Der tanzende Zimmermann
Der Choreograph Lin Hwai-min hat Taiwan untrennbar mit der "Cloud Gate Dance Company" verknüpft. Nach der Tanztruppe ist in Taipeh eine Straße benannt, im August feiert man den "Cloud Gate Day". Zu verdanken ist dieser Ruhm dem Leiter der Gruppe. Bei den Movimento Tanzwochen in Wolfsburg erhält Lin Hwai-min den Hauptpreis für sein Lebenswerk.
"Weiß ist sehr intensiv – es spricht! Es ist niemals neutral. Wer sagt, dass weiß eine friedliche Farbe ist? Weiß kann sehr kraftvoll sein – und auch aggressiv. Leere! Weiß hat viel mit Leere zu tun. Und Leere ist ein wichtiger Teil der buddhistischen Philosophie, von der ich stark beeinflusst bin."
Weiß – die Bühne blendet einen geradezu in ihrem strahlenden Weiß. Und tatsächlich geht es in diesem Weiß nicht wirklich friedlich zu – zumindest nicht im herkömmlichen Sinne. Zwar finden weder Kampf noch Auseinandersetzungen statt – doch herrscht für eine Weile große Kälte, die subtilere Art der Aggression. Für seinen dreiteiligen Tanzabend "White" ließ sich der taiwanesische Choreograph Lin Hwai-min von den verschiedenen Facetten der Farbe Weiß inspirieren.
Wenn Tänzer und Tänzerin zu Beginn auf die Bühne laufen, beide in weiß gekleidet, und Sequenzen tanzen, in denen Arme und Beine immer wieder mit spitzen Bewegungen die Luft durchlaufen wie abgeschossene Pfeile – wird klar: das ist virtuoser Tanz mit hochkomplexen Bewegungsmustern – doch ohne sichtbare Emotion. Selbst wenn sich die Tänzer in gegenseitigen Hebungen berühren, bleiben sie vermeintlich unberührt. Dennoch ist ihnen – bei allem Wirbeln und allen Spitzen – eine überaus fließende Qualität zu eigen, in der die Bewegungen ununterbrochen ineinander übergehen und selbst die Stopps und Haltepunkte noch vom Fluss des Atems durchdrungen sind. Seine Tanztechnik hat Lin Hwai-min in über 30 Jahren entwickelt, in der er die Cloud Gate Dance Company leitet.
"Heute sind die Tänzer auf der Höhe ihres Könnens. In meinen jetzigen Stücken müssen sie keine antiken Helden oder Geister mehr tanzen, so wie früher; sie können ganz sie selbst sein auf der Bühne, sich ganz auf ihre Bewegungen und ihre Körper konzentriert. Und sie sind fantastisch!"
Der heute über 60-jährige Lin Hwai-min ist erst spät zum Tanz gekommen. Nachdem er bereits zwei Romane veröffentlicht hatte, begann er mit Anfang zwanzig, in seiner Heimat Taiwan Peking Oper zu studieren. Später zog es ihn nach New York zum Modern Dance Training bei Martha Graham und anschließend nach Japan und Korea zum Studium des klassischen Hoftanzes und der Kampfkünste. Aus diesen ganz verschiedenen östlichen und westlichen Techniken hat er einen eigenen, unverwechselbaren Stil geschaffen, der über die Jahre immer abstrakter geworden ist.
"Zusätzlich zu westlichen Tanztechniken wie Ballett und Modern Dance liegt unser Fokus auf den traditionellen östlichen Körperdisziplinen wie Meditation, Kampfkünsten, Qui Gong – eine alte Form spezieller Atemübungen – und Kalligraphie. Die Lehrer, die wir für die Trainingsklassen einladen, unterrichten aber keine Schritte; sie vermitteln statt dessen Technik und Körpergefühl, aber auch die innere Haltung. Die Tänzer werden dadurch geerdet, sie beachten ihren Atem und zentrieren ihren Geist. Aus diesem Training heraus kreiere ich die Bewegungen meiner Choreographien."
In Stücken wie "White" oder der Triologie "Cursive", in der er die Kunst der Kalligraphie in Bewegungen übertrug, sucht er nach puren, zeitlosen Zuständen und Zugängen; doch bleibt seine Arbeit nicht unbeeinflusst von der umgebenden Realität – und der Geschichte. 1997 hat er in "Porträt of the families" persönliche Erfahrungen mit Terror und Umerziehungsmaßnahmen auf die Bühne gebracht.
Universelles und Politisches, Persönliches und Abstraktes fließen in je unterschiedlicher Ausprägung in die Werke ein, ohne sich dabei zu vermischen. Statt von 'Verbindung' oder 'Verschmelzung' spricht Lin Hwai-min eher von einer Spiegelung der Realität auf der Ebene der Kunst.
"In Taiwan geht man ins Museum, um sich Jahrtausende alte Kalligraphie anzusehen und hinterher geht man nach Hause und surft im Internet. Wir trinken einen schnellen Espresso bei Starbucks, aber wir nehmen uns die Zeit, in einer langen Zeremonie Tee zuzubereiten und noch mehr Zeit, ihn dann zu trinken. In meinen Träumen spreche ich chinesisch, taiwanesisch und englisch. Das geht bei uns alles zusammen. Und in meiner Arbeit reflektiere ich genau auf diese vielen unterschiedlichen Elemente unseres Lebens und unseres Alltags – die Stücke entstehen mehr aus einer Reflektion darauf als aus einem aufgesetzten künstlerischen Programm."
Sei es die praktizierte Religion, sein alltägliches Leben am Ufer eines Flusses oder seine zahlreichen Reisen nach Indien, auf dessen Straßen er sich mit den existenziellen Fragen von Leben und Tod konfrontiert sieht – Lin Hwai-min übersetzt die vielfältigen Realitäten, in denen und mit denen er lebt, in Bewegung. Für die von ihm entwickelte Formensprache wird er auf der ganzen Welt bewundert – in Taiwan aber wird er geliebt.
Unverkennbar sind Lin Hwai-min und seine Tänzer ein wichtiger und bedeutender, aber vor allem lebendiger und zugänglicher Teil der taiwanesischen Kultur; in den vielen Cloud Gate Schulen wird Kindern Tanz ohne Leistungsgedanken vermittelt, es gibt Aufführungen in Krankenhäusern und riesige Open-Air-Veranstaltungen der Kompanie. Auch wenn die Werke Lin Hwai-mins inzwischen einen hohen Abstraktionsgrad erreicht haben – abgehoben vom wirklichen Leben sind sie – und ihr Schöpfer – deswegen nicht.
"Ich sehe mich selbst nicht als 'Künstler'. Ich fühle mich eher wie ein Arbeiter, wie ein Zimmermann, der ein ganz spezielles Handwerk braucht, um zu arbeiten und ein Werk zu vollenden. Aber ich bin kein 'Künstler'!"
Weiß – die Bühne blendet einen geradezu in ihrem strahlenden Weiß. Und tatsächlich geht es in diesem Weiß nicht wirklich friedlich zu – zumindest nicht im herkömmlichen Sinne. Zwar finden weder Kampf noch Auseinandersetzungen statt – doch herrscht für eine Weile große Kälte, die subtilere Art der Aggression. Für seinen dreiteiligen Tanzabend "White" ließ sich der taiwanesische Choreograph Lin Hwai-min von den verschiedenen Facetten der Farbe Weiß inspirieren.
Wenn Tänzer und Tänzerin zu Beginn auf die Bühne laufen, beide in weiß gekleidet, und Sequenzen tanzen, in denen Arme und Beine immer wieder mit spitzen Bewegungen die Luft durchlaufen wie abgeschossene Pfeile – wird klar: das ist virtuoser Tanz mit hochkomplexen Bewegungsmustern – doch ohne sichtbare Emotion. Selbst wenn sich die Tänzer in gegenseitigen Hebungen berühren, bleiben sie vermeintlich unberührt. Dennoch ist ihnen – bei allem Wirbeln und allen Spitzen – eine überaus fließende Qualität zu eigen, in der die Bewegungen ununterbrochen ineinander übergehen und selbst die Stopps und Haltepunkte noch vom Fluss des Atems durchdrungen sind. Seine Tanztechnik hat Lin Hwai-min in über 30 Jahren entwickelt, in der er die Cloud Gate Dance Company leitet.
"Heute sind die Tänzer auf der Höhe ihres Könnens. In meinen jetzigen Stücken müssen sie keine antiken Helden oder Geister mehr tanzen, so wie früher; sie können ganz sie selbst sein auf der Bühne, sich ganz auf ihre Bewegungen und ihre Körper konzentriert. Und sie sind fantastisch!"
Der heute über 60-jährige Lin Hwai-min ist erst spät zum Tanz gekommen. Nachdem er bereits zwei Romane veröffentlicht hatte, begann er mit Anfang zwanzig, in seiner Heimat Taiwan Peking Oper zu studieren. Später zog es ihn nach New York zum Modern Dance Training bei Martha Graham und anschließend nach Japan und Korea zum Studium des klassischen Hoftanzes und der Kampfkünste. Aus diesen ganz verschiedenen östlichen und westlichen Techniken hat er einen eigenen, unverwechselbaren Stil geschaffen, der über die Jahre immer abstrakter geworden ist.
"Zusätzlich zu westlichen Tanztechniken wie Ballett und Modern Dance liegt unser Fokus auf den traditionellen östlichen Körperdisziplinen wie Meditation, Kampfkünsten, Qui Gong – eine alte Form spezieller Atemübungen – und Kalligraphie. Die Lehrer, die wir für die Trainingsklassen einladen, unterrichten aber keine Schritte; sie vermitteln statt dessen Technik und Körpergefühl, aber auch die innere Haltung. Die Tänzer werden dadurch geerdet, sie beachten ihren Atem und zentrieren ihren Geist. Aus diesem Training heraus kreiere ich die Bewegungen meiner Choreographien."
In Stücken wie "White" oder der Triologie "Cursive", in der er die Kunst der Kalligraphie in Bewegungen übertrug, sucht er nach puren, zeitlosen Zuständen und Zugängen; doch bleibt seine Arbeit nicht unbeeinflusst von der umgebenden Realität – und der Geschichte. 1997 hat er in "Porträt of the families" persönliche Erfahrungen mit Terror und Umerziehungsmaßnahmen auf die Bühne gebracht.
Universelles und Politisches, Persönliches und Abstraktes fließen in je unterschiedlicher Ausprägung in die Werke ein, ohne sich dabei zu vermischen. Statt von 'Verbindung' oder 'Verschmelzung' spricht Lin Hwai-min eher von einer Spiegelung der Realität auf der Ebene der Kunst.
"In Taiwan geht man ins Museum, um sich Jahrtausende alte Kalligraphie anzusehen und hinterher geht man nach Hause und surft im Internet. Wir trinken einen schnellen Espresso bei Starbucks, aber wir nehmen uns die Zeit, in einer langen Zeremonie Tee zuzubereiten und noch mehr Zeit, ihn dann zu trinken. In meinen Träumen spreche ich chinesisch, taiwanesisch und englisch. Das geht bei uns alles zusammen. Und in meiner Arbeit reflektiere ich genau auf diese vielen unterschiedlichen Elemente unseres Lebens und unseres Alltags – die Stücke entstehen mehr aus einer Reflektion darauf als aus einem aufgesetzten künstlerischen Programm."
Sei es die praktizierte Religion, sein alltägliches Leben am Ufer eines Flusses oder seine zahlreichen Reisen nach Indien, auf dessen Straßen er sich mit den existenziellen Fragen von Leben und Tod konfrontiert sieht – Lin Hwai-min übersetzt die vielfältigen Realitäten, in denen und mit denen er lebt, in Bewegung. Für die von ihm entwickelte Formensprache wird er auf der ganzen Welt bewundert – in Taiwan aber wird er geliebt.
Unverkennbar sind Lin Hwai-min und seine Tänzer ein wichtiger und bedeutender, aber vor allem lebendiger und zugänglicher Teil der taiwanesischen Kultur; in den vielen Cloud Gate Schulen wird Kindern Tanz ohne Leistungsgedanken vermittelt, es gibt Aufführungen in Krankenhäusern und riesige Open-Air-Veranstaltungen der Kompanie. Auch wenn die Werke Lin Hwai-mins inzwischen einen hohen Abstraktionsgrad erreicht haben – abgehoben vom wirklichen Leben sind sie – und ihr Schöpfer – deswegen nicht.
"Ich sehe mich selbst nicht als 'Künstler'. Ich fühle mich eher wie ein Arbeiter, wie ein Zimmermann, der ein ganz spezielles Handwerk braucht, um zu arbeiten und ein Werk zu vollenden. Aber ich bin kein 'Künstler'!"