Der Sound des Gehirns

Von Arndt Reuning |
Die Elektroenzephalografie, kurz EEG, gehört zu den Standarduntersuchungen in der Neurologie. Ärzte können damit überprüfen, ob jemand zu epileptischen Anfällen neigt. Der New Yorker Student Dave Soldier dagegen nutzt das EEG, um damit Musik zu machen - allein durch Gedankenkraft.
Dave Soldier ist ein Mann mit zwei Gesichtern. An der renommierten Columbia University in New York studiert er das menschliche Gehirn. Doch in seiner Freizeit widmet er sich der Musik.

"Ich bin mein Leben lang schon Musiker gewesen. Ich spiele verschiedene Instrumente, vor allem Geige und Gitarre, in letzter Zeit besonders Flamenco-Gitarre. Und ich bin Komponist und Arrangeur. Ich habe immer versucht, viele verschiedene Arten von Musik zu machen."
So hat er zum Beispiel in Thailand ein Orchester gegründet, in dem Elefanten auf gigantischen Musikinstrumenten improvisieren. Er spielt Klassik, Experimentelles und eine Art kammermusikalischen Punkrock. Für eines seiner jüngsten Projekte verzichtet er aber komplett auf Instrumente oder Gesang – und setzt dafür auf sein EEG. Zusammen mit einem Kollegen von der Columbia, mit dem Musikwissenschaftler Brad Garton, wandelt Dave Soldier Nervenimpulse in Computerklänge um.

"Man versucht tatsächlich, seine Gehirnaktivität zu kontrollieren. Aber das ist überraschenderweise sehr kompliziert. Man hat keine Ahnung, wie kompliziert das ist, solange man nicht selbst das EEG auf gehabt hat. Dann versteht man, dass unsere bewussten Gedanken beinahe keinen Einfluss haben auf die Millionen von Nervenzellen in der Gehirnrinde, die man dazu bringen muss, dass sie sich alle im Gleichschritt bewegen. Das ist fast so, als würde man mit Boxhandschuhen Klavier spielen."

Sagt der Neurowissenschaftler und greift nach einem schwarzen Synthetik-Band mit drei Metallplatten daran, die wie Messingmünzen aussehen. Er legt es sich um den Kopf und drückt den Klettverschluss fest zusammen.

"Das ist bloß ein sehr, sehr einfaches EEG. Das gibt es zu kaufen. Es hat nur drei Elektroden und liefert daher nur ein einziges Signal. Aber für den Anfang ist das für uns am einfachsten."

Ein kleiner Bluetooth-Sender am Stirnband überträgt dieses Signal zu einem Laptop mit der Software, die Brad Garton entwickelt hat. Sie wandelt die Gehirnwellen in Schallwellen um. Im aller einfachsten Falle erzeugt der Computer einen reinen Kammerton A. Dann moduliert der Rechner diese Frequenz mit der Signalstärke der Gehirnwelle. Steigt die Spannung am EEG an, treibt das auch den Ton in die Höhe. Wenn ein Perkussionist, der das Stirnband trägt, sich alleine schon vorstellt, die Trommel zu schlagen, kann das die Musik verändern.

"Das Problem mit den reinen Tönen ist: Das Prinzip ist einfach zu verstehen, aber musikalisch gesehen sind sie einfach reizlos. Das hört sich einfach so an, als würde man einen Drehknopf hin und her drehen, der die Tonhöhe ändert. Das wird ziemlich schnell ziemlich langweilig. Also nehmen wir interessantere, schönere Sounds und modulieren sie mit dem EEG-Signal."

Außerdem arbeitet Dave Soldier auch noch mit anderen Algorithmen: So muss zum Beispiel das EEG-Signal eine bestimmte kritische Höhe überschreiten, um eine aufgezeichnete Audiosequenz auszulösen. Solch eine Technik hat der Musiker dazu benutzt, einen Satz aus dem Zweiten Streicherquartett von Arnold Schönberg zu zerlegen und neu zusammen zu setzten. Dazu hatte er sich vier Musiker ins Studio eingeladen.

"Ich habe gesagt: Okay, wir nehmen jetzt jede Tonhöhe aus dem Satz, jedes hohe C, jedes F und finden heraus, wie oft es darin vorkommt. Und dann nehme ich die Streicher im Studio auf, wie sie diese Noten spielen. Und dann lasse ich sie diese Aufnahmen mit ihren Gehirnwellen auslösen. Die Musik, die so entsteht, ist ein wenig merkwürdig, aber doch irgendwie schön. Das finde ich jedenfalls, andere Leute vielleicht eher weniger."

Auf die Idee für den EEG-Sound ist Dave Soldier übrigens gekommen, als er einen Vortrag zu Musik in der Neuroforschung halten sollte. Sein eigentliches Arbeitsgebiet sind aber Synapsen, die Verbindungen zwischen einzelnen Nervenzellen. Um trotzdem nicht absagen zu müssen, hatte er kurzerhand das EEG-Projekt ins Leben gerufen.

"Einer der Gründe dafür, dass ich mich als Neurowissenschaftler nicht tiefer gehend mit Musik beschäftige, ist ganz einfach der: Es ist so schwierig, auf diesem Fachgebiet auch nur Fuß zu fassen. Wir sind noch meilenweit davon entfernt, dass wir verstehen könnten, wie das Gehirn Musik verarbeitet. Auch wenn wir es ganz gewiss irgendwann einmal herausfinden werden."