Der Sprung vom Materiellen ins Immaterielle
21.07.2013
Der Physiker Christof Koch verknüpft seine wissenschaftlichen Exkurse mit alltagsrelevanten Überlegungen. Er fragt nach der Macht des Unbewussten, analysiert die (Un-)Freiheit des Willens und erklärt, warum auch Smartphones ein minimales Bewusstsein besitzen.
Die Beschaffenheit des Bewusstseins gehört zu den großen, ungelösten Rätseln der Natur. Jegliche Suche nach einer Erklärung berührt die äußerste Grenze des menschlichen Erkenntnisstrebens – zumindest nach dem, was wir heute wissen. Der Amerikaner Christof Koch, einer der renommiertesten Neurowissenschaftler weltweit und viele Jahre lang Weggefährte von Francis Crick, dem Entdecker der DNA, nähert sich dem Gegenstand aus materialistischer Perspektive, mit dem Blick eines Physikers. Wie kann etwas Physisches einen subjektiven Zustand erzeugen? Diese Frage stellt er seit über 20 Jahren in den Mittelpunkt seiner Forschung oder, präziser gesagt: ins Zentrum seines Lebens.
Denn Christof Koch, Jahrgang 1956, ist getrieben vom Wunsch nach Erkenntnis und von dieser Besessenheit ist auch sein Buch geprägt. In einer Mischung aus Autobiografie, wissenschaftlicher Bestandsaufnahme und sehr persönlich gehaltener Bewertung historischer und aktueller Annahmen über das Bewusstsein blickt er auf sein Forscherleben zurück ‒ und bringt den Leser gleichzeitig auf den aktuellen Stand von Empirie und Theorie. Dieses ungewöhnliche Vorgehen ist besonders reizvoll, weil Koch zwar mit vielen Fakten argumentiert, aber keine unumstößliche wissenschaftliche Objektivität suggeriert. Die Leidenschaft für seinen physikalischen Forschungsansatz durchdringt jede Zeile und lässt doch gleichzeitig Raum, sich selbst zumindest eine Meinung zu bilden.
Kochs Ausgangspunkt ist die Suche nach quantitativen Erklärungen für phänomenales Erleben. Er will wissen, welche Gehirnaktivitäten – so genannte neuronale Korrelate – mit Bewusstsein einhergehen. Dahinter steht die Frage, warum manche Prozesse im Gehirn dazu führen, dass einem bestimmte Reize bewusst werden, und andere nicht. Anhand einer Vielzahl von Experimenten erklärt er, wie das Gehirn arbeitet, und kommt zu dem Schluss, dass Bewusstsein aus der komplexen Vernetzung von Neuronen über verschiedene Regionen des Gehirns hinweg entsteht.
Wie aber genau der Sprung vom Materiellen ins Immaterielle geschieht, ist damit noch nicht geklärt. Koch vermutet, dass Bewusstsein bestimmten komplexen Einheiten immanent ist, so, wie ein Elektron eine negative und ein Proton eine positive Ladung einfach in sich hat. Mit Hilfe der Theorie der integrierten Information, meint er, lasse sich zumindest quantitativ zeigen, wann ein vernetztes System "eine innere Perspektive", also Bewusstsein bekommt.
Den umfangreichen theoretischen Ausführungen kann der Laie sicher nicht immer bis ins Detail folgen. Aber, und das macht es spannend: Christof Koch verknüpft seine wissenschaftlichen Exkurse mit vielen alltagsrelevanten Fragen und Thesen. Er fragt nach der Macht des Unbewussten, analysiert die (Un-)Freiheit des Willens am eigenen persönlichen Beispiel, erklärt, warum Tiere Bewusstsein haben und stellt die Behauptung auf, dass auch Computer und Smartphones eine Innenperspektive und somit ein minimales Bewusstsein besitzen. Wie dieses Bewusstsein genau entsteht, egal ob in der Maschine oder im Gehirn, werden wir eines Tages – dessen ist sich Koch sicher – auch noch begreifen.
Besprochen von Vera Linß
Denn Christof Koch, Jahrgang 1956, ist getrieben vom Wunsch nach Erkenntnis und von dieser Besessenheit ist auch sein Buch geprägt. In einer Mischung aus Autobiografie, wissenschaftlicher Bestandsaufnahme und sehr persönlich gehaltener Bewertung historischer und aktueller Annahmen über das Bewusstsein blickt er auf sein Forscherleben zurück ‒ und bringt den Leser gleichzeitig auf den aktuellen Stand von Empirie und Theorie. Dieses ungewöhnliche Vorgehen ist besonders reizvoll, weil Koch zwar mit vielen Fakten argumentiert, aber keine unumstößliche wissenschaftliche Objektivität suggeriert. Die Leidenschaft für seinen physikalischen Forschungsansatz durchdringt jede Zeile und lässt doch gleichzeitig Raum, sich selbst zumindest eine Meinung zu bilden.
Kochs Ausgangspunkt ist die Suche nach quantitativen Erklärungen für phänomenales Erleben. Er will wissen, welche Gehirnaktivitäten – so genannte neuronale Korrelate – mit Bewusstsein einhergehen. Dahinter steht die Frage, warum manche Prozesse im Gehirn dazu führen, dass einem bestimmte Reize bewusst werden, und andere nicht. Anhand einer Vielzahl von Experimenten erklärt er, wie das Gehirn arbeitet, und kommt zu dem Schluss, dass Bewusstsein aus der komplexen Vernetzung von Neuronen über verschiedene Regionen des Gehirns hinweg entsteht.
Wie aber genau der Sprung vom Materiellen ins Immaterielle geschieht, ist damit noch nicht geklärt. Koch vermutet, dass Bewusstsein bestimmten komplexen Einheiten immanent ist, so, wie ein Elektron eine negative und ein Proton eine positive Ladung einfach in sich hat. Mit Hilfe der Theorie der integrierten Information, meint er, lasse sich zumindest quantitativ zeigen, wann ein vernetztes System "eine innere Perspektive", also Bewusstsein bekommt.
Den umfangreichen theoretischen Ausführungen kann der Laie sicher nicht immer bis ins Detail folgen. Aber, und das macht es spannend: Christof Koch verknüpft seine wissenschaftlichen Exkurse mit vielen alltagsrelevanten Fragen und Thesen. Er fragt nach der Macht des Unbewussten, analysiert die (Un-)Freiheit des Willens am eigenen persönlichen Beispiel, erklärt, warum Tiere Bewusstsein haben und stellt die Behauptung auf, dass auch Computer und Smartphones eine Innenperspektive und somit ein minimales Bewusstsein besitzen. Wie dieses Bewusstsein genau entsteht, egal ob in der Maschine oder im Gehirn, werden wir eines Tages – dessen ist sich Koch sicher – auch noch begreifen.
Besprochen von Vera Linß
Christof Koch: Bewusstsein. Bekenntnisse eines Hirnforschers
Aus dem Englischen von Monika Niehaus und Jorunn Wissmann
Springer Spektrum, Berlin und Heidelberg 2013
332 Seiten, 24,95 Euro
Aus dem Englischen von Monika Niehaus und Jorunn Wissmann
Springer Spektrum, Berlin und Heidelberg 2013
332 Seiten, 24,95 Euro