Der Sohn des Propagandafilmers

01.11.2007
Früher als andere Zeitgenossen stellte sich Thomas Harlan der Tatsache, das Kind eines Nazi-Karrieristen zu sein. Der Sohn von Veit Harlan, einem der prominentesten Filmregisseure des Dritten Reichs, liebte den Vater zeitlebens, hasst ihn jedoch noch heute für dessen perfide Propagandafilme, zum Beispiel "Jud Süß" und "Kolberg".
Warum übernahm der Vater nicht die moralische Verantwortung dafür, dass seine Filme vor KZ-Mannschaften und Wehrmachtssoldaten zur Hetze eingesetzt worden waren? Warum drängte er darauf, trotz seiner Nazi-Komplizenschaft wieder Filme in der BRD zu drehen? Und wer waren diejenigen, die ihn im Prozess um seine geistige Mittäterschaft in den 50er Jahren freisprachen?

Thomas, der wütende Sohn, war gegen Kriegsende knapp dem berüchtigten Waffendienst der Halbwüchsigen entgangen. Seine einstige Nähe zu Hitler und Goebbels blieb dem privilegierten Sprössling gut in Erinnerung, als ihm der Einmarsch der Roten Armee in Berlin eine Gegenwelt voller persönlich positiver Eindrücke öffnete.

Er begann ein Leben als Abenteurer, Reisender, Rechercheur, Autor und Filmemacher, dessen Schauplätze Frankreich, die Sowjetunion, Israel, Polen, Italien und Portugal für seine intellektuelle Neugier sprechen. Mit kritischem Geist den Bewegungen links der dogmatischen Kommunisten zugeneigt, bekämpfte er den Vater, indem er die bundesrepublikanische Gesellschaft anprangerte, vor allem die klammheimliche Besetzung von Schlüsselpositionen durch Nazi-Kriegsverbrecher und Massenmörder.

Geprägt vom Furor, die Vätergeneration durch Beweise zur Wahrheit zu zwingen, schuf Thomas Harlan ein einzigartiges Lebenswerk. Dokumentierende Aufklärung und künstlerische Bearbeitung verzahnen sich darin - Scheitern an den erdrückenden Einsichten manchmal inbegriffen. 1953 brach er die Dreharbeiten eines Films über das junge Israel ab, mit seinem Freund Klaus Kinski war er der erste deutsche Besucher im Land.

1959 provozierte sein Stück über den Aufstand im Warschauer Ghetto pro-nazistische Ausfälle. Eine Rede ans Publikum trug Harlan Drohbriefe alter Seilschaften ein, was ihn in Polen zu mehrjährigen Recherchen der ungesühnten Verbrechen von Machtmännern und Juristen der jungen BRD veranlasste. Seiner Lebensleistung verdankten die Ermittler fast zweitausend beweiskräftige Anzeigen, u. A. auch die juristischen Voraussetzungen für die Auschwitz- bzw. Majdanek-Prozesse.

Das Unterfangen wuchs sich zeitweilig zu Harlans Lebensmittelpunkt aus, vor der geplanten Buch-Bearbeitung des Horrors musste der unfreiwillige Geschichtsforscher jedoch passen.

Veit Harlans Sohn hat die Lektion gelernt, dass Bücher und Filme manipulativ entstehen. Er hat sich zu dieser grundsätzlichen Ambivalenz bekannt, nicht zuletzt in dem umstrittenen Spielfilm "Wundkanal", in dem er einen wirklichen NS-Mörder das Entführungsopfer einer Art RAF-Gruppe spielen ließ. Romane und Erzählungen entstanden, die um die historische Erblast und ihre Erzählbarkeit kreisen.

Jeder Biograf muss damit rechnen, dass Harlan seine private Geschichte für uninteressant erklärt. Psychologie, Betroffenheit und Opferdiskurs - das konventionelle Muster der Nachkriegsbiografien - verweigert er konsequent. Sein Credo bleibt die Reflexion der politischen Konsequenzen des eigenen Tuns, ebenso die Selbstbefragung des Künstlers im Umgang mit der Macht und die Bescheidung auf fragmentarische Erzählformen, die das Mitdenken einfordern. "Wandersplitter", jene Granatsplitter im Körper eines Verletzten, die den tödlichen Weg zum Herzen suchen, scheinen Harlan eine treffende Metapher für das existentielle Risiko seiner Generation.

Heute lebt der 1929 geborene Harlan als Patient in einer bayrischen Lungenklinik. Gezeichnet vom Cortison ist er dennoch ein Mann von vitaler Ausstrahlung, geistiger Spannkraft und brillanter Erzählkunst.

Zwei autobiografische Projekte holen ihn aus dem Abseits heraus. "Wandersplitter", ein Filmportrait von Christoph Hübner und Gabriele Voss, ist in der DVD-Edition um Ausschnitte aus Harlans Filmografie und kritischen Making-Off-Kommentaren ergänzt. Auch Jean-Pierre Stephans Buch "Thomas Harlan - Das Gesicht deines Feindes" basiert auf einem Interview, erweitert den persönlichen Bericht jedoch um Kurzportraits markanter Alt-Nazis bzw. des antifaschistischen Helferkreises, der Harlans Recherchen unterstützte. Der Zeitzeugenbericht wird mit sachlich knappen, oft leider wiederholenden Handbuchartikeln zum historischen Lesebuch.

Hübners Film, ein Konzentrat von Gesprächen im engen Klinikzimmer des Kranken, ist in epischen Bögen montiert und in Kapitel gegliedert. Landschaftsansichten setzen bisweilen ironische Pausenzeichen. Mit Blick auf den Obersalzberg kommt Harlan nie von der Hassliebe zur Welt seines Vaters los. Auch die zurückhaltende Fragetechnik von Jean-Pierre Stephans Buch lässt Harlans Brillanz und Gedankenschärfe breiten Raum.

Jenseits von klassischen Sachbüchern, Memoiren oder Portraits ergänzen sich die DVD und ihre Extras, das Interview-Buch und seine objektiven Passagen zu Beispielen eines neuen Genres. Das Erbe des Nationalsozialismus aus der Perspektive des unbequemen Außenseiters, nicht als Betroffenheitsspektakel präsentiert, sondern als dokumentarisches Material für die persönliche Auseinandersetzung mit Geschichte.

Rezensiert von Claudia Lenssen

Jean-Pierre Stephan: Thomas Harlan. Das Gesicht deines Feindes. Ein deutsches Leben
Verlag Eichborn Berlin 2007
240 Seiten, 22,95 Euro

Christoph Hübner: Thomas Harlan - Wandersplitter
Doppel-DVD mit Extrasplittern
Edition filmmuseum
24, 95 Euro