Der Ton macht die Musik

Von Erik von Grawert-May |
Sicher: Der Ort ist gut gewählt. Wo, wenn nicht vor dem Reichstag, wo über den Einsatz unserer Soldaten in auswärtigen Kriegsszenarien entschieden wird! Der Rasen tritt sich fest, keine Frage. Fraglich ist dagegen, ob sich ein offenes Gelände, wie das jetzt gewählte, überhaupt für ein Gelöbnis eignet.
Man bedenke: ein weites Feld, auf dem zirka 300 Rekruten einen feierlichen Text sprechen sollen. Werden die gewichtigen Worte nicht, kaum dass sie gesprochen sind, in der Luft zerstäubt? Sodass sie von niemandem zu hören sind?

Diese Frage tauchte in anderer Gestalt schon anlässlich der Zeremonie vor einem Jahr auf. Am 20. Juli 2007 wurde man in den Abendnachrichten Zeuge eines Ausschnitts des "Feierlichen Gelöbnisses", das damals noch im Hof des Bendlerblocks stattgefunden hatte. Ich traute meinen Ohren nicht. Die ersten Worte hörten sich etwa so an: "Ich gelobe – der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen – und das Recht ..." und so weiter. Mir kam die Assoziation an Hundegebell. Die Soldaten mussten von einem Vorgesetzten extra darauf getrimmt worden sein, sich so zu artikulieren. Man fürchtete wohl, die Gäste würden anderenfalls nichts in dem Hof verstehen.

Mir kam plötzlich meine eigene Zeit bei der Bundeswehr in den Sinn, vor allem der vom Kompaniespieß täglich abgenommene Appell, wo das "Guten Morgen, Herr Hauptfeld" kollektiv aus den Mündern herausschoss. Doch was auf einem normalen Kasernenhof noch angehen mag, zeugt dort, wo Graf Stauffenberg nach seinem missglückten Attentat auf Hitler standrechtlich erschossen wurde, von einem nicht angemessenen Stil. Der Ton sollte sich schon dem Geist des Ortes anpassen.

Nur gut, dass dieses Problem in zwei Tagen nicht mehr auftreten kann. Selbst wenn der Text aus dreihundert Soldatenkehlen schallt, er wird wahrscheinlich niemand in den Ohren dröhnen, da die Luft den Schall nicht weitertragen dürfte. Außerdem war der Platz der Republik doch früher einmal Exerzierplatz! Da kann schon mal lauthals gebrüllt werden. Das fällt nicht weiter auf, das gehört sogar dazu. Das muss sich von Hundegebell nicht wirklich unterscheiden. Wen stört es!

Aber für nächstes Jahr, da sich der 20. Juli 44 zum 65. Mal jährt und das Gelöbnis wieder im Bendlerblock abgehalten wird, für nächstes Jahr wäre es gut, den Ton merklich zurückzunehmen. Das ist schwierig, weil es sich zwar um einen relativ geschlossenen Hof handelt, der aber nach oben hin offen ist. Versuchshalber tue ich einmal so, als fände das Ganze nicht im Freien statt, sondern in einem Raum mit guter Akustik. Dann brauchten die Soldaten nicht so laut zu sprechen und könnten einen gelasseneren, auch getrageneren Ton anstimmen, vielleicht in der Art: "Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen." Aber vermutlich würde das viel zu privat klingen. Der Charakter eines öffentlichen Gelöbnisses ginge bestimmt verloren. Es sei denn, einer würde die feierlichen Worte stellvertretend für alle sprechen.

Eins dürfte sicher sein: Je lauter feierliche Worte gesprochen werden, desto weniger feierlich werden sie wirken. Und zwar auf Sprecher wie Hörer. Der Bendlerblock ist eben kein ehemaliger Exerzierplatz. Ein Gelöbnis, noch dazu an einem fast geheiligten Ort unserer Republik, darf gar nicht laut vonstatten gehen – so die These. Aus dem Dilemma, dass alle angetretenen Soldaten es dennoch gleichzeitig abgeben sollen, kommt man nur heraus, wenn man die verfügbare Tontechnik einsetzt.

Warum nicht Mikrofone? Dann könnten die Soldaten im Flüsterton daherkommen: "Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen." Ginge das nicht mehr unter die Haut?

Wer Flüstern zu unsoldatisch findet, der wird für die Alternative eines Sprechchors noch weniger Verständnis aufbringen. Denkbar wäre, den Rekruten einen Ton vorzugeben, der feierlich und getragen wäre, etwa so: "Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen." Das klingt dann fast wie eine Liturgie. Aber um etwas Ähnliches handelt es sich auch.

Gut, dass wir noch ein Jahr Zeit haben, uns darüber Gedanken zu machen. Jetzt darf noch mal nach alter Manier gebellt werden. Die Berliner Luft wird es verzeihen.

Erik von Grawert-May, 1944 in Lauban/Niederschlesien geboren, studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften in Paris, Tübingen und Berlin. Er habilitierte sich über den Barockbegriff "Theatrum Belli", ist seit 1994 Professor für Unternehmensethik und -kultur an der Fachhochschule Lausitz und leitet seit 1999 das "Hanns von Polenz Institut für regionalgeschichtliche Studien, Senftenberg".