Der Slum als Laufsteg

Die Sapeurs stecken jeden Franc in Markenkleidung.
Die Sapeurs: Bunte Dandys im Slum. © AFP / Junior D. Kannah
Von Antje Diekhans · 10.03.2011
Sie tragen Anzüge von Armani, auf Hochglanz polierte Schuhe und schicke Hüte. Obwohl sie aus den Armenvierteln kommen, ist Kleidung für sie alles. In Kongo-Brazzaville trifft sich jeden Sonntag ein Club gut gekleideter Herren.
Es ist Sonntag – Ausgehstimmung in Brazzaville. Roger Ossindza putzt sich heraus. Pinkes Jackett, blaues Hemd, gelbe Hause, pink-gelbe Krawatte. Was fast nach einem Karnevals-Kostüm klingt, wirkt an ihm schick. Roger weiß eben, wie Mode zu tragen ist:

"Man muss das nehmen, was teuer ist – und natürlich modern. Die Anzüge müssen gut fabriziert sein, am besten in Europa. Die Franzosen haben Stil und die Italiener machen die besten Schuhe."

Der Angestellte der kongolesischen Schifffahrts-Gesellschaft ist ein Sapeur. Die Bezeichnung kommt vom französischen "bien sapé" – schick gekleidet". In Kongo-Brazzaville nennt sich so ein Zirkel von schönen Männern, die Wert auf gute Kleidung legen. Sie tragen Anzüge von Armani und Pierre Cardin, auf Hochglanz polierte Schuhe und fesche Hüte. Vorsitzender der Sapeurs ist Destin Ndoudi.

"Wenn man keine Kleidung hat, die etwas Wert ist, kann man sich nicht als Sapeur qualifizieren. Und dazu gehört nicht nur ein edler Anzug – ohne Marken-Etikett geht nichts. Erst dann ist man ein richtiger Gentleman."

Roger lebt im Armenviertel von Kongo-Brazzaville. Sein kleines Häuschen ist sehr bescheiden. Das Wohnzimmer etwa acht Quadratmeter groß, das Sofa verschlissen, der Tisch davor wackelt. Doch das alles stört Roger nicht. Er steckt jeden Francs, den er übrig hat, in Kleidung. Für einen gebrauchten Anzug gehen schon mal mehrere Monatsgehälter drauf. Rogers Frau hat für das extravagante Hobby ihres Mannes Verständnis:

"Ich weiß ja, dass er ein Lebenskünstler ist. Ich kenne ihn schon seit meiner Kindheit. Wenn ihn andere Frauen toll finden, das stört mich nicht. Er ist mein Ehemann und auch wenn er weggeht – er kommt immer nach Hause zurück."

Roger komplettiert sein Outfit heute noch mit einer weißen Sonnenbrille. Dann kommt der erste Auftritt – der Laufsteg beginnt für den Sapeur direkt vor seiner Tür.

Die Nachbarn applaudieren mit einer Mischung aus Neid und Bewunderung. Ein Nachbar:

"Die Sapeurs erregen natürlich Aufsehen. Das ist für die ein echter Kick. Aber wie soll sich das einer leisten, der keine Arbeit hat? Man braucht schon Geld, um sich anständig anzuziehen."

Eine Frau:

"Ich liebe, wie sie sich kleiden. Wie gepflegt und sauber sie sind. Eigentlich die ganze Art, wie sie sich verhalten."

Die ersten Sapeurs gab es schon zur Kolonialzeit. Die Menschen in Brazzaville bewunderten die reichen Auswanderer, die von einem Aufenthalt in Paris wie verwandelt heimkehrten. Im Nadelstreifenanzug und mit Lederschuhen. Diesen fremden Schick versuchten viele zu imitieren – und fanden dabei bald ihren ganz eigenen, bunteren, afrikanischen Stil. Inzwischen zählt der lose Bund der Sapeurs tausende Anhänger, die sich auch in den kongolesischen Vierteln anderer Metropolen finden.

In Brazzaville haben die Sapeurs ein halbes Dutzend Stammlokale, die sie nacheinander am Sonntag ansteuern. Bei der Begrüßung lassen sie ihre Blicke von oben nach unten, vom Hut bis zu den Schuhen wandern: Ist der andere auch schick genug? Es gibt eine Reihe ungeschriebener Regeln: So dürfen nie mehr als drei Farben kombiniert werden – einschließlich Einstecktuch und Feuerzeug. Doch am wichtigsten bei den Sapeurs ist der kleine Aufnäher im Anzug, sagt ihr Vorsitzender.

"Die Marken-Etiketten sind im Kongo das Wichtigste. Selbst wenn wir arbeitslos sind und wenn wir uns Geld leihen müssen – sie sind unser ganzer Stolz. Erst das Etikett macht den Kongolesen zufrieden."

In einem Stammlokal der Sapeurs ist er heute einer der ersten auf der Tanzfläche, hier wird er gut gesehen. Zu sehr darf er sich allerdings nicht bewegen, sonst leidet wohlmöglich der Anzug. Das Publikum sind ein paar Frauen und andere schicke Männer - Paradiesvögel wie Roger, die eine ganze Woche von ihren Auftritten am Wochenende träumen. Wenn sie mit bunter Eleganz dem tristen Alltag entfliehen.

"Für uns ist das eine Art zu entspannen. Nach sechs Tagen Arbeit ist man geschafft. Aber am Sonntag tanken wir neue Kraft. Das ist das Geheimnis der Sapeurs."

Am Abend wird er seinen Anzug ausbürsten und in den Schrank hängen. Dort bleibt er bis zum nächsten Sonntag, dem Ausgehtag in Kongo-Brazzaville – wenn aus Roger, dem Angestellten der Schifffahrtsgesellschaft, wieder ein schicker Sapeur wird.