Der Stachel im Fleisch des Seins
Keto von Waberer seziert das Glück von allen Seiten. Erklärt wird in den zwölf Erzählungen ihres neuen Bandes "Umarmungen" nichts – stattdessen kommt das Glück hier so dunkel und rätselhaft, manchmal auch so witzig und komisch daher wie im wahren Leben. Der gordische Knoten zwischen Glück und Pein wird daher bewusst nicht zerschlagen.
Im Glück der Einen wurzelt das Unglück der Anderen – so lautete das Motto des letzten Romans von Keto von Waberer, in dem sie mit der eigenen verstorbenen Schwester ein schwieriges Zwiegespräch hielt. Von der Verfasstheit des menschlichen Glücks handeln nun auch die zwölf Erzählungen in ihrem neuen Band "Umarmungen".
Und wie nicht anders zu erwarten von dieser Meisterin der bitterbösen Liebe, gestaltet sich das Glück erneut als äußerst schwierig. Schwierig, denn das Glück ereignet sich hier nur selten allein. Viel eher entpuppt es sich als ein komplexes Gemenge aus höchst widersprüchlichen Gefühlen: aus Liebe und Hass, Begehren und Abneigung, Zärtlichkeit und Grausamkeit. Kurz: Es ist der Stachel im Fleisch des Seins, lustvolle Pein und schmerzlich-süße Sehnsucht zugleich.
Alle zwölf Erzählungen variieren diese Unaufhebbarkeit – in überraschend unterschiedlichen Farben: Da ist etwa der alternde Mann, der sich noch immer nach jungen Mädchen verzehrt – die er dennoch nie zu berühren wagt, aus Furcht sie zu zerstören. Da sind die beiden vierzehnjährigen Mädchen, deren Freundschaft während des Faschings an den leidenschaftlichen Blicken eines Mannes zerbricht, der die beiden in stumme Konkurrentinnen verwandelt. Eine Dreiecksgeschichte endet beinahe in einer Katastrophe – weil die betrogene Ehefrau sich einen Mann ins Haus einlädt, der sich als gefährlicher Einbrecher erweisen wird. Und der "Frauenmann", der bis dato keiner Frau treu sein konnte, wird – während seine Mutter im Altersheim in Demenz verfällt – von der einzigen Frau verlassen, die er wirklich geliebt hat.
Nie ist das Glück hier von Dauer – allein als nagende Erinnerung hat es eine Präsenz, die hier oft auch die Vergangenheit mit der Gegenwart auf unheilvolle Weise verknüpft. Denn von Waberers Erwachsene suchen – vergeblich aber unaufhörlich – nach jenem Glück, das sie als Kinder erlebt und zugleich schon verloren haben: Der alternde Gigolo denkt noch immer an den Körper der Schneiderin, die zu seiner Mutter kam; Frau Meiser, die sich in ihren türkischen Untermieter verliebt, entdeckt das kleine Mädchen in sich wieder, das einst im Park die erste Umarmung erlebt hat. Micha, die von ihrem Freund verlassen worden ist, kann ihre alte Verlassensangst nur überlisten, indem sie sich während einer Panikattacke auf das minutiöse Zerlegen eines Fischs konzentriert.
Zerlegen, aber nicht analysieren – das ist auch die literarische Methode von Keto von Waberer, mit der sie das Glück hier von allen Seiten seziert. Erklärt wird hier nichts – stattdessen kommt das Glück hier so dunkel und rätselhaft, manchmal auch so witzig und komisch daher wie im wahren Leben. Der gordische Knoten zwischen Glück und Pein wird daher bewusst nicht zerschlagen. Keto von Waberer – 1942 geboren, im deutschen Literaturbetrieb trotz mehrerer hochgelobter Prosabände noch immer eine viel zu unbekannte Autorin – malt ihn vielmehr mit starker, sinnlicher, ja fast anstößiger Sprachkraft aus. Was sicher bleibt, ist das Glück von Leserin und Leser.
Rezensiert von Claudia Kramatschek
Keto von Waberer: Umarmungen. Erzählungen
Berlin Verlag 2007, 194 Seiten, 18,00 Euro
Und wie nicht anders zu erwarten von dieser Meisterin der bitterbösen Liebe, gestaltet sich das Glück erneut als äußerst schwierig. Schwierig, denn das Glück ereignet sich hier nur selten allein. Viel eher entpuppt es sich als ein komplexes Gemenge aus höchst widersprüchlichen Gefühlen: aus Liebe und Hass, Begehren und Abneigung, Zärtlichkeit und Grausamkeit. Kurz: Es ist der Stachel im Fleisch des Seins, lustvolle Pein und schmerzlich-süße Sehnsucht zugleich.
Alle zwölf Erzählungen variieren diese Unaufhebbarkeit – in überraschend unterschiedlichen Farben: Da ist etwa der alternde Mann, der sich noch immer nach jungen Mädchen verzehrt – die er dennoch nie zu berühren wagt, aus Furcht sie zu zerstören. Da sind die beiden vierzehnjährigen Mädchen, deren Freundschaft während des Faschings an den leidenschaftlichen Blicken eines Mannes zerbricht, der die beiden in stumme Konkurrentinnen verwandelt. Eine Dreiecksgeschichte endet beinahe in einer Katastrophe – weil die betrogene Ehefrau sich einen Mann ins Haus einlädt, der sich als gefährlicher Einbrecher erweisen wird. Und der "Frauenmann", der bis dato keiner Frau treu sein konnte, wird – während seine Mutter im Altersheim in Demenz verfällt – von der einzigen Frau verlassen, die er wirklich geliebt hat.
Nie ist das Glück hier von Dauer – allein als nagende Erinnerung hat es eine Präsenz, die hier oft auch die Vergangenheit mit der Gegenwart auf unheilvolle Weise verknüpft. Denn von Waberers Erwachsene suchen – vergeblich aber unaufhörlich – nach jenem Glück, das sie als Kinder erlebt und zugleich schon verloren haben: Der alternde Gigolo denkt noch immer an den Körper der Schneiderin, die zu seiner Mutter kam; Frau Meiser, die sich in ihren türkischen Untermieter verliebt, entdeckt das kleine Mädchen in sich wieder, das einst im Park die erste Umarmung erlebt hat. Micha, die von ihrem Freund verlassen worden ist, kann ihre alte Verlassensangst nur überlisten, indem sie sich während einer Panikattacke auf das minutiöse Zerlegen eines Fischs konzentriert.
Zerlegen, aber nicht analysieren – das ist auch die literarische Methode von Keto von Waberer, mit der sie das Glück hier von allen Seiten seziert. Erklärt wird hier nichts – stattdessen kommt das Glück hier so dunkel und rätselhaft, manchmal auch so witzig und komisch daher wie im wahren Leben. Der gordische Knoten zwischen Glück und Pein wird daher bewusst nicht zerschlagen. Keto von Waberer – 1942 geboren, im deutschen Literaturbetrieb trotz mehrerer hochgelobter Prosabände noch immer eine viel zu unbekannte Autorin – malt ihn vielmehr mit starker, sinnlicher, ja fast anstößiger Sprachkraft aus. Was sicher bleibt, ist das Glück von Leserin und Leser.
Rezensiert von Claudia Kramatschek
Keto von Waberer: Umarmungen. Erzählungen
Berlin Verlag 2007, 194 Seiten, 18,00 Euro