Der Tod der alten Dame
In diesem Jahr feiert sie ihren letzten Geburtstag: Großbritanniens Ex-Premierministerin Margaret Thatcher stirbt 2010. Der Labour-Regierungschef ordnet für die Tote ein Staatsbegräbnis an und bringt damit die halbe Nation auf die Barrikaden. In London feiert jetzt eine schwarze Komödie den Tod der "Eisernen Lady". "Maggie’s End" ist eine bitterböse satirische Abrechnung mit der Thatcher-Ära.
Der Theaterabend beginnt recht ekstatisch. Wir sehen, im Halbdunkel links auf der Bühne, ein Pärchen beim Sex auf einem Schreibtisch im Schatten von Big Ben: unten Neil Callaghan, Labour-Innenminister und aalglatter Bon Viveur, und auf ihm seine reizende junge Assistentin.
Kurz vor dem Höhepunkt klingelt das Telefon. Der Minister nimmt ab und erfährt: Margaret Thatcher ist tot. Keine Neuigkeit steigert die Libido so schnell wie diese: Die tote Thatcher führt direkt zum Orgasmus!
Mit dieser Auftakt-Klimax hat das Stück die Lacher natürlich sofort auf seiner Seite, vorausgesetzt man hasst die Thatcher schon immer so leidenschaftlich wie‘s die Autoren bis heute tun. In "Maggie’s End" lassen Ed Waugh und Trevor Wood entsprechend aufgestaute Luft ab.
Nicht-Briten mögen die Telefonsex-Totenfeier als pietät- und geschmacklos empfinden. Auf der Insel sieht man das anders. Und dennoch fragt man sich: Geht so viel Sarkasmus nicht doch zu weit?
Ganz im Gegenteil, meint Waugh.
"Was die Thatcher uns angetan hat, geht auf keine Kuhhaut. Wenn sie eines Tages tatsächlich den Löffel abgibt, werden das Millionen Briten ausgelassen feiern."
Im Foyer spielt vor der Aufführung eine Blechblaskapelle. Die Musiker sind aus der Gegend um Newcastle angereist, aus der auch Waugh stammt und wo der Name Thatcher bis heute als Schimpfwort gilt.
In den nordenglischen Kohlerevieren begann vor 25 Jahren die Welle der Proteste der Bergarbeiter gegen die von der Regierung Thatcher durchgesetzten Zechenschließungen. Die Londoner Aufführungen von "Maggie’s End" werden von der Bergarbeitergewerkschaft NUM gesponsert.
Politisch setzt dieser Hintergrund ein eindeutiges Vorzeichen, und damit ist auch die Stoßrichtung klar vorgegeben. In seiner Mischung aus Boulevard und Agitprop und mit zugespieltem zeitgenössischem Protestsong-Material von Pete Seeger, Billy Bragg und The Clash ist das Stück eine nachgereichte Solidaritätsaktion für die Kumpel und ihre Sympathisanten nach der Devise "It’s time to fight back!"
Sicher, Tote muss man nicht bekämpfen, sie sind Geschichte. Entscheidend ist, welche Konsequenzen die Lebenden aus ihr ziehen. Die Labour-Regierung versprach der "Eisernen Lady" ein Staatsbegräbnis, die Verantwortung für dessen reibungslose Abwicklung liegt beim Innenminister.
An diesem Punkt kommt nun die rechte Bühnenhälfte ins Spiel. Gewerkschafter, Intellektuelle und Hausfrauen machen gegen den geplanten Staatsakt mobil, allen voran der Soziologe und Ex-Revoluzzer Leon. Er organisiert Flugblattaktionen, Protestmärsche und Straßenpartys und sehnt sich nach Klassenkampf.
Nur, Leon hat zwei Probleme. Zum einen muss er feststellen: Im Großbritannien des 21. Jahrhunderts mangelt’s an revolutionärem Potenzial. Und zweitens ist Rosa, die mit dem Minister kopulierende Karrierefrau, seine eigene Tochter.
Im Klartext heißt das: Auf der politischen wie auf der Theaterbühne haben Links und Rechts die Seiten gewechselt. Und: Die Satire-Attacke gilt weniger der "Eisernen Lady" als den Apparatschiks einer neokonservativen New-Labour-Partei. Blair und Brown, sagt Ed Waugh, sie seien die wahren Erben des Thatcherismus.
"Das Thema des Stückes ist Verrat. New Labour hat die britische Arbeiterbewegung verraten und die Werte der Alten Linken. Es ist noch nicht lange her, da lud Gordon Brown die Thatcher zum Tee in die Downing Street! Und jetzt lässt er dort ein Porträt von ihr aufhängen für 100.000 Pfund! Wenn das nicht Verrat ist, was dann!"
Waugh und Wood sind nicht die ersten, die die Selbstzerknirschung im Labour-Lager auf britische Bühnen bringen. Neu ist hier allenfalls die Inszenierung des Thatcher-Tods. Doch als Mumie geistert sie schon ewig durch die Karikaturspalten der Zeitungen. Und war nicht schon ein Anti-Thatcher-Song aus dem Jahr 1988 – sie war damals auf dem Höhepunkt ihrer Macht – so was wie ein vorgezogener Nachruf?
"Wann stirbst du endlich?" fragte Morrissey in seiner Ballade "Maggie auf dem Weg zur Guillotine". Aber Thatcher behielt ihren Kopf und blieb wie sie immer war: widerspenstig, knallhart und unbeugsam. Als Latexpuppe war sie bis Mitte der 90er-Jahre der Star der Satireserie "Spitting Image” – und das Gespött der Nation. Ihre komödiante Wiederauferstehung feierte sie zuletzt 2006 in "Thatcher: The Musical".
Eine subtilere Auseinandersetzung mit dem Erbe der Ära Thatcher unter Blair und Co. findet man in den politischen Stücken des Dramatikers David Hare. Nein, "Maggie’s End" bricht keine Tabus und tut auch niemandem weh. Was als böse Satire angekündigt wird, entpuppt sich als eine von einer starken Prise Revolutionsromantik angehauchte Farce ohne Biss. Gespielt wird für die Galerie. Die aber hätte mehr verdient. Und Maggie wohl auch.
"Maggie’s End"
The Shaw Theatre
7.-18.4.2009
www.theshawtheatre.com
Kurz vor dem Höhepunkt klingelt das Telefon. Der Minister nimmt ab und erfährt: Margaret Thatcher ist tot. Keine Neuigkeit steigert die Libido so schnell wie diese: Die tote Thatcher führt direkt zum Orgasmus!
Mit dieser Auftakt-Klimax hat das Stück die Lacher natürlich sofort auf seiner Seite, vorausgesetzt man hasst die Thatcher schon immer so leidenschaftlich wie‘s die Autoren bis heute tun. In "Maggie’s End" lassen Ed Waugh und Trevor Wood entsprechend aufgestaute Luft ab.
Nicht-Briten mögen die Telefonsex-Totenfeier als pietät- und geschmacklos empfinden. Auf der Insel sieht man das anders. Und dennoch fragt man sich: Geht so viel Sarkasmus nicht doch zu weit?
Ganz im Gegenteil, meint Waugh.
"Was die Thatcher uns angetan hat, geht auf keine Kuhhaut. Wenn sie eines Tages tatsächlich den Löffel abgibt, werden das Millionen Briten ausgelassen feiern."
Im Foyer spielt vor der Aufführung eine Blechblaskapelle. Die Musiker sind aus der Gegend um Newcastle angereist, aus der auch Waugh stammt und wo der Name Thatcher bis heute als Schimpfwort gilt.
In den nordenglischen Kohlerevieren begann vor 25 Jahren die Welle der Proteste der Bergarbeiter gegen die von der Regierung Thatcher durchgesetzten Zechenschließungen. Die Londoner Aufführungen von "Maggie’s End" werden von der Bergarbeitergewerkschaft NUM gesponsert.
Politisch setzt dieser Hintergrund ein eindeutiges Vorzeichen, und damit ist auch die Stoßrichtung klar vorgegeben. In seiner Mischung aus Boulevard und Agitprop und mit zugespieltem zeitgenössischem Protestsong-Material von Pete Seeger, Billy Bragg und The Clash ist das Stück eine nachgereichte Solidaritätsaktion für die Kumpel und ihre Sympathisanten nach der Devise "It’s time to fight back!"
Sicher, Tote muss man nicht bekämpfen, sie sind Geschichte. Entscheidend ist, welche Konsequenzen die Lebenden aus ihr ziehen. Die Labour-Regierung versprach der "Eisernen Lady" ein Staatsbegräbnis, die Verantwortung für dessen reibungslose Abwicklung liegt beim Innenminister.
An diesem Punkt kommt nun die rechte Bühnenhälfte ins Spiel. Gewerkschafter, Intellektuelle und Hausfrauen machen gegen den geplanten Staatsakt mobil, allen voran der Soziologe und Ex-Revoluzzer Leon. Er organisiert Flugblattaktionen, Protestmärsche und Straßenpartys und sehnt sich nach Klassenkampf.
Nur, Leon hat zwei Probleme. Zum einen muss er feststellen: Im Großbritannien des 21. Jahrhunderts mangelt’s an revolutionärem Potenzial. Und zweitens ist Rosa, die mit dem Minister kopulierende Karrierefrau, seine eigene Tochter.
Im Klartext heißt das: Auf der politischen wie auf der Theaterbühne haben Links und Rechts die Seiten gewechselt. Und: Die Satire-Attacke gilt weniger der "Eisernen Lady" als den Apparatschiks einer neokonservativen New-Labour-Partei. Blair und Brown, sagt Ed Waugh, sie seien die wahren Erben des Thatcherismus.
"Das Thema des Stückes ist Verrat. New Labour hat die britische Arbeiterbewegung verraten und die Werte der Alten Linken. Es ist noch nicht lange her, da lud Gordon Brown die Thatcher zum Tee in die Downing Street! Und jetzt lässt er dort ein Porträt von ihr aufhängen für 100.000 Pfund! Wenn das nicht Verrat ist, was dann!"
Waugh und Wood sind nicht die ersten, die die Selbstzerknirschung im Labour-Lager auf britische Bühnen bringen. Neu ist hier allenfalls die Inszenierung des Thatcher-Tods. Doch als Mumie geistert sie schon ewig durch die Karikaturspalten der Zeitungen. Und war nicht schon ein Anti-Thatcher-Song aus dem Jahr 1988 – sie war damals auf dem Höhepunkt ihrer Macht – so was wie ein vorgezogener Nachruf?
"Wann stirbst du endlich?" fragte Morrissey in seiner Ballade "Maggie auf dem Weg zur Guillotine". Aber Thatcher behielt ihren Kopf und blieb wie sie immer war: widerspenstig, knallhart und unbeugsam. Als Latexpuppe war sie bis Mitte der 90er-Jahre der Star der Satireserie "Spitting Image” – und das Gespött der Nation. Ihre komödiante Wiederauferstehung feierte sie zuletzt 2006 in "Thatcher: The Musical".
Eine subtilere Auseinandersetzung mit dem Erbe der Ära Thatcher unter Blair und Co. findet man in den politischen Stücken des Dramatikers David Hare. Nein, "Maggie’s End" bricht keine Tabus und tut auch niemandem weh. Was als böse Satire angekündigt wird, entpuppt sich als eine von einer starken Prise Revolutionsromantik angehauchte Farce ohne Biss. Gespielt wird für die Galerie. Die aber hätte mehr verdient. Und Maggie wohl auch.
"Maggie’s End"
The Shaw Theatre
7.-18.4.2009
www.theshawtheatre.com