Der singende Viehmarkt

Von Uwe Friedrich |
Über 100 Sänger sind seit Montag in der Deutschen Oper Berlin zusammengekommen, um an der ersten Berlin International Opera Auditions teilzunehmen. Das Projekt bietet jungen Sängerinnen und Sängern die Gelegenheit, sich mit einem einzigen Vorsingen den Entscheidungsträgern der führenden internationalen Opernhäuser vorzustellen.
Die Sopranistin Jacqueline Wagner singt im strahlend weißen Hosenanzug "I want magic" aus André Previns Oper "A Streetcar named Desire". Und auf ein Wunder hofft sie nicht alleine, über 100 junge und nicht mehr ganz so junge Sänger haben seit Montag am großen Vorsingen der Berlin International Opera Auditions teilgenommen. Sie alle wollen die versammelten Operndirektoren und Chefs der Künstlerischen Betriebsbüros beeindrucken, die Leute also, die darüber entscheiden, wer in Chicago und Los Angeles, in Helsinki, Riga oder auch in Bielefeld auf die Opernbühnen darf. 30 von ihnen sitzen im Foyer der Deutschen Oper Berlin, darunter auch Peter Katona vom Königlichen Opernhaus Covent Garden.

Katona: "Man hört vieles, aber wo immer ich hinfahre, hört man immer wieder neue Sänger. So viel kann man gar nicht an Vorsingen an einem Theater abhalten, so viele Agentenbriefe kann man gar nicht lesen, man kann auch nicht auf alles reagieren, was einem auf den Tisch gelegt wird. Es ist ein Überangebot an Informationen erhältlich, das keiner mehr komplett verarbeiten kann. D. h. für mich ist das, im großen Flickenteppich von Informationen ist das eine Gelegenheit, bei der ich relativ viele Sänger hören kann und einen Eindruck bekommen kann. Es ist ja alles eine Geschmacksfrage, nicht jeder präsentiert vielleicht in der richtigen oder allerbesten Form. Es ist nur eine Momentaufnahme."

Allzu viel, das wird schnell klar, erhoffen sich die Besetzungschefs nicht von diesem dreitägigen Gesangsmarathon. Wer seinen Beruf ernst nimmt, hat relativ viele der Teilnehmer ohnehin bereits woanders gehört. Der Markt für Opernsänger ist eng und heiß umkämpft. Die Umschlagplätze sind vor allem die großen Gesangswettbewerbe und die Premieren an kleineren Opernhäusern, die von den großen immer genau beobachtet werden, um Talente früh zu finden und einander abzujagen. An der Chicago Lyric Opera ist Andreas Melinat für die Sängerauswahl zuständig.

Melinat: "There wasn't anybody at the moment that I felt, o whow, I would give him a leading part in our theatre. The challenge we have in Chicago, our theatre seats 3500 people, it is one of the largest theatres, we need to make sure we have voice that can carry and project well throughout the house. It is a little bit different the situation than in the european theatres which are on a smaller scale and you can cast maybe a bit deffierently than we have to keep in mind with our theatre. But there are some people that are interested and I will keep my eye on and see how they develop. And some obviously are very young artists and it will be exciting to see will they come to the next level. And it is always good to have somebody early on and keep an eye on somebody."

Seit einigen Jahren veranstaltet David Blackburn mit seiner Firma New York International Opera Auditions Sammelvorsingen, bei denen sich amerikanische Sänger den Besetzungsdirektoren europäischer Opernhäuser vorstellen können. Mit einigem Erfolg. Blackburn spricht von ungefähr 70 Sängerverträgen an etwa 20 deutschen Opernhäusern, die durch die Vorsingen in New York zustande gekommen seien. Wer nach Berlin kommen darf, hat insgesamt 400 Euro bezahlt und darf nun der versammelten Fachkompetenz vorsingen. Ob die auch wirklich drei Tage lang konzentriert zuhören? David Blackburn hat naturgemäß weniger Zweifel als Hans-Joachim Frey von der Dresdner Semperoper, wo er selber regelmäßige Vorsingen abhält.

Blackburn: "Of course, this is their job. It is like an accountant. Is an accountant able to count all day? Of course they are, it's what they are trained to do. Just like a tenor is trained to sing high notes, which the normal person on the street can't do."

Frey: "Ich mache bloß nie so Massenvorsingen. Wir machen immer so drei, mittags nach der Probe, für so drei Leute maximal, damit wir mit den Leuten auch individuell sprechen können, und damit man auch Lust hat, die Sänger zu hören. Das ist ja die große Gefahr, ob ich am Mittwochabend noch Lust habe, den hundertsten Sänger zu hören oder nicht automatisch schon abschalte, weil es mir alles zu viel ist, das kann keiner versprechen.

Sie müssen sich vorstellen, 30 Opernhausvertreter sind hier. Wenn sie an dem Tag nicht 120 Prozent von der Leistung sind, sondern nur 90, dann sind sie die nächsten zwei, drei Jahre weg vom Markt. Keiner will sie mehr hören, auch individuell in sein Haus einladen, wo ja jedes Mal die Tagesform entscheidet. Also das ist wirklich das Risiko. Wenn sie allerdings super sind, haben sie gleich die Chance, gleich die Tasche mit Engagements voll zu haben."

Die Nervosität der Sängerinnen und Sänger ist geradezu mit Händen zu greifen. Hier muss gleichsam aus dem Stand, in Straßenkleidung und nur mit Klavierbegleitung das ganz große Repertoire perfekt dargeboten werden, damit man überhaupt nur den Hauch einer Chance hat, dass die Mächtigen der Branche überhaupt zuhören. Dieses System ist ungerecht, das weiß auch Andreas Melinat.

Melinat: "We know that there are some artists who just never audition well and you eventually find them in a performance or you may hear them audition then you see them later on and you realize they just didn't give a good audition. But it is unfortunately the nature of our business that we have to rely on an audition and wait to hear the talent out there. And usually you get a very good sense if there is a gift or something special about that and you can always hear someone again if you feel that they didn’t have a good day or whatever, if they haven't lived up to their reputation that you have read in reviews from critics and colleagues, one can follow that. But it’s a faulty system, but it is the best one we have in this business."

Die ausgebufften Profis der Branche wissen spätestens nach den ersten 30 Sekunden einer Arie, ob es sich lohnt, weiter zuzuhören. Ob sie von dem Gesang angerührt werden und ob am Ende der Spitzenton glücken wird. Und sie irren sich äußerst selten. Das klingt brutal und ist es wohl auch, einige Kandidaten verlassen das musikalische Schlachtfeld am Boden zerstört. Mitleid ist allerdings für beide Seiten unangebracht. Schließlich gehören Vorsingen für beide Seiten zum Beruf, und um ins Schlaraffenland des Belcanto zu gelangen, müssen alle Beteiligten eine Menge Grießbrei schlechten Gesangs verdrücken.

Frey:" Das stimmt, das kann ich bestätigen, und hat man, dann hört man ein bisschen hin, dann hat man ein bisschen Dispositionsmaterial und ein bisschen Lesestoff dabei, aber wenn man nach einer oder anderthalb Minuten weiß, es lohnt sich hinzuhören, und das ist auch ab und zu der Fall, es ist ja nicht so, dass ständig alles schlecht ist, dann lohnt es sich wirklich und es ist interessant, dabei zu sein."

Melinat:" I get satisfaction on different levels. It is always exciting when you find the next person who has potential to be a major artist. But there are so many people we have to engage on different levels, that is very satisfying, it makes it worthwhile."