Der Tod und seine vielen Gesichter
Für das Museum für Sepulkralkultur in Kassel haben sich 25 Künstler und Künstlerinnen mit dem Totentanz von Bernd Notke aus dem 15. Jahrhundert auseinandergesetzt. Es ist erstaunlich, wie sehr dieses Thema immer noch die künstlerische Fantasie zu reizen versteht.
Vermutlich würden wir vor Entsetzen schreien, wenn wir plötzlich an unserem Arm eine skelettierte Hand spürten, die uns mit unerbittlichem Griff auf die Tanzfläche zöge. Doch Kaiser, König, Edelmann, die auf den spätmittelalterlichen Totentanz-Darstellungen vom Reigen der Skelette erfasst werden, ahnen anscheinend gar nicht, wer sie da bei der Hand nimmt.
Nur der spätmittelalterliche Bildbetrachter bekam vom Künstler jenen Röntgenblick geschenkt, der ihn schaudern ließ oder auch seine Schadenfreude weckte. Es ist diese triumphierende Klarsicht, aus der sich die jahrhundertelange Faszination der Totentanzdarstellung erklärt. Reiner Sörries, Direktor des Kasseler Museums für Sepulkralkultur:
"Es ist erstaunlich, wie lebendig gerade der Tod, der personifizierte Tod immer wieder in diesen Szenen auftritt, wie er manchmal eine satirisch humorvolle Position gegenüber den Lebenden oder, man müsste sagen, gegenüber den Sterbenden einnimmt. Und das auch mit einer bestimmten Abstufung, dass er mit den Vertretern der Obrigkeit auch mal sehr hart und sehr barsch umgeht, sich aber dem Bettler oder dem Krüppel auch ganz zärtlich vernünftig nähern kann. Es ist hier teilweise eine verkehrte Welt, und auch die Verkehrtheit der Welt ist immer wieder etwas, was Künstler inspiriert."
Der Totentanz, den Bernd Notke 1463 für die Marienkirche zu Lübeck malte, ist selbst in den infernalischen Bombennächten des Zweiten Weltkriegs verbrannt. Geblieben ist ein Buch mit acht großformatigen Reproduktionen. Anfang 2006 wurde es 25 Künstlern und Künstlerinnen zugesandt mit der Aufforderung, sich damit auseinander zu setzen. Und es ist erstaunlich, wie sehr dieses Thema immer noch die künstlerische Fantasie zu reizen versteht.
Der Kölner Künstler Peter Gilles zum Beispiel hat großformatige furiose Zeichnungen entwickelt, in denen die Umklammerung menschlicher Wesen durch den spinnenartigen Tod gezeigt wird. Das Buch mit dem Lübecker Totentanz hat den Künstler anscheinend so beunruhigt, dass er es anbrennen musste, um es dann mit seinem vorher abgezapften eigenen Blut zu löschen. Daraus ist ein fetischartiges Objekt entstanden, das die Gewalt der Vernichtung und die körperliche Verschleuderung real vor Augen führt.
"Und natürlich ist auch die künstlerische Auseinandersetzung mit diesem Thema …, natürlich wirft das den Künstler auf sich selber zurück, natürlich denkt er dabei auch an seinen eigenen Tod oder an den Tod von Menschen, die ihm nahe stehen. Und dass das zu gewaltexzessiven Auseinandersetzungen mit diesem Gegenstand des Totentanzbuches kommt, das verwundert mich eigentlich gar nicht. Natürlich reizt der Tod auch dazu ihm aggressiv zu begegnen."
Der Künstler Harald Fuchs hat das Totentanzbuch nebst einem Schwarm von Fliegen, die sich auf seiner Oberfläche niedergelassen hatten, in Acryl gegossen und daraus eine kleines Monument aufgehaltener Verwesung gemacht. "Ich bin tod", hat Ben Vautier in seiner weißen Zuckergußschrift quer über die Abbildung von Kaiserin und Kardinal geschrieben, die von drei ausgelassenen Skeletten zum Tanz animiert werden. Wer diesen Satz allerdings noch sagen kann, scheint dem Tod dann doch irgendwie entronnen zu sein, sich ins Zwischenreich der Posie gerettet zu haben.
Respektlose Übermalungen, aufgeklebte Röntgenbilder oder auch komplett geschwärzte Abbildungen: Alle beteiligten Künstler spüren den Stachel dieses Sujets. Der ebenfalls zur Ausstellung eingeladene Robert Gernhardt, schon schwer krebsleidend, schrieb im Juni 2006: "Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass ich am Totentanz nicht werde teilnehmen können, da der bleiche Geselle sich mehr und mehr meiner annimmt".
Doch genau so, wie er das eigene Sterben auf bewundernswert souveräne Art für seine Lyrik einspannte, arbeitete Robert Gernhard noch an einer Totentanz-Skizze, die dann über die Vermittlung der Witwe in der Ausstellung gelandet ist. Da sieht man vier junge, selbstbewusste Menschen, offensichtlich Gäste einer Strandparty, die bis auf eine Ausnahme ebenfalls nicht ahnen, mit wem sie da, im Wasser stehend, Händchen halten.
Und gerade diese Mischung des unbedarften Spassklientels unserer Tage mit den sargtragenden oder flötespielenden Skeletten aus dem Spätmittelalter hat als zeitgenössischer Kommentar den stärksten Biss in dieser Ausstellung.
Aber es gibt auch den spöttischen und geradezu zärtlichen Umgang mit dem Tod. Selten bei den Gegenwartskünstlern, dafür aber in den vielen historischen Grafiken, die diese Ausstellung ergänzen. Der Symbolist Klinger zum Beispiel radierte ein Skelett, das sich zum Selbstmord auf die Schienengleise legt. Der Tod, der seine unheilvolle Rolle schließlich leid ist und selbst das Sterben ausprobiert?
Reiner Sörries: "Der Tod hat so unendlich viele Gesichter und das zeigt die Kunst auch."
In Klingers Radierung jedenfalls macht eine resignative Geste des Knochenmannes klar: Hat ja doch keinen Zweck. Ich, der Tod, bin sowieso unsterblich. Mit diesem Thema beschäftigt sich das Kasseler Museum für Sepulkralkultur in ausschließlicher, tabubrechender und origineller Weise. Nicht nur in dieser bemerkenswerten Ausstellung zum Menschheitsthema Totentanz.
Service:
Die Ausstellung "Tanz mit dem Totentanz" ist im Kasseler Museum für Sepulkralkultur bis zum 22. Juli 2007 zu sehen.
Nur der spätmittelalterliche Bildbetrachter bekam vom Künstler jenen Röntgenblick geschenkt, der ihn schaudern ließ oder auch seine Schadenfreude weckte. Es ist diese triumphierende Klarsicht, aus der sich die jahrhundertelange Faszination der Totentanzdarstellung erklärt. Reiner Sörries, Direktor des Kasseler Museums für Sepulkralkultur:
"Es ist erstaunlich, wie lebendig gerade der Tod, der personifizierte Tod immer wieder in diesen Szenen auftritt, wie er manchmal eine satirisch humorvolle Position gegenüber den Lebenden oder, man müsste sagen, gegenüber den Sterbenden einnimmt. Und das auch mit einer bestimmten Abstufung, dass er mit den Vertretern der Obrigkeit auch mal sehr hart und sehr barsch umgeht, sich aber dem Bettler oder dem Krüppel auch ganz zärtlich vernünftig nähern kann. Es ist hier teilweise eine verkehrte Welt, und auch die Verkehrtheit der Welt ist immer wieder etwas, was Künstler inspiriert."
Der Totentanz, den Bernd Notke 1463 für die Marienkirche zu Lübeck malte, ist selbst in den infernalischen Bombennächten des Zweiten Weltkriegs verbrannt. Geblieben ist ein Buch mit acht großformatigen Reproduktionen. Anfang 2006 wurde es 25 Künstlern und Künstlerinnen zugesandt mit der Aufforderung, sich damit auseinander zu setzen. Und es ist erstaunlich, wie sehr dieses Thema immer noch die künstlerische Fantasie zu reizen versteht.
Der Kölner Künstler Peter Gilles zum Beispiel hat großformatige furiose Zeichnungen entwickelt, in denen die Umklammerung menschlicher Wesen durch den spinnenartigen Tod gezeigt wird. Das Buch mit dem Lübecker Totentanz hat den Künstler anscheinend so beunruhigt, dass er es anbrennen musste, um es dann mit seinem vorher abgezapften eigenen Blut zu löschen. Daraus ist ein fetischartiges Objekt entstanden, das die Gewalt der Vernichtung und die körperliche Verschleuderung real vor Augen führt.
"Und natürlich ist auch die künstlerische Auseinandersetzung mit diesem Thema …, natürlich wirft das den Künstler auf sich selber zurück, natürlich denkt er dabei auch an seinen eigenen Tod oder an den Tod von Menschen, die ihm nahe stehen. Und dass das zu gewaltexzessiven Auseinandersetzungen mit diesem Gegenstand des Totentanzbuches kommt, das verwundert mich eigentlich gar nicht. Natürlich reizt der Tod auch dazu ihm aggressiv zu begegnen."
Der Künstler Harald Fuchs hat das Totentanzbuch nebst einem Schwarm von Fliegen, die sich auf seiner Oberfläche niedergelassen hatten, in Acryl gegossen und daraus eine kleines Monument aufgehaltener Verwesung gemacht. "Ich bin tod", hat Ben Vautier in seiner weißen Zuckergußschrift quer über die Abbildung von Kaiserin und Kardinal geschrieben, die von drei ausgelassenen Skeletten zum Tanz animiert werden. Wer diesen Satz allerdings noch sagen kann, scheint dem Tod dann doch irgendwie entronnen zu sein, sich ins Zwischenreich der Posie gerettet zu haben.
Respektlose Übermalungen, aufgeklebte Röntgenbilder oder auch komplett geschwärzte Abbildungen: Alle beteiligten Künstler spüren den Stachel dieses Sujets. Der ebenfalls zur Ausstellung eingeladene Robert Gernhardt, schon schwer krebsleidend, schrieb im Juni 2006: "Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass ich am Totentanz nicht werde teilnehmen können, da der bleiche Geselle sich mehr und mehr meiner annimmt".
Doch genau so, wie er das eigene Sterben auf bewundernswert souveräne Art für seine Lyrik einspannte, arbeitete Robert Gernhard noch an einer Totentanz-Skizze, die dann über die Vermittlung der Witwe in der Ausstellung gelandet ist. Da sieht man vier junge, selbstbewusste Menschen, offensichtlich Gäste einer Strandparty, die bis auf eine Ausnahme ebenfalls nicht ahnen, mit wem sie da, im Wasser stehend, Händchen halten.
Und gerade diese Mischung des unbedarften Spassklientels unserer Tage mit den sargtragenden oder flötespielenden Skeletten aus dem Spätmittelalter hat als zeitgenössischer Kommentar den stärksten Biss in dieser Ausstellung.
Aber es gibt auch den spöttischen und geradezu zärtlichen Umgang mit dem Tod. Selten bei den Gegenwartskünstlern, dafür aber in den vielen historischen Grafiken, die diese Ausstellung ergänzen. Der Symbolist Klinger zum Beispiel radierte ein Skelett, das sich zum Selbstmord auf die Schienengleise legt. Der Tod, der seine unheilvolle Rolle schließlich leid ist und selbst das Sterben ausprobiert?
Reiner Sörries: "Der Tod hat so unendlich viele Gesichter und das zeigt die Kunst auch."
In Klingers Radierung jedenfalls macht eine resignative Geste des Knochenmannes klar: Hat ja doch keinen Zweck. Ich, der Tod, bin sowieso unsterblich. Mit diesem Thema beschäftigt sich das Kasseler Museum für Sepulkralkultur in ausschließlicher, tabubrechender und origineller Weise. Nicht nur in dieser bemerkenswerten Ausstellung zum Menschheitsthema Totentanz.
Service:
Die Ausstellung "Tanz mit dem Totentanz" ist im Kasseler Museum für Sepulkralkultur bis zum 22. Juli 2007 zu sehen.