Der Seelentröster

Von Sarah Tschernigow · 07.03.2013
Er hat Interviews mit Neonazis geführt, mit Pädophilen und Prostituierten: Seit 17 Jahren ist Jürgen Domian nachts der Seelsorger im WDR. Dort spricht er nicht als Experte über die Probleme der Anrufer, sondern als Privatperson. Oft geht es auch um sein Lebensthema: den Tod.
Ein Hotel in Berlin, nahe des Kurfürstendamms. Jürgen Domian lässt seinen Blick durch die Hotellounge schweifen. Sie gefällt ihm. So minimalistisch: weiße Wand, weißes Mobiliar. Da fühlt sich der 54-Jährige sofort an seine alte Wohnung in Köln erinnert.

"Und diese Wohnung war komplett weiß. Ich hatte nur einen Tisch, einen Stuhl, einen Schrank und ein Bett in dieser großen Wohnung. Das waren fast 100 Quadratmeter. Ich war damals auf dem Trip: Ich will von keinen Gegenständen abgelenkt werden. Ich will konzentriert sein auf das Wesentliche."

Nach wie vor ist Jürgen Domian jemand, der nicht viel um sich herum braucht, der gerne ganz bei sich ist. Berlin ist ein Zwischenstopp auf einer Reise durch mehrere Großstädte, in denen er sein neues Buch vorstellt. Mit dabei hat der Autor und Moderator nur eine kleine Reisetasche und: einen Schlafsack.

"Ich nehme fast immer einen Schlafsack ins Hotel. Der Hintergrund ist, dass ich Hausstauballergiker bin. Ich lege den Schlafsack auf das Bett und darunter lege ich eine leichte Alu-Rettungsfolie." (lacht)"

Jürgen Domian ist ein Eigenbrötler. Ein Einzelgänger, der sich trotzdem gerne unterhält und sehr aufgeschlossen ist. Es scheint keine Themen zu geben, keine Fragen, zu denen er nichts sagen würde. Der gebürtige Gummersbacher präsentiert sich lässig in Jeans, Hemd und leichter Sportjacke, wirkt wie ein guter Freund. Vermutlich wollen deshalb jede Nacht um 1 Uhr rund 10.000 Menschen mit ihm in seiner Talksendung "Domian" zu sprechen.

""Das sind Situationen, die sind furchtbar, auch für mich. Weil da gibt es nichts Tröstendes zu sagen. Gar nichts!"

Wenn es um das Thema Tod geht, kommt Jürgen Domian an seine Grenzen. Es ist das Thema, das ihn auch persönlich am meisten umtreibt, vor dem er ich fürchtet. Er sagt: Der Tod ist sein Lebensthema.

"Ich hatte als Kind immer extreme Angst davor, dass ich sterbe, dass meine Eltern sterben. Und dann kam die Zeit des Konfirmandenunterrichts. Und ich war das einzige Kind in Gummersbach, das gerne in den Unterricht gegangen ist, weil ich mit dem Pastor über diese Fragen habe sprechen können."

Jürgen Domian wächst als Sohn eines Hausmeisters und einer Putzfrau auf. Wegen seiner Herkunft wird er in der Schule gehänselt. Halt findet er im christlichen Glauben. Der Schüler träumt von einem Theologiestudium.

"Ich habe sehr viel Bibel gelesen als ganz junger Mensch. Ich glaube, ich habe die Bibel mehrfach ganz durchgelesen. Das war schon eine fundamentalistische Ader, die ich hatte."

Doch als junger Erwachsener bricht diese Welt auf einmal zusammen. Jürgen Domian verliert den Glauben, als er Texte der Philosophen Friedrich Nietzsche und Ludwig Feuerbach in die Hände kriegt.

"Fing an zu lesen... Mir wurde immer mulmiger, weil ich so nach und nach merkte, dass ich nicht richtig etwas dagegen halten konnte. Dann brach der starke Glaube innerhalb eines halben Jahres weg. Das war schlimm, weil ich im Nichts stand."

Mit 20 kommt die Krise. Jürgen Domian leidet an Bulimie. Nach drei Jahren schafft er aus eigener Kraft den Neuanfang. Beendet sein Studium in Germanistik, Philosophie und Politik, jobbt nebenbei als Kabelträger beim WDR, wird dort Redakteur, dann Moderator. 1995 geht seine Talksendung on Air.

Das Thema Sterben begleitet ihn bis heute - nicht nur in seiner Sendung. Auch in seinem aktuellen Buch stellt er sich seiner größten Angst und führt ein fiktives Interview mit dem Tod. Erörtert mit ihm Fragen wie: Warum sterben wir überhaupt? Was kommt nach dem Leben? Gedanken dazu hat sich Domian oft nach Feierabend gemacht, also mitten in der Nacht.

"Ich glaube, wenn man die Angst vor dem Tod etwas verliert, verliert man auch vielleicht eine nochgrößere Angst vor dem Leben."

Sein Leben beginnt am Nachmittag - mit Zeitung lesen und etwas Fitness. Zeit für ein Sozialleben bleibt kaum. Seine mehrwöchige Sommerpause verbringt der Moderator und Autor auch gerne wieder allein. Hauptsache der Schlafsack ist mit dabei. Einmal im Jahr fährt er in die Wildnis nach Lappland, in die Urwälder Nordschwedens - um zu schweigen. Vielleicht auch, um zu flüchten.

"Ich wohne dann irgendwo im Wald oder an einem See in einer Holzhütte und bin dann nur dort. Da sind keine Menschen. Ich spreche dort auch nicht. Ich wandere und lese. Aber selbst das Lesen unterlasse ich manchmal, weil mir das auch zu viele Fremdgedanken sind. Ich bin froh, wenn ich dann an den Punkt komme, nichts mehr zu denken."


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Webseite der WDR-Sendung "Domian"
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