Der Senatsbaudirektor von Berlin

Von Gerwin Zohlen |
Hans Stimmann trat sein Amt als Senatsbaudirektor von Berlin 1991 zwei Jahre nach dem Mauerfall an. Er kam aus Lübeck, aber war sich der berserkerhaften Aufgaben bewusst, die hier auf ihn warteten. Die 40-jährige Spaltung der Stadt spielte sich ja nicht nur in den politischen, sondern auch in den städtebaulich konkurrierenden Systemen in Ost und West ab.
Was den einen das Kulturforum, war den anderen der Palast der Republik, was den einen die ringförmige Stadtautobahn mit Westtangente, war den anderen das achsiale System der Magistralen von Wandlitz zum ZK der SED der DDR am ehemaligen Schloßplatz von Berlin. Aber keiner hatte eine bauliche oder ideelle Vorstellung von dem, was die historische Mitte der Stadt Berlin bedeutete.

Und es gab auch keine Verwaltung, die den Aufgaben angemessen gewesen wäre. Stimmann hatte mithin nur seine Überzeugung von der städtischen Architektur und zunächst die operative Aufgabe, eine Verwaltung aufzubauen, die den Gesetzen und Regeln der urbanen Kultur und den Traditionen der Stadt Berlin genügte. Berlin gab es ja schon in den 20er und 30er Jahren und in den Dekaden vor dem Ersten Weltkrieg, nicht erst seit den 60er Jahren in Ost und West. Und dieser Aufgabe unterzog Stimmann sich mit einer städtebaulichen Ästhetik, die den öffentlichen Raum der Straße vor die privaten Interessen des Investors sowie der so genannten Künstlerarchitekten (der Moderne) setzte, die statt der amerikanischen Plaza mit Hochhaus und Parkgarage lieber das traufständige, also etwa 30m hohe Haus an der Baufluchtlinie zur Straße mit halböffentlichen Innenhöfen sah, und die eher den gestalteten Platz mit Ausbuchtungen verwirklichen wollte als den verkehrstechnisch korrekten Verteiler der Autobahnen und Schnellstraßen.

Stimmann stellte diese Ästhetik unter den schönen Begriff der Europäischen Stadt, der an Barcelona und Mailand, San Gimignano und Paris erinnert. Ehrwürdig genug sucht er Anschluss an die alte städtische Kultur Europas. Und in dieser Perspektive wird klar, dass in den Geschichtsbüchern als eigentlicher Gegenspieler von Hans Stimmann nicht seine direkten Amtsvorgänger Hans Christian Müller, Werner Düttmann oder Hans Scharoun auftauchen werden, sondern Martin Wagner, der legendäre Stadtbaurat Berlins in den Zwanziger Jahren. Wenn dieser Berlin damals fit machen wollte für den "Amerikanismus und Fordismus" der Autos, den fortschrittlichen Geschichtsagenten seiner Epoche, so wollte Stimmann der Kultur des Städtischen, des Urbanen, der Begegnung im öffentlichen Raum der Stadt wieder architektonisches und kulturelles Ansehen verschaffen. Für diese – ach so löbliche Anstrengung wurde er in den 90er Jahren zum Buhmann und Prügelknaben der stadtbauenden Nation, mit Schimpfworten, die man selbst unter Freunden nicht gern wiederholen möchte.

Mit Blick auf die Stadt Berlin und die Kultur des Städtischen in der Architektur allgemein fragt man sich: Wieso der Widerstand. Der Geist der Zeiten, den man Epoche nennt, spricht heute längst "Zurück zur Stadt" – selbst wenn einem einzelne Architekturen nicht gefallen. Das aber hat auch Hans Stimman gelernt: Die Architektur eines Hauses verändert sich schneller als die Struktur der Stadt, in der sie steht. Für die hatte er zu sorgen. Und man steht nicht an zu sagen: es ist ihm - quand même - wohl gelungen.