Der Tag mit Anke Domscheit-Berg

"Geschlechtergerechtigkeit fängt bei der Sprache an"

Anke Domscheit-Berg sitzt als parteilose Abgeordnete für Die Linke im Bundestag.
Die Politikerin Anke Domscheit-Berg ist zu Gast bei Deutschlandfunk Kultur. © imago stock&people
Anke Domscheit-Berg im Gespräch mit Anke Schaefer  · 20.02.2018
Die 80-jährige Marlies Krämer hatte keine Lust mehr, von ihrer Bank als "Kunde" angesprochen zu werden. Deshalb klagte sie vor dem Landgericht Saarbrücken. Die Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg findet das absolut nachvollziehbar.
Weil ihre Sparkasse sie immer nur als "Kunde" und nie als "Kundin" anschrieb, platzte Marlies Krämer irgendwann der Kragen. Die 80-Jährige fühlte sich diskriminiert und klagte vor dem Landgericht Saarbrücken:
"Wir Frauen sind die Mehrheit der Bevölkerung und kommen in unserer Muttersprache nicht vor, als gebe es uns gar nicht. Und da bin ich rebellisch geworden. Dadurch, dass wir sprachlich nicht vorkommen, haben wir auch gesellschaftlich eine viel geringere Wertschätzung als die Männer. Weil die sind ja immer präsent. Und ich werde permanent geschlechtsumgewandelt und zum Mann umfunktioniert. Und das will ich nicht."

Status Quo im Namen der Tradition

Mit dem Argument, "Kunde" sei ein generisches Maskulinum, welches die Frauen mit meine und schon seit 2.000 Jahren verwendet würde, wehrte das Landgericht die Klage von Marlies Krämer ab. Anke Domscheit-Berg, die als parteilose Abgeordnete für Die Linke im Bundestag sitzt und sich mit Digitalisierung und der Gleichstellung von Frauen beschäftigt, findet die Entscheidung des Gerichts überhaupt nicht nachvollziehbar:
"Total skurril. Dann könnten wir auch viele andere Dinge tun, die man vor 2.000 Jahren gemacht hat. Das finde ich das schlechteste Argument, das man hätte ausgraben können. Man hätte sich ja auch informieren können, es gibt noch und nöcher, wissenschaftliche Studien, die nachweisen, dass das generische Maskulinum, also die männliche Form zu verwenden, eben nicht dazu führt, dass Frauen mitgemeint sind. Die empfinden das selbst nicht so aber auch dritte nicht. Wenn man Fotos vor Menschen hinlegt und sagt, such mal aus diesen Fotos einen typischen Arzt raus, dann suchen die alle männliche Ärzte. Erst wenn man sagt, einen Arzt oder eine Ärztin, kommen auch Frauenbilder, die man raussucht."

Sprache und Wirklichkeit

Für Anke Domscheit-Berg ist deshalb klar: "Geschlechtergerechtigkeit fängt bei der Sprache an." Auch die Linguistin Damaris Nübling hat sich mit dem Fall Marlies Krämer beschäftigt. Ihr zufolge ist das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit komplex:
"Ich glaube kein ernstzunehmender Linguist oder ernstzunehmende Linguistin hat jemals behauptet, dass sich mit der Veränderung der Sprache sofort die Realität ändert. Das ist ein sich gegenseitig bedingender Prozess. Selbstverständlich wirkt auch die Gesellschaft auf die Sprache ein. So wie wir jetzt das Erbe der letzten tausenden von Jahren tragen, in denen Männer tatsächlich dann doch das Sagen hatten. Und genauso haben wir das vorzustellen, dass weiterer gesellschaftlicher Fortschritt sich auf die Sprache auswirkt. Und dass die Sprache, wenn die ihrerseits die Geschlechter in gerechter Weise berücksichtigt, dass das dann ein sich gegenseitig sich bedingender Prozess ist."

Anke Domscheit-Berg hat bei der Bundestagswahl 2017 ein Mandat geholt und sitzt nun als Parteilose für Die Linke im Bundestag. Politisch aktiv war sie auch schon zuvor - für die Grünen und die Piratenpartei. Sie selbst nennt drei Themenbereiche, die ihr besonders wichtig sind: die digitale Gesellschaft, transparentere Politik und Geschlechtergerechtigkeit. Domscheit-Berg ist auch bekannt als Netzaktivistin, Unternehmensberaterin und Publizistin. Sie lebt in Fürstenberg/Havel.

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