Der Sohn Goethes als rasender Berlin-Reporter
Berlin, 1819: August von Goethe macht im Namen seines Vaters eine Berlin-Reise und führt ein Reisetagebuch. Was die Goethe-Forscherin Gabriele Radecke jetzt unter dem Titel "Wir waren sehr heiter" herausgegeben hat, ist ein Stück hochspannender Kulturgeschichte – auch deshalb, weil hier eine der wenigen Reisebeschreibungen aus dem Berlin des frühen 19. Jahrhunderts vorliegt.
Erstaunlich, aber wahr: Es gibt immer noch ungedruckte Texte aus dem Umfeld Goethes. Jetzt ist es ein Reisetagebuch seines Sohnes August, das, ergänzt um allerhand Briefe zwischen Vater und Sohn, aber auch sonstiger Anverwandter und Freunde der Familie, kundig eingeleitet und kommentiert von der Goethe-Forscherin Gabriele Radecke, im Aufbau-Verlag erschienen ist.
Es handelt sich um ein Stück hochspannender Kulturgeschichte – auch und gerade deshalb, weil hier eine der wenigen raren Reisebeschreibungen aus dem Berlin des frühen 19. Jahrhunderts vorliegt.
1819 ist das Jahr, in das wir hier geführt werden. Berlin schickt sich an, endlich eine europäische Metropole zu werden. Bald wird es 200.000 Einwohner zählen. Es entstehen Fabriken und Manufakturen. Vor allem aber wird unendlich viel gebaut. Eben ist die Neue Wache fertig geworden, und die Eingeweihten bestaunen schon die Pläne zum nachmals so genannten Alten Museum, mit dem man 1830 die Museumsinsel einweihen wird.
August wiederum lässt sich mit seiner Angetrauten Ottilie, einer geborenen von Pogwisch, vom Baumeister desselben, dem Oberbaurat Schinkel, aber vor allem an eine andere Berliner Baustelle führen: auf den Gendarmenmarkt, wo das neue königliche Schauspielhaus entstehen soll – ganz aus Sandstein gebaut übrigens, der ausgerechnet aus Pirna kommt, wie der lokalpatriotisch gestimmte Weimarer seinem Vater stolz vermeldet.
Überhaupt ist er ein sehr fleißiger Rapporteur. Kaum hat er die preußische Hauptstadt, von Potsdam kommend, an jenem 8. Mai 1819 durch das Brandenburger Tor einfahrend, betreten, so schreibt er auch schon eine Stunde später für den Vater auf, was er sieht und erlebt. So geht das die ganzen acht Wochen lang, die der damalige Weimarer Verwaltungsbeamte (mit dem Titel eines Kammerrats) von zu Hause abwesend sein wird – drei davon, den Löwenanteil, wird er in Berlin zubringen.
Ihm ist das Terrain gut bereitet, und zwar vom Vater selbst, der Berlin nicht mehr besuchen kann oder will (1778 war er das einzige Mal in seinem Leben hier gewesen und hatte die Stadt und ihre Bewohner nicht eben schätzen gelernt). Inzwischen aber sind so viele Freunde, Vertraute, Gesprächspartner des alten Goethe in Berlin, dass er sich die Nichtbeachtung der Stadt eigentlich nicht weiter leisten kann.
Darum schickt er Sohn und Schwiegertochter. Er hat ein ausgeklügeltes Besuchsprogramm für sie zusammengestellt, das die beiden auch brav abarbeiten. Untergebracht sind sie bei Goethes Altersfreund Zelter, dem Direktor der Singakademie, in der Friedrichsstraße.
Das musikalische Leben der Hauptstadt ist es nicht zum wenigsten, was sie hier in Anspruch nimmt. Sie gehen in die Oper und in die Singakademie, erleben die kleinen Mendelsohn-Bartholdy-Kinder beim Konzertieren und wohnen einer schlecht besuchten Iphigenien-Inszenierung zu ihren oder ihres Vaters Ehren im Schauspielhaus bei.
Sie treffen die Bildhauer Rauch und Tieck, erhalten eine Audienz beim König. Austern schlürfen sie bei Lutter und Wegner, von den anstrengenden Stadtspaziergängen und Visiten erholen sie sich in der Konditorei Fuchs bei Kaffee und Schokolade Unter den Linden.
Und immer schreibt der rasende Reporter August mit. Ausführlich und oft nachlässig im Tagebuch mit Hinweisen darauf, was er später beim abendlichen Zusammensein im Haus am Frauenplan zur hoffentlich unterhaltsamen Anekdote ausbauen will, kürzer und nachrichtlicher in den Briefen an den Vater.
Ein ganz ungewöhnlich anschauliches Dokument des Lebens und Reisens der gebildeten Stände um 1800 ist dabei herausgekommen, ein Buch, das man dem Berlinfreund ebenso empfehlen kann wie Kennern und Liebhabern Goethes, denn alles und alle, die August und Ottilie hierorts sehen, stehen zum Alten in Weimar in Beziehung.
Rezensiert von Tilman Krause
August von Goethe: Wir waren sehr heiter. Reisetagebuch 1819
Aufbau Verlag, Berlin 2007, 334 Seiten, 24,95 Euro
Es handelt sich um ein Stück hochspannender Kulturgeschichte – auch und gerade deshalb, weil hier eine der wenigen raren Reisebeschreibungen aus dem Berlin des frühen 19. Jahrhunderts vorliegt.
1819 ist das Jahr, in das wir hier geführt werden. Berlin schickt sich an, endlich eine europäische Metropole zu werden. Bald wird es 200.000 Einwohner zählen. Es entstehen Fabriken und Manufakturen. Vor allem aber wird unendlich viel gebaut. Eben ist die Neue Wache fertig geworden, und die Eingeweihten bestaunen schon die Pläne zum nachmals so genannten Alten Museum, mit dem man 1830 die Museumsinsel einweihen wird.
August wiederum lässt sich mit seiner Angetrauten Ottilie, einer geborenen von Pogwisch, vom Baumeister desselben, dem Oberbaurat Schinkel, aber vor allem an eine andere Berliner Baustelle führen: auf den Gendarmenmarkt, wo das neue königliche Schauspielhaus entstehen soll – ganz aus Sandstein gebaut übrigens, der ausgerechnet aus Pirna kommt, wie der lokalpatriotisch gestimmte Weimarer seinem Vater stolz vermeldet.
Überhaupt ist er ein sehr fleißiger Rapporteur. Kaum hat er die preußische Hauptstadt, von Potsdam kommend, an jenem 8. Mai 1819 durch das Brandenburger Tor einfahrend, betreten, so schreibt er auch schon eine Stunde später für den Vater auf, was er sieht und erlebt. So geht das die ganzen acht Wochen lang, die der damalige Weimarer Verwaltungsbeamte (mit dem Titel eines Kammerrats) von zu Hause abwesend sein wird – drei davon, den Löwenanteil, wird er in Berlin zubringen.
Ihm ist das Terrain gut bereitet, und zwar vom Vater selbst, der Berlin nicht mehr besuchen kann oder will (1778 war er das einzige Mal in seinem Leben hier gewesen und hatte die Stadt und ihre Bewohner nicht eben schätzen gelernt). Inzwischen aber sind so viele Freunde, Vertraute, Gesprächspartner des alten Goethe in Berlin, dass er sich die Nichtbeachtung der Stadt eigentlich nicht weiter leisten kann.
Darum schickt er Sohn und Schwiegertochter. Er hat ein ausgeklügeltes Besuchsprogramm für sie zusammengestellt, das die beiden auch brav abarbeiten. Untergebracht sind sie bei Goethes Altersfreund Zelter, dem Direktor der Singakademie, in der Friedrichsstraße.
Das musikalische Leben der Hauptstadt ist es nicht zum wenigsten, was sie hier in Anspruch nimmt. Sie gehen in die Oper und in die Singakademie, erleben die kleinen Mendelsohn-Bartholdy-Kinder beim Konzertieren und wohnen einer schlecht besuchten Iphigenien-Inszenierung zu ihren oder ihres Vaters Ehren im Schauspielhaus bei.
Sie treffen die Bildhauer Rauch und Tieck, erhalten eine Audienz beim König. Austern schlürfen sie bei Lutter und Wegner, von den anstrengenden Stadtspaziergängen und Visiten erholen sie sich in der Konditorei Fuchs bei Kaffee und Schokolade Unter den Linden.
Und immer schreibt der rasende Reporter August mit. Ausführlich und oft nachlässig im Tagebuch mit Hinweisen darauf, was er später beim abendlichen Zusammensein im Haus am Frauenplan zur hoffentlich unterhaltsamen Anekdote ausbauen will, kürzer und nachrichtlicher in den Briefen an den Vater.
Ein ganz ungewöhnlich anschauliches Dokument des Lebens und Reisens der gebildeten Stände um 1800 ist dabei herausgekommen, ein Buch, das man dem Berlinfreund ebenso empfehlen kann wie Kennern und Liebhabern Goethes, denn alles und alle, die August und Ottilie hierorts sehen, stehen zum Alten in Weimar in Beziehung.
Rezensiert von Tilman Krause
August von Goethe: Wir waren sehr heiter. Reisetagebuch 1819
Aufbau Verlag, Berlin 2007, 334 Seiten, 24,95 Euro