"Der Tanz, das ist mein Leben"

Von Margit Hillmann |
Alphéa Pouget war von Anfang an beim zeitgenössischen Tanz dabei: Die schwedische Tänzerin, Jahrgang 1926, hat unter anderem in George Taboris Theater-Labor in Bremen gearbeitet hat Und: Sie tanzt immer noch selbst, trotz ihres hohen Alters.
Probe im kleinen Pariser Tanztheater "Le Regard du Cygne": Eine zierliche Frau mit kurzen weißen Haaren, in T-Shirt und Leggins zieht auf der Bühne Kreise. Im Laufschritt, dazwischen kleine Hüpfer, unbeschwert wie ein Kind.

Unwahrscheinliche Bewegungen; wollen nicht passen zum Gesicht der Tänzerin - das einer älteren Dame. Alphéa Pouget - die alle bei ihrem Vornamen nennen - ist 86 Jahre alt. Das Licht der Scheinwerfer ist zu schwach, sagt sie einer jungen Frau, die barfuss auf die Bühne kommt.

Lucie ist ihre Schülerin, kommt ursprünglich vom Klassischen Tanz. Alphéa hat sie eingeladen. Sie darf im ersten Teil ihrer Nachmittagsvorstellung im Theater ein Solo tanzen. Die 26-Jährige wärmt sich kurz auf, dann improvisieren die beiden Frauen ein kleines Tanzspiel. Sie stellen sich Hüfte an Hüfte, beginnen sich - wie siamesische Zwillinge - gemeinsam zu bewegen:

Vorwärts, rückwärts, immer im Kontakt mit dem Körper der anderen. Sie drehen sich, um die eigene Achse, um ihre Partnerin, unter Arme und Beine hindurch - immer schneller und schneller.

Alphéa Pouget ist ein nordisches Temperament, macht nicht viel Worte. Was das Tanzen ihr bedeutet? Die in Lappland geborene Schwedin mit den wachen braunen Augen lächelt.

"Der Tanz, das ist mein Leben. Das ist ganz einfach. War immer mein Leben. Ich bin so geboren. Das ist eine Krankheit. Die geht nicht weg."

Schon als Kind - Anfang der 1930-er Jahre - ist Alphéas Lust am Tanzen so augenfällig, dass ihre Eltern sie zu jedem Tanzkurs anmelden, der in ihrer nordschwedischen Kleinstadt Luleå angeboten wird. Später wird sie ins ferne Stockholm geschickt und landet bei der legendären schwedischen Avantgarde-Tänzerin, Birgit Åkesson. Alphéa entdeckt bei ihr den zeitgenössischen Tanz, der sie nie wieder loslassen soll.

"Der klassische Tanz, die haben eine Code. Du machst immer eins, zwei, drei, vier - Beine hier, Beine da. Und wenn Du dressierst deinen Körper, dann ist es sicherlich schwierig, damit frei umzugehen. Ich habe keine Codifierung, keine sogenannte Enchainement, Bewegungsabläufe. Ich hab ein Körper und mit diesem Instrument drücke ich, was in mir ist, raus. Das wird eine Entdeckungsreise in dich. Du darfst nicht lauwarm bleiben. Und dann geht es mit Einbildung, l'imagination."

Am Nachmittag sitzen rund 60 Zuschauer in den Rängen des kleinen Theaters. Der Haus-Choreograph kommt auf die Bühne, kündigt eine Schwedin aus dem kalten Norden an.

'Nichts, überhaupt nichts, Nichts und Alles' - Alphea Pougets eigene Choreographie zu Schuberts 'Der Tod und das Mädchen'.

Alphéa steht in der Bühnenmitte, in einem langen ärmellosen schwarzen Kleid mit Dekolletee. Ihre weißen Arme lässt die 86-Jährige an sich herunter hängen. Nur langsam gerät sie in Bewegung, hebt die Arme, streckt sie von sich, lässt den Oberkörper kreisen. - Wie ein segelnder Vogel, der Hindernisse umfliegt. Dann wieder krümmt sich ihr Körper, scheint hinab zu tauchen.

Die Tänzerin gleitet von Pose zu Pose. Ohne Eitelkeit, aufs Wesentliche konzentriert. Minimalistische Figuren - und doch bis in die Fingerspitzen getanzt. Die knapp 1 Meter 65 kleine Frau füllt Bühne und Raum, zieht die Zuschauer in ihren Bann. Rund sieben Minuten dauert die Performance. Am Ende steht sie einfach nur da, lange Sekunden, bis das Publikum schließlich begeistert applaudiert.

Mit 86 Jahren als Tänzerin auftreten - für Alphéa hat das nichts von einem Wunder.

"Darum arbeite ich jeden Tag! Man darf ja nicht aufhören, dass ist das ganze Ding. Es ist auch eine Mentalität. Und natürlich, was isst du. Das ist sehr wichtig. Und dann habe ich das Geheimnis, ich bin Buddhistin. Das gibt dir die ganze Energie. Und wenn ich tanze, das ist wahnsinnig wichtig zu zeigen, dass es möglich ist, dass das Alter eigentlich gar nicht existiert."

Nach ihrem Auftritt trinkt die Tänzerin am Tresen des Theatercafés einen Rotwein. Sofort ist sie umringt von Theatergästen, genießt die zahlreichen Komplimente.

Alphéa Pouget wird von ihren Kollegen in Frankreich und Deutschland geschätzt, von ihren Schülern oft bewundert. Ende der 80-er Jahre wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz für ihre tanzpädagogischen Leistungen in Bremen ausgezeichnet. 13 Jahre hatte die Schwedin in dem von ihr gegründeten Bremer Bildertheater modernen Tanz unterrichtet. Doch der große Karrieresprung ist der zeitgenössischen Tänzerin, die heute in Südfrankreich wohnt, nie gelungen. "Verpasst!" - sagt sie:

"Total, ja. Das kommt, dass ich in 75 mit Tabori von Paris nach Bremen gegangen bin. Und da hat es gerade angefangen in Paris, da ging es los hier. Viele Choreographen haben mit mir angefangen, die heute tierisch berühmt sind. So ist es. Aber ich komme ja jetzt!"

Limits setzt sich die 86-Jährige keine. Im Gegenteil: Sie will wieder mehr auf die Bühne. Im Moment arbeitet die Tänzerin mit einem belgischen Choreografen an einem neuen Stück.

"Ein Choreograph von 29 Jahre hat mich gesehen, wenn ich meinen Schubert getanzt hab und hat mir gefragt, ob er etwas für mich choreographieren könnte. Ja klar, natürlich. Und da haben wir im Juni zwei Wochen neben mir in einem Theater gearbeitet. Und er ist schon voll im Business. Wir haben entschieden, wir wollen in die ganze Welt rum mit das."
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