Der Tod als Teil des Lebensplans

Klaus Feldmann im Gespräch mit Andreas Müller |
Der Soziologe Klaus Feldmann sieht das Gesetz zur Patientenverfügung positiv. Es fördere die Selbstbestimmung und werde dazu beitragen, sich mit dem Thema Tod zu beschäftigen.
Andreas Müller: Aus Hannover ist uns jetzt der Soziologe Professor Klaus Feldmann zugeschaltet, schönen guten Tag, Herr Feldmann!

Klaus Feldmann: Guten Tag!

Müller: Sie haben sich intensiv mit der Veränderung der sozialen Haltung zum Tod beschäftigt. Wir haben eben diese gewaltige Zahl gehört, neun Millionen Menschen haben eine Patientenverfügung. Warum unterschreiben immer mehr Menschen so ein Papier?

Feldmann: Ob die Zahl gewaltig ist, ist natürlich eine Frage, weil das sind ja – nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA und so weiter – in der Regel Minderheiten, die das unterschreiben, und das wird auch auf absehbare Zeit so bleiben, also, höher als 20 Prozent werden die wahrscheinlich nicht so schnell steigen. Aber trotzdem sind es relativ viele Menschen, ja, die eben besser gebildet sind, diejenigen, die ihr Leben stärker planen, die eben die Selbstbestimmung für sehr wichtig halten.

Müller: Bedeutet das auch, dass die Menschen sich offenbar nach einem friedlichen und vor allen Dingen auch würdigen Tod sehnen?

Feldmann: Ja, natürlich, das ist generell so, dass diese Sehnsucht da ist. Aber das wird nicht dazu führen, dass die Mehrheit eben eine Patientenverfügung verfasst.

Müller: Ich finde die Zahl tatsächlich immer noch beeindruckend, aber ... Es ist meiner Meinung nach eine große Zahl von Menschen, die sich aktiv mit dem eigenen Ende auseinanderzusetzen scheint?

Feldmann: Ja, das ist richtig, also ich meine, das Thema ist ja auch in den letzten Jahrzehnten eben immer bedeutsamer geworden, in der Öffentlichkeit auch stärker diskutiert worden und von einzelnen Menschen auch mehr beachtet worden.

Müller: Sehen manche darin auch so eine Art Versicherung? Ist das so ein wenig, dass man sich schützen möchte vor, ja, Qualen, einem quälenden Ende? Und hat man das Thema dann vielleicht auch für eine Weile erst mal wieder an die Seite eigentlich gedrängt, also dass man sich eigentlich gar nicht mehr damit auseinandersetzen möchte?

Feldmann: Generell kann man sagen, dass psychisch verdrängt wird, das heißt, dass die meisten Menschen – oder vielleicht fast alle – eben nicht an das eigene Sterben erinnert werden wollen. Von daher ist natürlich eine Patientenverfügung sicher ein sozusagen eher einmaliges Ereignis, das man dann wieder abschiebt.

Müller: Früher gehörte der Tod eigentlich ganz selbstverständlich zum Leben dazu, wurde nicht so sehr verdrängt. Wann hat sich das eigentlich geändert?

Feldmann: Na ja, das ist also schwer, die psychische Verdrängung ist wohl anthropologisch vorgegeben, das heißt, sie wird durch Kulturen variiert, ist aber wohl immer da gewesen. Allerdings – wir wissen eben sehr wenig über die Psychen der Vergangenen, der Toten, der anderen Kulturen Bescheid, sozusagen, dann sollen wir etwas vorsichtig sein. Wir wissen natürlich über die religiösen Bräuche und die sozusagen Schriften der Eliten Bescheid, aber das ist nur ein Faktor.

Müller: Ja, bleiben wir mal in unserem Kulturkreis. Ich meine, das ist ja immer ein wieder gerne bemühtes Bild oder eine gerne geliebte Vorstellung von der dörflichen Situation, dass man dort stirbt im Kreise der Lieben, und von klein auf lernen die Menschen, dass es so etwas gibt wie Tod und müssen sich auch damit auseinandersetzen. Ist das Bild vielleicht eigentlich falsch?

Feldmann: Ja, das ist eine Idylle. Falsch ist es nicht, selbstverständlich gab es das, je nach Zeit und je nach Umständen. Die Frage ist nur, ob es ... unter welchen Bedingungen und in welchen Regionen es für die Mehrheit Wirklichkeit war. Das führt aber zu weit. Man sollte sich hüten, die Vergangenheit so als Idylle sich vorzustellen.

Müller: Der Tod wurde ja gleichsam ausgelagert in unserer Gesellschaft. Wir werden zwar immer älter, das ist wahr, aber die meisten von uns sterben dann eben auch in Krankenhäusern und Heimen und eben nicht mehr in der Familie. Was bedeutet das eigentlich?

Feldmann: Ja, das ist richtig, die meisten sterben in Organisationen. Aber man darf nicht vergessen, dass das Sterben länger geworden ist, das heißt, es findet sehr stark auch im privaten Bereich statt. Selbst wenn jemand die letzte Woche im Krankenhaus verbringt, gestorben ist die Person ja vielleicht schon Wochen vorher, zu Hause. Also von daher ist der letzte Sterbeort zwar bedeutsam, aber den sollte man nicht nur bedenken.

Müller: Tritt damit eigentlich auch so etwas wie ein Lernprozess dann wieder ein, also dass wir dann doch plötzlich wieder mehr konfrontiert werden mit dem Ende?

Feldmann: Ja, man kann ... Ich würde sagen, eine Minderheit der Bevölkerung hat die Erfahrung des Sterbens anderer als Sterbebegleitung durchgeführt und die Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung hat – jedenfalls vor dem 50. Lebensjahr –, hat diese Erfahrungen nicht oder fast nicht. Und das ist der Unterschied gegenüber früheren Zeiten. Da hatte die Mehrheit der Bevölkerung schon von Kindheit an die Erfahrungen mit dem Sterben anderer.

Müller: Fragt man junge, gesunde Menschen, dann sagen die ja mit großer Sicherheit, dass passive und aktive Sterbehilfe etwas Gutes sei, müssen aber natürlich verstehen, dass auch in diesem neuen Gesetz das nicht zulässig ist. Alte Kranke, die sehen das ganz anders, die wollen dann eben doch länger leben. Mit dem Tod vor Augen hat das Leben wieder eine ganz andere Qualität. Wie sollen Ärzte und Angehörige denn damit umgehen? Denn häufig liegt dann ja eine entsprechende, unterschriebene Patientenverfügung vor.

Feldmann: Ja, wie Sie gesagt haben, aktive Sterbehilfe ist ja verboten, aber eine Minderheit in Deutschland oder auch in anderen Ländern wünscht das. Aber erfüllt wird dieser Wunsch eben für diese kleine Minderheit nur in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg.

Müller: Welche Rolle spielen eigentlich die Medien? Ständig wird ja gestorben, also in Filmen, in Serien ist es ja quasi ein Massensterben, was man täglich beobachten kann, selbst in der harmlosesten Vorabendserie. Das echte Sterben wird aber doch immer noch höflich ausgeblendet.

Feldmann: Richtig. Die Medien produzieren ein fiktives Sterbebild im Bewusstsein der meisten Menschen. Allerdings – diejenigen, die wahrscheinlich selbst Erfahrungen haben, werden die Erfahrungen für bedeutsamer halten als das, was sie aus den Medien erfahren, aber da die meisten eben wenige oder keine Erfahrungen haben, ist das Sterbebild der meisten Menschen wohl nicht realitätsgerecht.

Müller: Nun tritt nächste Woche das Gesetz in Kraft, es wird viel darüber geschrieben, viel darüber gesendet, wir sprechen gerade unmittelbar darüber. Glauben Sie, dass das zu vielleicht einer neuen Welle, vielleicht einem neuen Schub führen könnte, dass Menschen sich mit ihrem Ende auseinandersetzen?

Feldmann: Nein. Einen Schub, glaube ich, gibt es nicht, aber langfristig ist das Gesetz positiv, würde ich jedenfalls meinen, weil es die Selbstbestimmung fördert und die Möglichkeit eben, sich mit diesem wichtigen Thema zu beschäftigen. Aber übertriebene Hoffnungen würde ich nicht daran knüpfen.

Müller: Sagt Professor Klaus Feldmann, der ist Soziologe und am Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Leibnitz Universität in Hannover, und es ging um das eigene Sterben, dass man das regeln kann bzw. dass der Tod Teil des Lebensplanes ist. Vielen Dank!