Der Staat als Bestechungsagentur

14.11.2006
Paul Kirchhof war die Reizfigur des Bundestagswahlkampfes 2005. Innerhalb von 30 Tagen avancierte der Hochschullehrer und Steuerrechtler vom Hoffnungsträger zum Buhmann. Mit seinem Buch "Das Gesetz der Hydra. Gebt den Bürger ihren Staat zurück!" kehrt er jetzt mit teils bekannten Thesen und Vorschlägen in die Öffentlichkeit zurück.
Paul Kirchhof gibt nicht klein bei. Bei der Bundestagwahl 2005 wurden er und mit ihm die CDU und deren Reformwillen kräftig zusammengestutzt. Aber der "Professor aus Heidelberg", wie ihn im Wahlkampf herabsetzend Gerhard Schröder titulierte, arbeitet weiter an seinen Reformvorstellungen. Gerade erst hat er die "Erneuerung des Staates" veröffentlicht, nun legt er mit dem "Gesetz der Hydra" nach.

Das Buch steht in einer Reihe mit anderen Publikationen aus jüngster Zeit, die als bürgerlich-reformerische Selbstbehauptung gewertet werden können, insbesondere "Die Kultur der Freiheit" des Verfassungsrichters Udo di Fabio und "Die Ausbeutung der Enkel" des früheren sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf.

Kirchhof versucht sich an einer Erneuerung staatlichen Handelns aus unmittelbarer Vernunft heraus. Er will nicht einsehen, warum der demokratische Staat seine Substanz, sein Selbstbewusstsein Stück für Stück aufgibt, indem er sich als Bestechungsagentur versteht, der bei Bürger und Interessenverbänden Zustimmung erkauft. Er will dem Staat Selbstbeschränkung und dem Bürger damit seine teilweise verloren gegangene Freiheit und Selbstbestimmung zurückgeben, auch wenn und gerade weil das viele Gemütlichkeiten zerstören wird.

Mit der Macht der Hydra, der immer wieder neue Köpfe nachwachsen, meint Kirchhof die Verbiegung des Rechts, der Vernunft, die Entgrenzung des Staates und seine ausufernden Eingriffe in das Leben der Bürger. Man kann das auf vielen Feldern der Politik beobachten, wo häufig von Bürokratieabbau und Vereinfachung die Rede ist, aber das glatte Gegenteil in der Gesetzgebung herauskommt wie zuletzt bei der Gesundheitsreform. Viele werden dessen gar nicht mehr gewahr, man hat sich an das Eingreifen des Staates in alle Lebensbereiche gewöhnt, so zu bestaunen am Antidiskriminierungsgesetz. Zudem merkt Kirchhof verärgert an, immerhin dürfe man seinen Ehepartner noch nach Alter, Geschlecht, Schönheit und Herkunft aussuchen, und eine Fußball-Mannschaft bestehe noch aus elf Männern (Und was ist mit dem Frauenfußball, Herr Kirchhof?).

Zentrale Angriffspunkte Kirchhofs sind der Verbände- und Lobbyisten-Staat, die Gesundheits- und Familienpolitik, die Macht des Geldes und natürlich das aus dem Ruder gelaufene Steuerrecht sowie die gesamtstaatliche Schuldenmacherei.

Kirchhof präsentiert für diese Politikfelder eine Reihe von Vorschlägen: Er verlangt ein Wahlrecht für Kinder, damit sie und ihre Eltern sich dagegen wehren können, dass ihnen immer mehr Lasten zugeschoben werden, er verlangt eine höhere Steuerfinanzierung von Gesundheitslasten, er will, dass Familien, die die Zukunft des Landes verkörpern, finanziell stärker unterstützt werden, indem die Mehrwertsteuer auf den Grundbedarf des Lebens entfällt und die Gesellschaft ihnen ein Erziehungsgeld zahlt. Ein umfangreiches Kapitel ist der Steuerpolitik und dem Abbau der Schulden gewidmet.

"Aufbruch in den Garten der Freiheit" nennt Kirchhof das: Er entwirft ein Konzept der Entschuldung und bekräftigt seinen aus dem Wahlkampf 2005 bekannten Plan für eine Steuerreform mit nur noch drei Sätzen (15, 20, 25 Prozent) und hohen Freibeträgen, so dass jeder Steuerbürger seine Belastung selber ausrechnen kann.

Gerade im Steuerrecht scheinen Kirchhofs Vorschläge sinnvoll. Wer an welcher Stelle auch immer im deutschen Steuerrecht zu lesen beginnt, den packt die Verzweifelung. Dieses Kauderwelsch gemischt mit staatlicher Lenkung bis in kleinste Details radikal zurück zu schneiden, ist in der Tat eine vordringliche Aufgabe der Politik. Kirchhof weist zurecht auch darauf hin, dass jede Subvention, jede Begünstigung, ob im Steuerrecht oder in den Sozialversicherungen, von anderen in Form von Steuern und Abgaben bezahlt werden müssen, und dass diese Politik die Position des Staates als Hüter von Recht, Ordnung und Vernunft schwächt. Wenn der Staat sich vor allem als Verteilungsstaat versteht und sich dafür maßlos verschuldet, dann geht Freiheit verloren und das nicht nur auf der Seite, wo der Staat nimmt, sondern auch auf der anderen, wo er gibt. Dort schafft er Abhängige - nicht freie Bürger, die ihre Chancen für ein selbstbestimmtes Leben nutzen. Es wird Zeit für eine "Kultur des Maßes", wie Kirchhof sie fordert.

Deshalb sei das Buch dem Leser ans Herz gelegt. Manchmal, gerade in der ersten Hälfte, ist es etwas langatmig, man fragt sich zuweilen, wann kommt die Schlussfolgerung. Da geht es ein wenig professoral und altväterlich zu. Aber die zweite Hälfte des Buches gewinnt mit präzisen Analysen und Vorschlägen.

Es bleibt freilich ein Problem: Vielleicht wollen die deutschen Bürger ihren Staat gar nicht zurück, wie bei der Bundestagswahl zu sehen war, wo die Wähler Reformen eine Abfuhr erteilten. Aber, so Kirchhof, der Weg in den "Garten der Freiheit" ist längst eingeschlagen worden. Dafür gibt es sogar Signale. Eines davon stammt aus Sachsen. Das Land will tatsächlich schon in diesem Jahr einen Haushalt ohne neue Schulden hinbekommen - und das auch fortsetzen.

Rezensiert von Andreas Abs

Paul Kirchhof: Das Gesetz der Hydra. Gebt den Bürgern ihren Staat zurück Droemer Verlag, München 2006
384 Seiten, 19,90 Euro