Der Staat als Hehler?
Um es sofort klarzustellen: Es gibt kein Recht auf Steuerhinterziehung, denn sie ist eine Straftat. Hinter dem Steuerrecht steht die Idee der Solidargemeinschaft. In ihr sind alle Bürgerinnen und Bürger – entsprechend ihrem Vermögen – dazu verpflichtet, zum Gemeinwohl beizutragen.
Eine Form dieses Beitrags ist die Zahlung von Steuern. Er wird in Deutschland als so wichtig angesehen, dass Steuerhinterziehung nicht nur – wie in der Schweiz – eine Ordnungswidrigkeit, sondern eben ein Straftatbestand ist.
Dieses Gesetz gilt auch für den, der das konkrete Steuersystem für ungerecht hält – oder der meint, dass der Staat die Steuereinnahmen falsch verwendet. Dagegen lässt sich mit demokratischen Mitteln kämpfen. Als ein amerikanischer Bischof vor 25 Jahren eigenmächtig von seiner Steuerpflicht den Prozentsatz abzog, der für Rüstung ausgegeben werden würde, hat er ein Zeichen gesetzt – und war bereit, die dafür vorgesehene Strafe auf sich zu nehmen. So ließ er keinen Zweifel daran, dass es Recht und Pflicht des Staates ist, die Einhaltung seiner Gesetze zu überprüfen – und ihre Übertretung zu ahnden.
Doch auf welchen Wegen kann und darf der Staat das? Für den Rechtsstaat ist die Antwort klar: nur auf Wegen, die das Gesetz erlaubt. Ob diese Regel beim Kauf der dubiosen CD aus der Schweiz befolgt oder verletzt wurde, ist bekanntlich umstritten.
Dem könnte der Bundestag abhelfen. Er könnte diesen Streit durch ein neues Gesetz beenden, das den Ankauf gestohlener Daten in einem vergleichbaren Fall erlaubte. Nur: Sollen wir das wollen? Können wir es politisch und ethisch verantworten, Datendiebstahl nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern gar noch fürstlich zu belohnen?
Dass man auf diesem Weg viel Geld gewinnt, ist kein Argument. Recht und Moral sind keine Frage von Millionen. Dass man vor zwei Jahren in Liechtenstein das Gleiche schon einmal tat, zählt auch nicht. Es kann ja schon damals falsch gewesen sein. Bleibt allein der Gewinn, Betrüger überführen zu können.
Doch was ist der Preis dafür? Die CD entstand aus einem Diebstahl. Das Diebesgut sind persönliche Daten; ein Gut, über dessen Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit wir gerade erst lange diskutiert haben. Und jetzt verhöhnt ein Dieb alle Gesetze, die die Datenbeschaffung klar begrenzen. Woher soll man wissen, ob nur Daten von Verdächtigen gestohlen wurden? Die Wahl traf ja allein der Dieb. Wollen wir ausgerechnet seinem Rechtsempfinden trauen?
Diese Fragen sind gewichtig, reichen aber immer noch nicht tief genug. Der wirkliche Preis für die CD ist nämlich nicht das Geld, das man für sie bezahlt. Er liegt vielmehr im Verlust des Vertrauens, den der Staat riskiert, wenn er die gestohlenen Daten kauft; wenn er gar noch versuchen sollte, sich durch eine Gesetzesänderung reinzuwaschen.
Wie sollen seine Bürgerinnen und Bürger dann noch darauf vertrauen, dass der Staat seine Macht zu ihrem Schutz einsetzt? Darauf vertrauen, dass er ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung, ihre Freiheitsrechte überhaupt ernst nimmt und sichert?
Es ist eine ganz besondere Errungenschaft unserer freiheitlichen Rechtsordnung, dass auch der Rechtsbrecher noch auf ihren Schutz bauen darf. Das gibt ihm nicht das Recht zur Straftat – aber manche Möglichkeiten, seine Freiheiten und das Vertrauen der anderen zu missbrauchen. Ohne dieses Risiko ist eine freie Gesellschaft nicht zu haben.
Genau darum geht es letztlich im Streit um den geschäftstüchtigen Datendieb: Politiker, die das Vertrauen der Bürger, dass der Staat ihre Freiheit schützt, aufs Spiel setzen, gefährden die Solidargemeinschaft, der sie doch zu dienen vorgeben. Dieser Preis ist zu hoch – egal wie viele Steuermillionen man mit ihm zurückgewinnt.
Prof. Michael Bongardt, geboren 1959, leitet an der Freien Universität Berlin das Institut für Vergleichende Ethik, an dem die künftigen Ethiklehrerinnen und -lehrer ausgebildet werden. Als Theologe und Philosoph befasst er sich mit Fragen des interreligiösen und interkulturellen Dialogs. Dabei geht es ihm besonders um die Konflikte, Konsensfindungen und lebenspraktischen Orientierungen in säkularen, multikulturellen Gesellschaften.
Dieses Gesetz gilt auch für den, der das konkrete Steuersystem für ungerecht hält – oder der meint, dass der Staat die Steuereinnahmen falsch verwendet. Dagegen lässt sich mit demokratischen Mitteln kämpfen. Als ein amerikanischer Bischof vor 25 Jahren eigenmächtig von seiner Steuerpflicht den Prozentsatz abzog, der für Rüstung ausgegeben werden würde, hat er ein Zeichen gesetzt – und war bereit, die dafür vorgesehene Strafe auf sich zu nehmen. So ließ er keinen Zweifel daran, dass es Recht und Pflicht des Staates ist, die Einhaltung seiner Gesetze zu überprüfen – und ihre Übertretung zu ahnden.
Doch auf welchen Wegen kann und darf der Staat das? Für den Rechtsstaat ist die Antwort klar: nur auf Wegen, die das Gesetz erlaubt. Ob diese Regel beim Kauf der dubiosen CD aus der Schweiz befolgt oder verletzt wurde, ist bekanntlich umstritten.
Dem könnte der Bundestag abhelfen. Er könnte diesen Streit durch ein neues Gesetz beenden, das den Ankauf gestohlener Daten in einem vergleichbaren Fall erlaubte. Nur: Sollen wir das wollen? Können wir es politisch und ethisch verantworten, Datendiebstahl nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern gar noch fürstlich zu belohnen?
Dass man auf diesem Weg viel Geld gewinnt, ist kein Argument. Recht und Moral sind keine Frage von Millionen. Dass man vor zwei Jahren in Liechtenstein das Gleiche schon einmal tat, zählt auch nicht. Es kann ja schon damals falsch gewesen sein. Bleibt allein der Gewinn, Betrüger überführen zu können.
Doch was ist der Preis dafür? Die CD entstand aus einem Diebstahl. Das Diebesgut sind persönliche Daten; ein Gut, über dessen Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit wir gerade erst lange diskutiert haben. Und jetzt verhöhnt ein Dieb alle Gesetze, die die Datenbeschaffung klar begrenzen. Woher soll man wissen, ob nur Daten von Verdächtigen gestohlen wurden? Die Wahl traf ja allein der Dieb. Wollen wir ausgerechnet seinem Rechtsempfinden trauen?
Diese Fragen sind gewichtig, reichen aber immer noch nicht tief genug. Der wirkliche Preis für die CD ist nämlich nicht das Geld, das man für sie bezahlt. Er liegt vielmehr im Verlust des Vertrauens, den der Staat riskiert, wenn er die gestohlenen Daten kauft; wenn er gar noch versuchen sollte, sich durch eine Gesetzesänderung reinzuwaschen.
Wie sollen seine Bürgerinnen und Bürger dann noch darauf vertrauen, dass der Staat seine Macht zu ihrem Schutz einsetzt? Darauf vertrauen, dass er ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung, ihre Freiheitsrechte überhaupt ernst nimmt und sichert?
Es ist eine ganz besondere Errungenschaft unserer freiheitlichen Rechtsordnung, dass auch der Rechtsbrecher noch auf ihren Schutz bauen darf. Das gibt ihm nicht das Recht zur Straftat – aber manche Möglichkeiten, seine Freiheiten und das Vertrauen der anderen zu missbrauchen. Ohne dieses Risiko ist eine freie Gesellschaft nicht zu haben.
Genau darum geht es letztlich im Streit um den geschäftstüchtigen Datendieb: Politiker, die das Vertrauen der Bürger, dass der Staat ihre Freiheit schützt, aufs Spiel setzen, gefährden die Solidargemeinschaft, der sie doch zu dienen vorgeben. Dieser Preis ist zu hoch – egal wie viele Steuermillionen man mit ihm zurückgewinnt.
Prof. Michael Bongardt, geboren 1959, leitet an der Freien Universität Berlin das Institut für Vergleichende Ethik, an dem die künftigen Ethiklehrerinnen und -lehrer ausgebildet werden. Als Theologe und Philosoph befasst er sich mit Fragen des interreligiösen und interkulturellen Dialogs. Dabei geht es ihm besonders um die Konflikte, Konsensfindungen und lebenspraktischen Orientierungen in säkularen, multikulturellen Gesellschaften.