker an den Rand gedrückt werden, marginalisiert werden. Es ist genau umgekehrt gekommen. Also, solange das öffentlich-rechtliche System – das Deutschlandradio gehört ja auch dazu – über mehr als acht Milliarden Gebühreneinnahmen verfügen kann, ist es eins der stärksten Systeme der Welt und kann damit auch sehr, sehr gut und sehr üppig wirtschaften, das darf man nicht vergessen.
Heise: Wenn wir uns aber jetzt noch mal diesen Serien zuwenden beispielsweise, die ja zum Teil also auch hohe Kosten verursachen – wenn das nicht wieder refinanzierbar ist, dann wird sich doch so der Wandel der Sehgewohnheiten auch auf die Inhalte niederschlagen und muss sich doch, oder?
Hachmeister: Hm, ja, nun wird viel aus dem Ausland importiert, es wird viel über mehrere Spartenkanäle verteilt, es werden Einnahmen über DVDs oder demnächst über Downloads generiert, das heißt, es ändert sich die Zusammensetzung der Refinanzierung. Also, es wird weniger über die Werbespots refinanziert, dann mehr über andere Kanäle, zum Beispiel über Abruf über das Handy, und da basteln im Moment alle Anbieter daran, wie sie diese neue Finanzierungsstruktur hinbekommen.
Es wird sicherlich schwieriger, sehr, sehr teure Eigenproduktionen zu refinanzieren, also das sogenannte Event-TV, was uns über die letzten 10, 15 Jahre begleitet hat, "Dresden", "Die Flucht" und solche Stücke, die durch Werbeschaltungen im Privatfernsehen – sofern sie dann im Privatfernsehen laufen – zu refinanzieren, das wird sicherlich viel, viel schwieriger.
Heise: Deutschlandradio Kultur hören Sie, Sie hören hier den Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister zur Zukunft des Fernsehens. Also das heißt, weniger Werbung, haben Sie gesagt, ist da möglich oder eine andere Art von Werbung? Was wird da die Zukunft bringen?
Hachmeister: Also, es werden ja seit vielen Jahren alle möglichen Spielformen von sanfter Werbebeeinflussung durchgeführt, also von einer Abstimmung der Inhalte mit potenziellen Partnern, Sponsoren, das ist so ein Graubereich, bis hin zu klassischem Sponsoring, bis hin zu Systemen, wo man ein bestimmtes Format eher indirekt mit einem Werber und einem Sponsor in Verbindung bringen kann.
Also, das ist auch so ein Feld, wo natürlich die Privatsender geradezu gezwungen sind, sich neue Formen auszudenken, die dann wiederum an bestimmten gesetzlichen Vorgaben sich reiben. Aber da wird viel gebastelt und viel ausprobiert, trial and error auch da im Moment.
Heise: Ja, aber die Grenzen müssen ja erst mal ... Es muss ja nach wie vor eigentlich sichtbar sein, was ist Werbung, was ist tatsächlich Inhalt?
Hachmeister: Ja, also, es gibt immer wieder Versuche, bisherige Werberegelungen zu durchbrechen. Dann wird der Gesetzgeber und die Regulierer werden wieder aktiv, und dann wird es in einen neuen Rechtsrahmen gefasst, also, die europäische Gemeinschaft, die EU hat ja jetzt gerade Product-Placement im Grunde erlaubt, wenn man es anzeigt. Also, man sieht: Es gibt eine sanfte Aufweichung dieser Werberegelungen, weil ansonsten ökonomisch eine bestimmte Form von Privatfernsehen gar nicht mehr existieren könnte.
Heise: Heute sitzen die öffentlich-rechtlichen Sender mit den Ministerpräsidenten zusammen, um eben über die finanzielle Zukunft zu sprechen. Sie haben vorhin gesagt, das, was wir jetzt gerade besprechen, betrifft im Moment die Öffentlich-Rechtlichen noch nicht so sehr, aber irgendwann schon. Sind die denn sich dessen bewusst?
Hachmeister: Ja, also, im Prinzip stellt sich natürlich die Frage: Wenn weniger konventionelles Fernsehen geschaut wird, gibt es noch die Legitimation für diese Rundfunkgebühr? Und deswegen ist ja im Moment eine Diskussion im Gange, auch durch das Gutachten des Verfassungsrechtlers Kirchhof, der sehr geschickt eigentlich den Begriff verändert hat von Gebühr zum Beitrag.
Also, jeder in diesem Staat, jeder Haushalt soll seinen Rundfunkbeitrag leisten, weil diese berühmte Grundversorgung mit öffentlich-rechtlichen Programmen für das Überleben der Demokratie nicht unwichtig ist, so die traditionelle Argumentation übrigens des Bundesverfassungsgerichts, und deshalb soll jeder zahlen, egal, ob er diese Programme nutzt oder nicht.
Ich glaube, das ist auch im Prinzip durchzusetzen. Es gibt einen breiten Konsens, dass Staaten, die ein starkes, öffentlich-rechtliches System haben, eigentlich besser dastehen, was das Selbstgespräch der Gesellschaft anlangt und die Informationsgebung, tägliche Informationsgebung als Staaten, die das Rundfunksystem vollkommen kommerzialisiert haben. Und insofern, da diese alte Abgabe, die die einzelnen Geräte gezählt hat und dann irgendwo, wo die GEZ-Fahnder dann irgendwann gucken mussten, wie viele Handys im Haushalt sind – da die vollkommen überholt war, wird dieser neue Rundfunkbeitrag, der in der Höhe ziemlich gleich bleiben wird zunächst, sich auch durchsetzen.
Heise: Wenn Sie jetzt mal einen Blick in die Zukunft wagen – wie stellen Sie sich so das Fernsehen in 10 Jahren, 10, 15 Jahren vor?
Hachmeister: Ich glaube, dass die traditionellen Programmsparten erhalten bleiben, dass wir weiter Krimis haben, dass wir Nachrichten haben, dass wir politische Reportagen haben, vielleicht sogar noch mehr Dokumentarfilme, dass bestimmte Formen unter Druck geraten wie politische Magazine, also Dinge, die vor 20 Jahren noch die Nation bewegt haben, dass die durch dieses zeitversetzte Sehen nicht mehr so relevant sein werden.
Aber mediengeschichtlich hat sich eigentlich gezeigt, dass Formen, die sich einmal herausgebildet haben, langlebiger sind, als so Untergangspropheten eigentlich denken, und auch das traditionell gestaltete Programmfernsehen wird noch über die nächsten 40, 50 Jahre eine enorme Rolle im Medienangebot spielen. Also, diese Tagesschau um 20 Uhr, für Millionen gesendet, die wird uns länger begleiten, als viele Leute denken.
Heise: Sagt Lutz Hachmeister, er war langjähriger Leiter des Adolf-Grimme-Instituts und ist nun Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationswissenschaften. Schönen Dank, Herr Hachmeister, für dieses Gespräch, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!
Hachmeister: Danke!
Heute, am 60. Gründungstag der ARD, machen sich ARD, ZDF und die Ministerpräsidenten Gedanken zur künftigen Rundfunkfinanzierung – aber wie sieht eigentlich die Zukunft des Fernsehens aus angesichts des vergrößerten Angebotes? Darüber denkt der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister schon lange nach. Er ist Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik. Schönen guten Tag, Herr Hachmeister!
Lutz Hachmeister: Guten Tag!
Heise: Ein paar Möglichkeiten habe ich ja jetzt schon aufgezählt, Sie können das vielleicht noch ergänzen: Wie hat sich die Fernsehnutzung durch Digitalisierung und Internet verändert?
Hachmeister: Zunächst mal nicht wirklich dramatisch, also, die übergroße Mehrheit der Bevölkerung guckt immer noch traditionelles Programmfernsehen, schaut das Programm dann, wenn es gesendet wird, schaut auch ein von außen für sie gestaltetes Programm. Also, diese Ideologie des Interaktiven – der Zuschauer als sein eigener Programmdirektor – hat sich bei 70, 80 Prozent der Bevölkerung immer noch nicht durchgesetzt, aber das verändert sich natürlich schleichend.
Also gerade jüngere Leute – man spricht ja auch von Mediengeneration, je nachdem, wer mit welchem Medium aufgewachsen ist und von welchem Medium besonders geprägt wurde –, da findet schon ein Bruch in der Nutzung statt. Der Trend geht doch sehr stark zur zeitunabhängigen Nutzung. Das heißt aber nicht, dass diese Programme nicht noch ... Die müssen immer noch produziert werden, das heißt, man braucht starke Institutionen, die diese Programme weiter herstellen.
Heise: Genau, darauf wollte ich auch noch zu sprechen kommen, aber erst noch: Welche Sendungen, welche Formate betrifft das denn, also, wo die andere Generation, Mediennutzungsgeneration jetzt dann doch ihr eigenes Programm zusammenstellt?
Hachmeister: Eigentlich alle.
Heise: Also nicht nur Serien?
Hachmeister: Nicht nur Serien. Nachrichten werden zeitversetzt gesehen, falls jüngere Leute überhaupt in hohem Maße Nachrichten schauen, aber das hängt natürlich auch von der Nachrichtenlage ab, Serien natürlich, amerikanische Serien, deutsche Serien, weniger Fernsehspiele, also, das gute alte Fernsehspiel, der Fernsehfilm, "Tatort", "Polizeiruf" ist eigentlich immer noch ein Ritual, das an die Zeit gebunden ist, in der diese Programme auch wirklich ausgestrahlt werden. Aber alles andere kann über alle möglichen Geräte zu allen möglichen Zeiten inzwischen empfangen werden.
Heise: Sie haben die Produktionsmöglichkeiten oder die Produktion überhaupt angesprochen. Wie verändert sich die durch so ein schleichend sich veränderndes Konsumverhalten?
Hachmeister: Nicht wirklich. Also, die Nachrichten müssen ja immer noch für einen Zeitpunkt produziert werden, wo sie auch wirklich ausgestrahlt werden, also, für die 20-Uhr-Tagesschau muss produziert werden, sehr aktuell produziert werden, auch wenn sie von gewissen Teilen der Zuschauer um 21 Uhr oder um 22 Uhr gesehen werden.
Der "Tatort" muss in einer ganz konventionellen Art produziert werden, also, die Produktionsbedingungen, zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Produkt auch abzuliefern, eine Sendung, die haben sich bislang dadurch überhaupt nicht verändert.
Heise: Aber die Finanzierung wird sich verändern, denn wenn die Leute was Aufgenommenes gucken, dann werden sie eventuell bei Werbepausen darüber wegspielen, das heißt, die Werbung findet nicht mehr so statt, die Werbung findet ihre Kundschaft eigentlich nicht mehr. Was bedeutet das?
Hachmeister: Also, die konventionellen, privaten Sender, das sogenannte Free TV, die sind am stärksten unter Druck geraten durch diesen technologischen und durch den Wandel in der Nutzung des Fernsehens, also RTL, Sat.1, ProSieben, die haben schon große Probleme, sich noch zu refinanzieren, da wird viel gespart, viel rationalisiert, viel mehr formatiert, also gleichartige Programme gesendet, und das sah vor 15 Jahren noch ganz anders aus.
Also, man hat dem privaten Fernsehen eigentlich eine glänzendere Zukunft vorausgesagt und gedacht, dass die öffentlich-rechtlichen Systeme, ARD und ZDF, stärker an den Rand gedrückt werden, marginalisiert werden. Es ist genau umgekehrt gekommen. Also, solange das öffentlich-rechtliche System – das Deutschlandradio gehört ja auch dazu – über mehr als acht Milliarden Gebühreneinnahmen verfügen kann, ist es eins der stärksten Systeme der Welt und kann damit auch sehr, sehr gut und sehr üppig wirtschaften, das darf man nicht vergessen.
Heise: Wenn wir uns aber jetzt noch mal diesen Serien zuwenden beispielsweise, die ja zum Teil also auch hohe Kosten verursachen – wenn das nicht wieder refinanzierbar ist, dann wird sich doch so der Wandel der Sehgewohnheiten auch auf die Inhalte niederschlagen und muss sich doch, oder?
Hachmeister: Hm, ja, nun wird viel aus dem Ausland importiert, es wird viel über mehrere Spartenkanäle verteilt, es werden Einnahmen über DVDs oder demnächst über Downloads generiert, das heißt, es ändert sich die Zusammensetzung der Refinanzierung. Also, es wird weniger über die Werbespots refinanziert, dann mehr über andere Kanäle, zum Beispiel über Abruf über das Handy, und da basteln im Moment alle Anbieter daran, wie sie diese neue Finanzierungsstruktur hinbekommen.
Es wird sicherlich schwieriger, sehr, sehr teure Eigenproduktionen zu refinanzieren, also das sogenannte Event-TV, was uns über die letzten 10, 15 Jahre begleitet hat, "Dresden", "Die Flucht" und solche Stücke, die durch Werbeschaltungen im Privatfernsehen – sofern sie dann im Privatfernsehen laufen – zu refinanzieren, das wird sicherlich viel, viel schwieriger.
Heise: Deutschlandradio Kultur hören Sie, Sie hören hier den Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister zur Zukunft des Fernsehens. Also das heißt, weniger Werbung, haben Sie gesagt, ist da möglich oder eine andere Art von Werbung? Was wird da die Zukunft bringen?
Hachmeister: Also, es werden ja seit vielen Jahren alle möglichen Spielformen von sanfter Werbebeeinflussung durchgeführt, also von einer Abstimmung der Inhalte mit potenziellen Partnern, Sponsoren, das ist so ein Graubereich, bis hin zu klassischem Sponsoring, bis hin zu Systemen, wo man ein bestimmtes Format eher indirekt mit einem Werber und einem Sponsor in Verbindung bringen kann.
Also, das ist auch so ein Feld, wo natürlich die Privatsender geradezu gezwungen sind, sich neue Formen auszudenken, die dann wiederum an bestimmten gesetzlichen Vorgaben sich reiben. Aber da wird viel gebastelt und viel ausprobiert, trial and error auch da im Moment.
Heise: Ja, aber die Grenzen müssen ja erst mal ... Es muss ja nach wie vor eigentlich sichtbar sein, was ist Werbung, was ist tatsächlich Inhalt?
Hachmeister: Ja, also, es gibt immer wieder Versuche, bisherige Werberegelungen zu durchbrechen. Dann wird der Gesetzgeber und die Regulierer werden wieder aktiv, und dann wird es in einen neuen Rechtsrahmen gefasst, also, die europäische Gemeinschaft, die EU hat ja jetzt gerade Product-Placement im Grunde erlaubt, wenn man es anzeigt. Also, man sieht: Es gibt eine sanfte Aufweichung dieser Werberegelungen, weil ansonsten ökonomisch eine bestimmte Form von Privatfernsehen gar nicht mehr existieren könnte.
Heise: Heute sitzen die öffentlich-rechtlichen Sender mit den Ministerpräsidenten zusammen, um eben über die finanzielle Zukunft zu sprechen. Sie haben vorhin gesagt, das, was wir jetzt gerade besprechen, betrifft im Moment die Öffentlich-Rechtlichen noch nicht so sehr, aber irgendwann schon. Sind die denn sich dessen bewusst?
Hachmeister: Ja, also, im Prinzip stellt sich natürlich die Frage: Wenn weniger konventionelles Fernsehen geschaut wird, gibt es noch die Legitimation für diese Rundfunkgebühr? Und deswegen ist ja im Moment eine Diskussion im Gange, auch durch das Gutachten des Verfassungsrechtlers Kirchhof, der sehr geschickt eigentlich den Begriff verändert hat von Gebühr zum Beitrag.
Also, jeder in diesem Staat, jeder Haushalt soll seinen Rundfunkbeitrag leisten, weil diese berühmte Grundversorgung mit öffentlich-rechtlichen Programmen für das Überleben der Demokratie nicht unwichtig ist, so die traditionelle Argumentation übrigens des Bundesverfassungsgerichts, und deshalb soll jeder zahlen, egal, ob er diese Programme nutzt oder nicht.
Ich glaube, das ist auch im Prinzip durchzusetzen. Es gibt einen breiten Konsens, dass Staaten, die ein starkes, öffentlich-rechtliches System haben, eigentlich besser dastehen, was das Selbstgespräch der Gesellschaft anlangt und die Informationsgebung, tägliche Informationsgebung als Staaten, die das Rundfunksystem vollkommen kommerzialisiert haben. Und insofern, da diese alte Abgabe, die die einzelnen Geräte gezählt hat und dann irgendwo, wo die GEZ-Fahnder dann irgendwann gucken mussten, wie viele Handys im Haushalt sind – da die vollkommen überholt war, wird dieser neue Rundfunkbeitrag, der in der Höhe ziemlich gleich bleiben wird zunächst, sich auch durchsetzen.
Heise: Wenn Sie jetzt mal einen Blick in die Zukunft wagen – wie stellen Sie sich so das Fernsehen in 10 Jahren, 10, 15 Jahren vor?
Hachmeister: Ich glaube, dass die traditionellen Programmsparten erhalten bleiben, dass wir weiter Krimis haben, dass wir Nachrichten haben, dass wir politische Reportagen haben, vielleicht sogar noch mehr Dokumentarfilme, dass bestimmte Formen unter Druck geraten wie politische Magazine, also Dinge, die vor 20 Jahren noch die Nation bewegt haben, dass die durch dieses zeitversetzte Sehen nicht mehr so relevant sein werden.
Aber mediengeschichtlich hat sich eigentlich gezeigt, dass Formen, die sich einmal herausgebildet haben, langlebiger sind, als so Untergangspropheten eigentlich denken, und auch das traditionell gestaltete Programmfernsehen wird noch über die nächsten 40, 50 Jahre eine enorme Rolle im Medienangebot spielen. Also, diese Tagesschau um 20 Uhr, für Millionen gesendet, die wird uns länger begleiten, als viele Leute denken.
Heise: Sagt Lutz Hachmeister, er war langjähriger Leiter des Adolf-Grimme-Instituts und ist nun Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationswissenschaften. Schönen Dank, Herr Hachmeister, für dieses Gespräch, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!
Hachmeister: Danke!