Der Tod der traditionellen Wohnkultur
In den 60er Jahren sorgte der italienische Designer Joe Colombo mit seinen futuristischen Wohnlandschaften für Aufsehen. Durch die Verbindung von schrillen Formen und Funktionalität setzte er Maßstäbe. Zwar führten seine Entwürfe nicht zu dem von Colombo proklamierten Tod der traditionellen Wohnkultur, seine Idee vom mobilen, polyfunktionalen Möbel aber ist heute Standard. Nun würdigt das Museum in Weil am Rhein den Designer in der Ausstellung <papaya:link href="http://www.design-museum.de/museum/ausstellungen/colombo/index.php" text=""Joe Colombo - Die Erfindung der Zukunft"" title="Ausstellung "Joe Colombo - Die Erfindung der Zukunft"" target="_blank" />.
Containerleben 1969: Im Auftrag des Chemiekonzerns Bayer hatte der Designer Joe Colombo damals den Prototypen einer futuristischen Wohnmaschine entworfen, eine durchgestylte Mischung aus Raumschiff und Campingwagen, die auf 112 Quadratmetern alles Nötige an Bord hatte. "Visiona I" hieß das Modell aus vorwiegend synthetischen Materialien, und wie es aussah, sagt uns Kurator Mateo Kries:
"Er hatte also freie Hand, er konnte frei unter allen Bayer-Materialien auswählen. Das waren Textilien, das waren Kunststoffe, und mit diesen Materialien hat dann Colombo seine Vision eines Apartments der Zukunft umgesetzt. Das besteht aus vier voneinander unabhängigen Blöcken. Es gibt einen Küchenblock, einen Schlaf- und Sanitärblock, einen Wohnblock, und alle Funktionen des Wohnens konnten dann durch diese einzelnen Blöcke befriedigt werden. Alle diese Blöcke konnten geschlossen werden, also wirklich wie so kompakte monolithische Elemente, und hatten dann aber alle mögliche Funktionen, wo man dann mittels Schulbaden, Magneten, Bildschirmen usw. ganz viele Funktionen aus diesen Blöcken heraus gewinnen konnte."
Ob sich die Insassen dieser modularen Wohnzellen mit zentraler Sofalandschaft, wo alles seinen festen Platz hatte, auf Dauer wohl gefühlt hätten, ist heute doch die Frage. Schöner Wohnen mit Colombo, das versprach ein funktionales Leben im Kommandostand zwischen schwenkbaren Wänden, eingebauten Bildschirmen und einer artifiziellen Komplettmöblierung, für die eine geeignete Architektur erst noch erfunden werden musste. Doch der Ansatz stimmte. Traditionelle Möbel, der Stuhl als Stuhl, das Bett als Bett, so tönte der Meister aus Mailand, seien tot.
"Colombo versuchte das gesamte Wohn-Environment in Einzelkomponenten zu zerlegen, die dann nach Bedarf flexibel zusammengesetzt werden konnten. Colombo glaubte ganz fest daran, dass sich die Strukturen des Zusammenlebens, dass sich Familienstrukturen in der Zukunft komplett ändern würden, und er leitete daraus ab, dass man auch völlig neue Einrichtungen bräuchte, nämlich Einrichtungen, die sich dem Wandel im menschlichen Leben anpassen mussten. Und daher eben diese Modularität und Flexibilität."
In der Tat ist Colombos Idee vom mobilen, polyfunktionalen Möbel heute Standard. Sofaelemente, die sich beliebig addieren lassen, wandelbare Schranksysteme, mobile Rollcontainer und variable Regalprogramme im Baukastenprinzip – in Colombos Mailänder Studio wurde all das vorgedacht. Zukunftsweisend war auch seine ausklappbare Miniküche von 1963 auf einem knappen Quadratmeter Grundfläche, die komplexe Funktionen auf minimalem Raum integrierte.
"Das System der offenen Küche, dass man einen offenen Wohnraum hat und in der Mitte einen Küchenblock, der gleichzeitig soziales Zentrum ist, diese Idee hat Colombo schon Anfang der 60er Jahre aufgegriffen und damit zum Beispiel war er seiner Zeit unheimlich weit voraus."
Die Ausstellung zeichnet Colombos Blitzkarriere vom Kunstmaler und Gelegenheitsarchitekten zum Stardesigner der 60er Jahre nach, dessen zackige Bauentwürfe Elemente von Zaha Hadid vorwegzunehmen scheinen und der nebenbei auch mal das utopische Projekt einer "nuklearen Stadt" ersann, die Dank unerschöpflicher Atomenergie Industrie und Verkehr komplett unter die Erde verbannte und das Tageslicht allein fürs Wohnen reservierte. Der Mensch als Maulwurf – das war schon damals der reine Witz.
Auch über anderes mag man heute lächeln: über Colombos wulstige Sessel und wellenförmig gerippte Sofas, deren Bauprinzip – Zeitgeist hin, Materialexperimente her – nicht selten an Luftmatratzen erinnert, wohingegen seine revolutionären Plastikstühle im damals neuen Spritzgussverfahren neben manchen seiner Lampen oder Modulmöbel bis heute produziert werden. Und seine Geschirre, Aschenbecher, Klimageräte oder Uhren wiesen zu ihrer Zeit weit in die Zukunft: bunt und rund und farbenfroh.
Darin zeigt sich immerhin, dass Colombo nicht nur ein radikaler Visionär war. Seine Mailänder Wohnung war der Praxistest: ein viel fotografierter Showroom, in dem der Meister gerne selbst posierte, stets ausgestattet mit dem neuesten technischen Schnickschnack, an dem James Bond seinen Spaß gehabt hätte. Ein Nachbau dieses Apartments ist der Höhepunkt der Schau samt einem bizarren Cabrio-Bett, das sich mit einem gelben Faltverdeck zu einer Schlafhöhle verschließen ließ. Cocooning nennt man das heute, doch Colombo genoss sein Wohnspielzeug wohl eher als Arbeitsmittel, obwohl ihm der Ruf eines Lebemanns vorauseilte, sagt Mateo Kries.
"Colombo war immer gut gekleidet, war ein Fan von schnellen Autos, liebte das Skifahren, hat wohl auch sehr gerne gegessen und mixte sehr gute Cocktails, hat zusammen mit seinen Freunden Jazzmusik gespielt. Also er war etwas, was man heute vielleicht wirklich als Dandy bezeichnen könnte, jemand, der das Leben liebte und der Design nicht als eine trockene Technikdisziplin begriff, sondern als Lifestyle würde man heute sagen."
Doch der Schein trog. Colombo war ein ungeheuer produktives Arbeitstier, getrieben von seinen Visionen und der Gier nach Neuem, versessen auf technische Details, stets unter Hochspannung. Sein Arzt mahnte ihn, zurückzuschalten, und als er den Rat endlich einmal beherzigte und, exakt am Tag seines 41. Geburtstags 1971, einen Spaziergang machte, erlitt er einen tödlichen Infarkt, ausgerechnet bei der Muße. Als Legende freilich hat Colombo überlebt.
Service:
Die Ausstellung ist vom 21.01.2006 bis zum 10.09.2006 im Vitra Design Museum in Weil am Rhein zu sehen.
"Er hatte also freie Hand, er konnte frei unter allen Bayer-Materialien auswählen. Das waren Textilien, das waren Kunststoffe, und mit diesen Materialien hat dann Colombo seine Vision eines Apartments der Zukunft umgesetzt. Das besteht aus vier voneinander unabhängigen Blöcken. Es gibt einen Küchenblock, einen Schlaf- und Sanitärblock, einen Wohnblock, und alle Funktionen des Wohnens konnten dann durch diese einzelnen Blöcke befriedigt werden. Alle diese Blöcke konnten geschlossen werden, also wirklich wie so kompakte monolithische Elemente, und hatten dann aber alle mögliche Funktionen, wo man dann mittels Schulbaden, Magneten, Bildschirmen usw. ganz viele Funktionen aus diesen Blöcken heraus gewinnen konnte."
Ob sich die Insassen dieser modularen Wohnzellen mit zentraler Sofalandschaft, wo alles seinen festen Platz hatte, auf Dauer wohl gefühlt hätten, ist heute doch die Frage. Schöner Wohnen mit Colombo, das versprach ein funktionales Leben im Kommandostand zwischen schwenkbaren Wänden, eingebauten Bildschirmen und einer artifiziellen Komplettmöblierung, für die eine geeignete Architektur erst noch erfunden werden musste. Doch der Ansatz stimmte. Traditionelle Möbel, der Stuhl als Stuhl, das Bett als Bett, so tönte der Meister aus Mailand, seien tot.
"Colombo versuchte das gesamte Wohn-Environment in Einzelkomponenten zu zerlegen, die dann nach Bedarf flexibel zusammengesetzt werden konnten. Colombo glaubte ganz fest daran, dass sich die Strukturen des Zusammenlebens, dass sich Familienstrukturen in der Zukunft komplett ändern würden, und er leitete daraus ab, dass man auch völlig neue Einrichtungen bräuchte, nämlich Einrichtungen, die sich dem Wandel im menschlichen Leben anpassen mussten. Und daher eben diese Modularität und Flexibilität."
In der Tat ist Colombos Idee vom mobilen, polyfunktionalen Möbel heute Standard. Sofaelemente, die sich beliebig addieren lassen, wandelbare Schranksysteme, mobile Rollcontainer und variable Regalprogramme im Baukastenprinzip – in Colombos Mailänder Studio wurde all das vorgedacht. Zukunftsweisend war auch seine ausklappbare Miniküche von 1963 auf einem knappen Quadratmeter Grundfläche, die komplexe Funktionen auf minimalem Raum integrierte.
"Das System der offenen Küche, dass man einen offenen Wohnraum hat und in der Mitte einen Küchenblock, der gleichzeitig soziales Zentrum ist, diese Idee hat Colombo schon Anfang der 60er Jahre aufgegriffen und damit zum Beispiel war er seiner Zeit unheimlich weit voraus."
Die Ausstellung zeichnet Colombos Blitzkarriere vom Kunstmaler und Gelegenheitsarchitekten zum Stardesigner der 60er Jahre nach, dessen zackige Bauentwürfe Elemente von Zaha Hadid vorwegzunehmen scheinen und der nebenbei auch mal das utopische Projekt einer "nuklearen Stadt" ersann, die Dank unerschöpflicher Atomenergie Industrie und Verkehr komplett unter die Erde verbannte und das Tageslicht allein fürs Wohnen reservierte. Der Mensch als Maulwurf – das war schon damals der reine Witz.
Auch über anderes mag man heute lächeln: über Colombos wulstige Sessel und wellenförmig gerippte Sofas, deren Bauprinzip – Zeitgeist hin, Materialexperimente her – nicht selten an Luftmatratzen erinnert, wohingegen seine revolutionären Plastikstühle im damals neuen Spritzgussverfahren neben manchen seiner Lampen oder Modulmöbel bis heute produziert werden. Und seine Geschirre, Aschenbecher, Klimageräte oder Uhren wiesen zu ihrer Zeit weit in die Zukunft: bunt und rund und farbenfroh.
Darin zeigt sich immerhin, dass Colombo nicht nur ein radikaler Visionär war. Seine Mailänder Wohnung war der Praxistest: ein viel fotografierter Showroom, in dem der Meister gerne selbst posierte, stets ausgestattet mit dem neuesten technischen Schnickschnack, an dem James Bond seinen Spaß gehabt hätte. Ein Nachbau dieses Apartments ist der Höhepunkt der Schau samt einem bizarren Cabrio-Bett, das sich mit einem gelben Faltverdeck zu einer Schlafhöhle verschließen ließ. Cocooning nennt man das heute, doch Colombo genoss sein Wohnspielzeug wohl eher als Arbeitsmittel, obwohl ihm der Ruf eines Lebemanns vorauseilte, sagt Mateo Kries.
"Colombo war immer gut gekleidet, war ein Fan von schnellen Autos, liebte das Skifahren, hat wohl auch sehr gerne gegessen und mixte sehr gute Cocktails, hat zusammen mit seinen Freunden Jazzmusik gespielt. Also er war etwas, was man heute vielleicht wirklich als Dandy bezeichnen könnte, jemand, der das Leben liebte und der Design nicht als eine trockene Technikdisziplin begriff, sondern als Lifestyle würde man heute sagen."
Doch der Schein trog. Colombo war ein ungeheuer produktives Arbeitstier, getrieben von seinen Visionen und der Gier nach Neuem, versessen auf technische Details, stets unter Hochspannung. Sein Arzt mahnte ihn, zurückzuschalten, und als er den Rat endlich einmal beherzigte und, exakt am Tag seines 41. Geburtstags 1971, einen Spaziergang machte, erlitt er einen tödlichen Infarkt, ausgerechnet bei der Muße. Als Legende freilich hat Colombo überlebt.
Service:
Die Ausstellung ist vom 21.01.2006 bis zum 10.09.2006 im Vitra Design Museum in Weil am Rhein zu sehen.