"Der Standort sollte tot sein"

Rebecca Harms im Gespräch mit Nana Brink · 28.08.2009
Die Vorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, Rebecca Harms, fordert eine neue Standortsuche für ein Atommüll-Endlager in Deutschland. Die Intransparenz des Verfahrens zur Prüfung des Standortes Gorleben sei völlig inakzeptabel, sagte Harms.
Nana Brink: SPD-Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hatte vor rund einem Monat das Atomendlager in Gorleben, so wörtlich, für tot erklärt und damit heftige Debatten ausgelöst. Als Begründung nannte er sowohl das Auslaufen der Verträge mit den Grundeigentümern 2015 und das Projekt stehe auch aus wissenschaftlicher Sicht vor dem Aus. Die Union dagegen fordert weitere Prüfungen des Salzstockes, unter anderem hat Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff heute eine ergebnisoffene Erkundung gefordert. Ich bin jetzt verbunden mit Rebecca Harms, Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Schönen guten Morgen, Frau Harms!

Rebecca Harms: Guten Morgen!

Brink: Sie sind ja schon lange der Meinung, dass Gorleben tot ist. Sie stammen aus der Region. Was ist denn Ihr wichtigstes Argument gegen eine weitere Prüfung des Endlagers Gorleben?

Harms: Sagen wir mal so: Ich bin schon lange der Meinung, es sollte tot sein, der Standort sollte tot sein. Ich fürchte aber, dass es immer wieder politische Mehrheiten gibt in Deutschland, die aus mir nicht nachvollziehbaren Grünen festhalten an Gorleben. Der Standort ist mit politischer Begründung gewählt worden 1977. Die Geologie sprach nicht dafür, sondern die Lage, die geografische Lage an der damaligen Zonengrenze; und dafür hat gesprochen, dass die Region als politisch stabil, ruhig galt, sie war fest in konservativer Hand. Und seither sind immer wieder Ergebnisse über die Geologie zutage gefördert worden, die immer wieder dafür gesprochen haben, dass man aufgeben soll. Politische Gründe wie das, was jetzt als Manipulation der Kohl-Regierung bekannt geworden ist, haben aber ... politische Entscheidungen haben immer wieder dazu geführt, dass man keine vernünftige Entscheidung für das Aufgeben geführt hat.

Brink: Aber haben wir das nicht genau jetzt auch, also ein politisches Geplänkel? Die Grünenchefin Claudia Roth warf ja der Union, der FDP und auch der Atomindustrie vor, auf Biegen und Brechen in Gorleben weiter strahlenden Müll zu machen, und Wulff, der Ministerpräsident in Niedersachsen, sagte, eine sachliche Debatte und keine "Gorleben ist tot"-Entwürfe in Rambo-Mentalität. Das trägt ja alles nicht zur Versachlichung des Themas bei.

Harms: Ich finde, dass diese hochgehende Diskussion über politische Manipulation der wissenschaftlichen Ergebnisse – die ja auf der Grundlage von Belegen jetzt stattfindet und nicht mehr nur von Äußerungen von Leuten, die dabei waren, geprägt ist, sondern von einem Protokoll sogar begleitet wird –, dass diese Diskussion auch bei Herrn Wulff zumindest zu der Einsicht führen sollte: Wer am Standort festhält, der muss für hundertprozentige Transparenz sorgen. Alle Gorleben-Akten müssen endlich zugänglich gemacht werden. Die ganze Intransparenz des Verfahrens – für ein Endlager, das in dieser Region dann für eine Million Jahre ja eigentlich geplant werden muss, was Sicherheit angeht –, die ganze Intransparenz ist doch völlig inakzeptabel!

Brink: Wo soll dann der deutsche Atommüll hin? Was sind denn, Ihrer Meinung nach, geeignete Standorte? Wenn wir an Morsleben denken – nach letzten Meldungen gibt es auch dort Risse. Wo soll der deutsche Atommüll hin?

Harms: Erst mal muss man sagen: Gorleben, Asse, Morsleben – wir reden über drei Endlager, ein mögliches und zwei vorhandene, in Salz. Ich glaube, dass wir schon aus der Befassung mit Asse schließen müssen, dass wir eine neue Bewertung der Möglichkeiten im Salz brauchen. Wer das jetzt verweigert, der geht ja an die ganze Diskussion überhaupt nicht ergebnisoffen heran. Und im Prinzip stehe ich nach wie vor zu dem Vorschlag des Arbeitskreises Endlager, nämlich eine neue Suche in Deutschland zu starten, eine neue Suche, die damit anfängt, dass man zuerst Sicherheitskriterien festlegt, für die Öffentlichkeit nachvollziehbar festlegt, diese Sicherheitskriterien dürfen nicht im Laufe der Zeit verändert werden, wenn man dann an einem Standort, den man untersucht, was anderes vorfindet, als diese Kriterien verlangen. Dann ist es so, dass diese Kriterien angewandt werden müssen in Erkundungsprozessen in allen nach internationaler Auffassung geeigneten Geologien, Salz, Ton und Granit, und dann muss man Standorte in diesen Suchräumen bestimmen, und dann muss man unterschiedliche Standorte miteinander vergleichen.

Brink: Aber, Frau Harms, muss man den Blick nicht weiten und europaweit wirklich nach Endlagerstätten für Atommüll suchen?

Harms: In Europa ist es derzeit so, und das ist meiner Meinung nach zunächst mal ein sehr verantwortliches Prinzip: Es gilt die nationale Verantwortung für zumindest den hochradioaktiven Müll, und das bedeutet, dass die Länder, die Atomkraftwerke betreiben und diesen wahnsinnig gefährlichen, sehr giftigen Müll produzieren, dass die auch die Verantwortung für die endgültige Lagerung, also die Endlagerung eine Million Jahre tragen.

Brink: Aber ist es nicht auch verantwortungs ...

Harms: Kein europäisches Land hat derzeit eine verantwortbare, durchhaltbare Lösung parat.

Brink: Aber ist es nicht auch verantwortungsvoll, nach der wirklich geeigneten Stätte, die ja durchaus in irgendeinem Land sein kann, zu suchen?

Harms: Ja, das ist aber so, dass das damit anfängt, dass zunächst mal jedes Land sich auf ein verantwortbares Verfahren festlegt. Wenn man dann zum Beispiel in einem kleinen Land wie der Schweiz feststellt, das geht gar nicht, dann müssen daraus Konsequenzen gezogen werden. Aber zum Beispiel die Schweiz ist derzeit ein Land, das ein akzeptables Suchverfahren – zumindest auf jetzt den ersten Metern mal – angefangen hat unter einer vorbildlichen Beteiligung der Öffentlichkeit.

Brink: Rebecca Harms, Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament, vielen Dank für das Gespräch!