Der Tänzer als Maler
Der Russe Vaslaw Nijinsky revolutionierte vor gut 100 Jahren das traditionelle Ballett. Dass der weltberühmte Tänzer auch malte, ist kaum bekannt. Nun zeigt die Hamburger Kunsthalle in der Ausstellung "Tanz der Farben" erstmals rund 100 Werke von Nijinsky aus der Zeit zwischen 1917 und 1919.
Schon ein erster Blick zeigt: Sonia Delaunay machte es. Léopold Survage machte es. Frantisek-Kupka und Vladimir Baranov-Rossiné machten es: Sie füllten ihre Leinwände mit bunten Kreisen und Elypsen, schufen spiralenförmige Bildräume, oder setzten Farbflächen so gegeneinander, dass ein Gefühl von Dynamik und Bewegung entstand.
Hubertus Gaßner, Leiter der Kunsthalle und Organisator der Ausstellung:
"Es ist auffallend, dass alle Künstler, die wir hier ausstellen, ab 1912, 1913 beginnen, eine neue Bildsprache zu entwickeln. Die - ganz einfach gesagt - die Kreisbewegung und lineare Achse in ein Bildsystem zusammenzufügen versuchen. Diese Künstler wollten beides miteinander verbinden: den natürlichen Rhythmus, der uns als Naturwesen gegeben ist. Und sozusagen das lineare Fortschrittsdenken. Also Technik auf der einen Seite - Natur auf der anderen Seite."
Anfang des Jahrhunderts waren die Künstler aus Russland nach Paris gekommen. Aus einem bäuerlich geprägten Land in eine moderne Metropole. Auch der Tänzer Nijinski kam damals in die französische Hauptstadt und faszinierte das Publikum mit seinem völlig neuen Ausdruckstanz. Kreise malte er allerdings erst Jahre später, als seine Tänzerkarriere beendet war, und er einsam und nervenkrank mit Frau und Kind in der Schweiz lebte. Dort entstanden über 100 kleine Farbstiftarbeiten, die nun den Mittelpunkt der Ausstellung bilden: Blätter, angefüllt mit immer ähnlichen, streng symmetrischen Kreisen und Elypsen, die oft nur aus zwei Farben bestehen.
"Wir versuchen sie in die kunsthistorische Tradition der vorhergehenden Jahren zu stellen, wo man sieht, dass es sehr starke Formanalogien gibt. Und auch, dass das Weltbild vergleichbar ist, dass für mich ein russisches Weltbild - aus der orthodoxen Tradition kommend - ist, wo sozusagen Mikrokosmos und Makrokosmos, Religion, Mystik und Naturwissenschaft eine weltanschauliche Einheit eingehen."
Ein Versuch, der nicht überzeugt. Schon, weil niemand weiß, was Nijinsky mit diesen Blättern eigentlich wollte. Einige halten sie für eine Theaterchoreographie. Andere für allgemeine Bewegungssysteme. Wieder andere für typische Zeichnungen eines Schizophrenen, der mit Symmetrien und Vergitterungsstrukturen versucht, sein inneres Chaos zu ordnen. Genau so starr und leblos wirken diese Zeichnungen auch im Vergleich zu dem, was die anderen machten: Die mit ihrer dynamischen Malerei aufbegehrten gegen eine selbstzufriedene bürgerliche Gesellschaft, die gesellschaftliche Widersprüche hinter schönen Salonbildern versteckte. Und die mit ihr reagierten auf das moderne, technisierte Großstadtleben: So zerlegt Sonia Delaunay ihre Tanzenden in bunte, dynamische Farbflächen. Frantisek Kupka entwickelt durch ineinander verschrenkte Spiralen neue Raumvorstellungen oder setzt Töne in Zeichnungen um. Und Vladimir Baranov-Rossiné sprengt das traditionelle Tafelbild: Er konstruiert Assemblagen und lebensgroße filigrane Figuren aus Holz. Kunst, so die Vertreter der konstruktivistischen Avantgarde, sollte nicht mehr allein eine schöne Sache für Reiche sein, sondern selbstverständlicher Teil eines neuen Lebens.
"Alle die Künstler sagen ja: Theater ist Leben, Leben ist Theater, Kunst ist Leben. Dass Künstler gesagt haben: Also, wir bringen wieder Kunst und Leben zusammen, aber das Leben soll wie die Kunst werden. Was wir geschaffen haben soll Vorbild sein für das moderne Leben.” "
Und so entwerfen sie gleichzeitig Bühnenbilder, Möbel und Geschirr, Stoffe und Kleiderkollektionen. Zahlreiche Zeichnungen in den seitlichen Kabinetten des Hubertus-Wald-Forums dokumentieren diese der Gesellschaft zugewandte, praxisbezogene Arbeit.
""Ob dass dann Sonia Delaunay-Terk ist, die zur Mode geht und die Leute so einkleidet, das sie sozusagen die Wirbel und die Bewegung und das Licht am eigenen Leib tragen, es sozusagen verkörpern durch ihre Anzüge, durch ihre Kleider, oder ob das eben der Bühnentanz ist oder die Ausstattung der Bühne bei Alexandra Exner oder Baranov-Rossiné."
Rossiné geht 1917 nach Russland, um das wirklich Neue mitaufzubauen: Er lehrt an der Hochschule in Moskau, stellt mit El Lissitzky aus, arbeitet als Bühnenbildner. Und das Bolschoi-Theater setzt erstmals sein bereits in Paris entwickeltes Optophon ein.
"Also Baranov-Rossinie hat die ersten optophonischen Klaviere gemacht, wo die Musik durch Glassscheiben, die bemalt sind, ein Licht an die Wand wirft. Das, was wir heute in der Disco haben, hat er damals schon alles entwickelt, 1912, 13. Also da beginnt eine ganz neue Symbiose zwischen Kunst und Leben, die Kunst wird zum Design und zur Lebensgestaltung."
Genau dies trifft jedoch auf das Zentrum der Ausstellung nicht zu: Dort, wo auf Podesten eng an eng die Blätter von Nijinski liegen, wirkt das Konzept künstlich aufgeblasen. Während bei den Malern stets Kunst, Wissenschaft und kunsthandwerkliche Tätigkeit ineinandergriffen, entstanden diese Blätter erst Jahre später - und nach Nijinskijs Tanzkarriere. So wird man das Gefühl nicht los, als würde hier der innovative Tänzer als ebensolch Zeichner vor allem deshalb präsentiert, um sich seinen Namen einverleiben, und mit ihm Besucher anlocken zu können. Da ist es dann auch egal, wie man seine kleinen Farbstiftbildchen interpretiert: Ob als Versuch eines Kranken, das innere Chaos in den Griff zu bekommen, oder ...
"Ob man nun Augen oder Sonnensysteme, ob man die Tiefenstrukturen der Atome oder ob man den Tänzer drin sieht - das kann man alles machen. Die Dinge sind so abstrakt, dass sie eigentlich alles beinhalten."
Tanz der Farben. Nijinkys Auge und die Abstraktion
Hamburger Kunsthalle
Hubertus-Wald-Forum
20. Mai 2009 bis 16. August 2009
Hubertus Gaßner, Leiter der Kunsthalle und Organisator der Ausstellung:
"Es ist auffallend, dass alle Künstler, die wir hier ausstellen, ab 1912, 1913 beginnen, eine neue Bildsprache zu entwickeln. Die - ganz einfach gesagt - die Kreisbewegung und lineare Achse in ein Bildsystem zusammenzufügen versuchen. Diese Künstler wollten beides miteinander verbinden: den natürlichen Rhythmus, der uns als Naturwesen gegeben ist. Und sozusagen das lineare Fortschrittsdenken. Also Technik auf der einen Seite - Natur auf der anderen Seite."
Anfang des Jahrhunderts waren die Künstler aus Russland nach Paris gekommen. Aus einem bäuerlich geprägten Land in eine moderne Metropole. Auch der Tänzer Nijinski kam damals in die französische Hauptstadt und faszinierte das Publikum mit seinem völlig neuen Ausdruckstanz. Kreise malte er allerdings erst Jahre später, als seine Tänzerkarriere beendet war, und er einsam und nervenkrank mit Frau und Kind in der Schweiz lebte. Dort entstanden über 100 kleine Farbstiftarbeiten, die nun den Mittelpunkt der Ausstellung bilden: Blätter, angefüllt mit immer ähnlichen, streng symmetrischen Kreisen und Elypsen, die oft nur aus zwei Farben bestehen.
"Wir versuchen sie in die kunsthistorische Tradition der vorhergehenden Jahren zu stellen, wo man sieht, dass es sehr starke Formanalogien gibt. Und auch, dass das Weltbild vergleichbar ist, dass für mich ein russisches Weltbild - aus der orthodoxen Tradition kommend - ist, wo sozusagen Mikrokosmos und Makrokosmos, Religion, Mystik und Naturwissenschaft eine weltanschauliche Einheit eingehen."
Ein Versuch, der nicht überzeugt. Schon, weil niemand weiß, was Nijinsky mit diesen Blättern eigentlich wollte. Einige halten sie für eine Theaterchoreographie. Andere für allgemeine Bewegungssysteme. Wieder andere für typische Zeichnungen eines Schizophrenen, der mit Symmetrien und Vergitterungsstrukturen versucht, sein inneres Chaos zu ordnen. Genau so starr und leblos wirken diese Zeichnungen auch im Vergleich zu dem, was die anderen machten: Die mit ihrer dynamischen Malerei aufbegehrten gegen eine selbstzufriedene bürgerliche Gesellschaft, die gesellschaftliche Widersprüche hinter schönen Salonbildern versteckte. Und die mit ihr reagierten auf das moderne, technisierte Großstadtleben: So zerlegt Sonia Delaunay ihre Tanzenden in bunte, dynamische Farbflächen. Frantisek Kupka entwickelt durch ineinander verschrenkte Spiralen neue Raumvorstellungen oder setzt Töne in Zeichnungen um. Und Vladimir Baranov-Rossiné sprengt das traditionelle Tafelbild: Er konstruiert Assemblagen und lebensgroße filigrane Figuren aus Holz. Kunst, so die Vertreter der konstruktivistischen Avantgarde, sollte nicht mehr allein eine schöne Sache für Reiche sein, sondern selbstverständlicher Teil eines neuen Lebens.
"Alle die Künstler sagen ja: Theater ist Leben, Leben ist Theater, Kunst ist Leben. Dass Künstler gesagt haben: Also, wir bringen wieder Kunst und Leben zusammen, aber das Leben soll wie die Kunst werden. Was wir geschaffen haben soll Vorbild sein für das moderne Leben.” "
Und so entwerfen sie gleichzeitig Bühnenbilder, Möbel und Geschirr, Stoffe und Kleiderkollektionen. Zahlreiche Zeichnungen in den seitlichen Kabinetten des Hubertus-Wald-Forums dokumentieren diese der Gesellschaft zugewandte, praxisbezogene Arbeit.
""Ob dass dann Sonia Delaunay-Terk ist, die zur Mode geht und die Leute so einkleidet, das sie sozusagen die Wirbel und die Bewegung und das Licht am eigenen Leib tragen, es sozusagen verkörpern durch ihre Anzüge, durch ihre Kleider, oder ob das eben der Bühnentanz ist oder die Ausstattung der Bühne bei Alexandra Exner oder Baranov-Rossiné."
Rossiné geht 1917 nach Russland, um das wirklich Neue mitaufzubauen: Er lehrt an der Hochschule in Moskau, stellt mit El Lissitzky aus, arbeitet als Bühnenbildner. Und das Bolschoi-Theater setzt erstmals sein bereits in Paris entwickeltes Optophon ein.
"Also Baranov-Rossinie hat die ersten optophonischen Klaviere gemacht, wo die Musik durch Glassscheiben, die bemalt sind, ein Licht an die Wand wirft. Das, was wir heute in der Disco haben, hat er damals schon alles entwickelt, 1912, 13. Also da beginnt eine ganz neue Symbiose zwischen Kunst und Leben, die Kunst wird zum Design und zur Lebensgestaltung."
Genau dies trifft jedoch auf das Zentrum der Ausstellung nicht zu: Dort, wo auf Podesten eng an eng die Blätter von Nijinski liegen, wirkt das Konzept künstlich aufgeblasen. Während bei den Malern stets Kunst, Wissenschaft und kunsthandwerkliche Tätigkeit ineinandergriffen, entstanden diese Blätter erst Jahre später - und nach Nijinskijs Tanzkarriere. So wird man das Gefühl nicht los, als würde hier der innovative Tänzer als ebensolch Zeichner vor allem deshalb präsentiert, um sich seinen Namen einverleiben, und mit ihm Besucher anlocken zu können. Da ist es dann auch egal, wie man seine kleinen Farbstiftbildchen interpretiert: Ob als Versuch eines Kranken, das innere Chaos in den Griff zu bekommen, oder ...
"Ob man nun Augen oder Sonnensysteme, ob man die Tiefenstrukturen der Atome oder ob man den Tänzer drin sieht - das kann man alles machen. Die Dinge sind so abstrakt, dass sie eigentlich alles beinhalten."
Tanz der Farben. Nijinkys Auge und die Abstraktion
Hamburger Kunsthalle
Hubertus-Wald-Forum
20. Mai 2009 bis 16. August 2009