Der schwierige Weg ins Grüne

Von Jochen Stöckmann · 29.06.2009
Städte müssen zukünftig nicht nur ästhetischen und sozialen Ansprüchen genügen - sie müssen auch mit der Umwelt in Einklang sein. Auf der Hamburger Ausstellung "Seismograph City" entwickeln Stadtplaner und Architekten Visionen für die Stadt der Zukunft.
"Wir haben ganz bewusst versucht, gerade die vielen technischen Dinge, ob dass das Verkehrssystem ist, aber auch der Hochwasserschutz, hier auch anzusprechen. Nicht nur Hafencity und Elbphilharmonie. Und erhoffen uns, der Bevölkerung zu vermitteln, dass das eben doch sehr viele Facetten hat, wenn man eine solche neue Strategie entwickeln will."

Nicht mehr Vorzeigeprojekte wie Konzertsäle oder Musical-Paläste sind für Oberbaudirektor Jörn Walter Angelpunkte des Stadtumbaus, sondern eine neue U-Bahn-Linie zur Anbindung der HafenCity, die "FCS Alsterwasser", das weltweit erste Fahrgastschiff mit Brennstoffzellen oder emissionsfreie Busse mit Wasserstoffantrieb. Deren schnörkelloses Design begeistert die Kuratorin Kristin Feireiss ebenso wie ein Heizkraftwerk oder das aus Schiffscontainern zusammengesetzte IBA-Dock, in dem über Energiesparmodelle auf der kommenden Internationalen Bauausstellung informiert wird.

"Wir sind ja längst weg von der Vorstellung, dass das, was ökologisch ist, irgendetwas mit Strickstrumpf zu tun hat."

Kristin Feireiss von der Berliner Aedes Galerie sorgt in der Ausstellung "Seismograph City" für den internationalen Vergleich, mit Monitoren, die um die Hamburger Beispiele herum gruppiert sind. Etwa zum Thema "Bauen am Wasser", das nicht nur bei nordischen Nachbarn, sondern auch in China aktuell ist. Durchaus keine exotische Architekturparade, sondern eine informative Übersicht mit überraschendem Ergebnis:

"Dass man sich jetzt nicht mehr gegen das Wasser stemmt, sondern dass man sagt: Wie können wir dieses Element mit einbeziehen? Es gibt also Beispiele, wo Häuser - zum Beispiel von MVRDV mit Winy Maas - wo die Häuser einfach mit dem Wasser steigen."

Nicht technisch immer mehr hochrüsten, sondern den Naturgewalten mit ihren eigenen Mitteln ein Schnippchen schlagen - das wäre vielleicht ein Ausweg. Oberbaudirektor Walter schaut deshalb genauer hin, weicht auch den einfachen, aber elementaren Fragen einer neuen Baukultur nicht aus:

"Wir müssen vielleicht auch einfach mal zurück von unseren hohen technischen Standards und uns wieder erinnern an das, was sich einfach historisch bewährt. Also auch zurück zur Natur - und dieses Spannungsverhältnis aufzeigen, zwischen Hightech und Lowtech."

Die Szenografen vom Berliner "Raumlabor" haben diese Strategie im Deichtor-Center angemessen umgesetzt: Vorhänge aus schlichten Metallketten hängen zylindrisch von der Decke, markieren einzelne "Themeninseln" wie "Infrastruktur", "Energie", "Umnutzungen" oder auch "Visionen". Alles wird en detail gezeigt, und es klingen kritische Untertöne durch, denn nicht nur im Städtebau weht ein scharfer, durchaus reinigender Wind. Oberbaudirektor Walter konstatiert:

"Dass nach meinem Eindruck mit der Klimadiskussion, aber jetzt auch mit der Finanzkrise alle im Grunde doch einen sehr viel genaueren Blick auf die Inhalte, auf den Gebrauchswert richten, als sie das in der Vergangenheit getan haben."

Mit einfachen, aber effektiven Mitteln wird der Blick auf Inhalte gelenkt, die Imagination herausgefordert: Schwarze Silhouetten stehen im Raum, Umrisse architektonischer Standardsituationen vom Reihen- bis zum Hochhaus, auf der Rückseite dann in Farbe die je individuelle Ausführung. Davor auf einem Stehpult die Hamburger Projekte als übersichtliche Broschüre. Diese Pulte nun lassen sich je nach Belieben vor die benachbarten Monitore rollen, animieren zum internationalen Vergleich. Bei den Stadthäusern etwa schneidet Hamburg bestens ab, energiesparend und ästhetisch ansprechend zugleich. Aber ist die Hansestadt nicht privilegiert, schließlich muss oder besser darf die Kommune jährlich 5000 neue Wohnungen planen, während viele andere Städte längst schrumpfen:

"Neubau - da ist sicherlich zutreffend, dass das die Städte im Westen, die noch wachsen, stärker berührt als diejenigen im Osten. Viel wichtiger ist aber, dass die ganzen anderen Themen, zum Beispiel die Sanierung, der klimagerechte Umbau der Stadt, in Wahrheit ein Thema ist, das uns alle gleichermaßen betrifft."

Die Lösung allerdings muss für jeden Ort, jede Stadt anders ausfallen, lässt sich nur im Dialog ermitteln. Und deshalb ist der Titel "Green Capital" für Oberbaudirektor Jörn Walter auch mehr als nur ein werbewirksames Etikett:

"Es gibt ja eine große Einigkeit, jeden Tag lesen wir das in der Zeitung und hören es im Radio über das, was wir wollen: CO2-neutral sein und so weiter und so fort. Der Weg dorthin ist eben doch ein längerer. Er ist ein technischer, nicht so ganz unkomplizierter und auch nicht immer sozialverträglicher Weg. Also wir haben verschiedene Facetten da zu berücksichtigen."

Nicht mehr auf den vordergründigen ökonomischen "Standortvorteil" kommt es an, sondern darauf, die Stadt als Ganzes zu entwickeln, kein Quartier, keinen Bezirk auszuschließen. In Hamburg ist Wilhelmsburg solch ein Viertel, wo manche Wohnung wegen mangelnder Teilhabe am öffentlichen Leben zum regelrechten "Gefängnis" wurde, wie Bewohner in Umfragen zur Erforschung der Armut sagten. Nicht nur Architekt und Planer, auch die Politik darf Bauen nicht mehr als Geschmacksfrage begreifen, sondern muss grundlegende Entscheidungen treffen:

Feireiss: "Auch in den Randbezirken, auch in den sozialen Brennpunkten lebenswerte Orte zu schaffen, wie zum Beispiel Wilhelmsburg. Und ich glaube, wofür ich Hamburg beneide - im Gegensatz zu Berlin - dass es hier wohl klare und strikte städtische Vorgaben gibt."

Service
Die Ausstellung "Seismograph City" ist noch bis 15. August 2009 im Deichtorcenter, Oberbaumbrücke 1, zu sehen. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen auf der Internetseite des Hamburger Architektursommers.