Der Streik der Krankenhausärzte ist berechtigt

Von Martin Steinhage |
Selbstverständlich ist die Forderung der Klinikärzte nach einer dreißigprozentigen Gehaltserhöhung unrealistisch. Sie ist indes auch eher symbolisch zu verstehen, als eine Addition dessen, was den über 20.000 Medizinern an Unikliniken und Landeskrankenhäusern in den vergangenen Jahren im Vergleich mit anderen Berufsgruppen so alles zugemutet wurde: Unmengen an unbezahlten Überstunden, Erhöhungen der Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich, Kürzungen bei Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Da kommt einiges zusammen, was den hochprozentigen Riesenschluck aus der Lohnpulle in der geforderten Höhe zwar nicht rechtfertigt, aber doch allemal verständlich macht.
Um es klipp und klar zu sagen: Der Ärztestreik ist berechtigt, und zwar nicht allein im Interesse der Betroffenen, sondern gerade auch mit Blick auf die Kundschaft der Mediziner: Die Patienten nämlich haben ein Anrecht darauf, von motivierten und anständig entlohnten Ärzten behandelt zu werden. Vor allem aber von Ärzten, die nicht völlig übermüdet Diagnosen stellen und Entscheidungen fällen müssen, bei denen es oft genug um Leben oder Tod geht.

Hand aufs Herz: Wer möchte im OP einem Arzt in die Hände fallen, der bereits 24 Stunden im Dienst ist? Das freilich ist gefährlicher Klinikalltag, der Patient hat da keine Wahl, und sein Operateur auch nicht.

Unterbezahlte und überforderte Ärzte kann sich die Gesellschaft noch aus einem anderen Grund nicht länger leisten: Ändert sich nämlich die Situation der Krankenhaus-Mediziner nicht grundlegend, wird deren Exodus anhalten: Bereits heute zieht es immer mehr mit teuren Steuergeldern ausgebildete Ärzte ins Ausland, wo es bei geregelten Arbeitszeiten mehr Geld gibt. Das sehenden Auges hinzunehmen, ist aus volkswirtschaftlicher wie aus medizinischer Sicht grob fahrlässig.

Der Marburger Bund rechnet damit, dass es drei Milliarden Euro jährlich kosten würde, sollten seine Forderungen erfüllt werden. Dies entspräche, so die Ärztegewerkschaft, einem Anstieg der Krankenkassen-Beiträge um 0,3 Prozentpunkte. Das wäre kein Pappenstil, aber doch hinnehmbar. Wobei es in unserem Gesundheitssystem ausreichend Möglichkeiten gäbe, diese Summe durch Einsparungen an anderer Stelle wieder hereinzuholen - ohne dass noch so kleine Abstriche an der medizinischen Versorgung nötig wären. Man müsste nur wollen und die richtigen Prioritäten setzen. Schon sehr bald hat die Politik Gelegenheit dazu, wenn die nächste Gesundheitsreform ansteht.

Zunächst einmal aber sollten auf der Arbeitgeberseite die Länder ihre starre Haltung aufgeben und sich rasch auf die Ärzte zubewegen. In der aktuellen Diskussion geht es um viel mehr als um Euro und Cent, oder um Minuten und Stunden. Es geht um die Klärung der Frage, was uns Gesundheit wert ist. Diese Antwort wird die Tarifgemeinschaft der Länder geben müssen. Dabei ist allerdings auf beiden Seiten – bei den Ländern und bei den Ärzten – Augenmaß gefragt. Es müssen ja nicht gleich 30 Prozent sein…