Der Traum vom Laufen

Selbstversuch im Exoskelett

Ein Patient testet ein Exoskelett.
Exoskelett © picture alliance / dpa / Sander Koning
Von Annegret Faber · 20.10.2015
Ein sogenanntes Exoskelett, eine Art Roboteranzug, ermöglicht es Menschen, die ihre Beine nicht mehr bewegen können, wieder zu laufen. Noch geht das nur mit professioneller Begleitung - unsere Autorin hat es in einer Klinik in Halle ausprobiert.
Ich sitze in einem Rollstuhl in einem langen Flur der Berufsgenossenschaftlichen Klinik Bergmannstrost in Halle. Es riecht nach Desinfektionsmittel. Vor mir kniet die Physiotherapeutin Juliane Zadny und schnallt meine Beine in das Exoskelett.
"Ist ganz schön eng", sage ich.
Zadny: "Das muss so sein, damit der Halt da ist. Man muss sich vorstellen, dass die Patienten keine Führung haben, über Muskeln und alles über Apparaturen gehalten werden muss."
Füße, Waden, Oberschenkeln, auch mein Bauch und der Rücken werden verschnürt und gestützt.
"Das fühlt sich an wie so ein Korsett...so jetzt kommen noch Gurte über die Schultern."
Rene Kleinschmidt: "Ja, wie beim Rucksack."
Exoskelette haben eine enorme Kraft
Rene Kleinschmidt steht hinter mir bereit. Sobald das Exoskelett aktiviert ist, hält er mich fest, damit ich nicht umfalle. Gleich geht es los.
Zadny: "Sie müssen sich nach vorne fallen lassen und ..."
Zum Aufstehen drückt die Maschine meinen Oberkörper nach vorne, gleichzeitig werden meine Beine gestreckt. Dabei halte ich mich an einer Art Rollator fest. Gegen die Maschine anzukommen ist zwecklos. Sie hat eine enorme Kraft. Ohne etwas dafür zu tun, stehe ich.
Zadny: "Für den ersten Schritt brauchen wir eine Verlagerung nach links... Jetzt links verlagern und der erste Schritt geht los."
"Okay, ich laufe jetzt von ganz alleine und merke... das ist eine extreme Kraft, die da wirkt. Ist das Pressluft, oder wie funktioniert das?"

Kleinschmidt: "Elektromotoren, die die Gelenkte bewegen."
Krankenhauspersonal läuft an mir vorbei. Niemand wundert sich über den seltsamen Roboteranzug. Derartige Gehhilfen sind hier normal.
Faber: "So, stopp, am Ende stellen sich die Füße wieder von allein nebeneinander, und dann heißt es hinsetzen. Jetzt werde ich wieder nach vorne gebeugt und nach hinten, und jetzt sitze ich wieder."
"Wie habe ich es gemacht? Was meinen sie als Profi?"
Dietz: "Sehr gut..."
Zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder auf zwei Beinen
Jürgen Dietz sitzt neben mir in einem Rollstuhl. Er ist Dachklempner, bzw. war Dachklempner. Seit einem Unfall ist er querschnittsgelähmt. Er fiel vom Dach.
"Durchgebrochen, und dann ist es passiert. Im April waren es fünf Jahre."
Seitdem ist der 56-Jährige nicht mehr gelaufen. Bis vor drei Tagen. Da begann er hier in Halle eine Therapie mit einem Exoskelett.
"Ein ganz tolles Gefühl. Wenn man ewig gesessen hat, ist das unbeschreiblich, man sieht die Welt von oben wieder."
Jürgen Dietz ist nach mir dran. Zehn Meter den Krankenhausflur entlang laufen und wieder zurück. Seine Augen leuchten. Die Therapie tut ihm unendlich gut, sagt er. Niemals hätte er damit gerechnet noch einmal in seinem Leben laufen zu können. Diesen Traum erfüllt ihm das Exoskelett.
Jeder Hersteller preist sein Modell als das beste an
Derartige Roboter funktionieren mehr oder weniger gut sagt Dr. Klaus Röhl, Direktor des Zentrums für Rückenmarkverletzte und Orthopädie in Halle.
"Es gibt verschiedene Anbieter, und jeder lobt sein Gerät entsprechend über den Klee. Ein Gerät kostet so um die 120.000, 130.000 Euro. Das ist selbst für eine berufsgenossenschaftliche Klinik eine größere Investition."
Klaus Röhl hat drei verschiedene Systeme getestet. Von einem hat er sich schnell verabschiedet. Mit diesem Exoskelett sollte der Patient sogar Treppen steigen können. Fehlanzeige. Heute verfügt seine Klinik über drei Exoskelette von zwei Herstellern. Damit kann er komplett gelähmte und inkomplett gelähmte Patienten therapieren. Bei Patienten, die noch Nervenreste im Rückenmark haben, bestehe durch die Therapie sogar eine Heilungschance.
"Wir haben einen Patienten, der relativ inkomplett gelähmt war, der mit dem Heilsystem so weit trainiert war, dass er ohne das System in der Lage ist kurze Strecken zu gehen. Und das führe ich auf diese positiven Effekte der sofortigen Mobilisierung in dem für den Menschen normalen Gang und Stehbild zurück."
Physiotherapeuten können sich die Geräte noch nicht leisten
Jeden Tag ein paar Meter laufen, in Augenhöhe mit dem Therapeuten. Das wirke Wunder. Für komplett gelähmte Menschen besteht allerdings keine Heilungschance. Aber die Ärzte beobachten eine bessere Durchblutung, die Verdauung wird angekurbelt und auch Schmerzsymptome würden weniger. Aber wie lange? Assistenzärztin Jane Nitzschke:
"Wie oft man die Therapie wiederholen muss, ob man die wöchentlich einmal oder zweimal machen soll, um die Therapieerfolge zu halten, oder ob es genügt, alle vier Monate drei Wochen zu trainieren, das wird die Zukunft zeigen."
Die Therapieform ist noch sehr jung. Studien zur Wirkung gibt es noch nicht. Kleine, physiotherapeutischen Einrichtungen können sich derartige Geräte noch nicht leisten. Für eine Therapie muss Jürgen Dietz deshalb ins Krankenhaus. Doch das ist ihm ein Vergnügen sagt er, während er im Exoskelett auf mich zuläuft.
Faber: "Wie geht es Ihnen jetzt?"
Dietz: "So, leicht fertig. Es ist sehr kraftanstrengend. Ich stütze ja den ganzen Oberkörper, der ist ja auf die Stützen gelagert, damit man dann nicht umfällt."
Faber: "Sind sie auch ein bisschen froh, wenn sie wieder raus kommen, aus dem Gerät?"
Dietz: "Ja, aber auch zufrieden, dass ich wieder mal was Schönes gemacht habe. Wie soll ich das sonst sagen?"
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