"Der Schmerzfaktor sorgt dafür, dass meine Bilder eine starke Wirkung entfalten"

J. Henry Fair im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 15.01.2012
Der amerikanische Fotograf und Umweltaktivist J. Henry Fair fotografiert in den schillerndsten Farben Verwüstungen, die durch die Industrie entstehen. Hinterlegt mit der Mahler-Sinfonie "Das Lied der Erde" zeigt er diese nun als Multimediapräsentation.
Sigrid Brinkmann: Ich habe den Bildkünstler vor seiner Abreise nach Weimar in New York, wo er lebt und arbeitet, angerufen und mit ihm über das multimediale Erlebnis, das den Zustand unseres Planeten spiegeln soll, gesprochen und ihn gefragt, welche Bilder man sehen wird, wenn der erste Satz erklingt?

J. Henry Fair: Man wird wunderschöne Aufnahmen von verseuchtem Abfall sehen, während das Orchester spielt und das "Trinklied vom Jammer der Erde" gesungen wird. Während des ersten Satzes geht es um die Öl-Katastrophe im Golf von Mexiko. Wir wechseln immerzu zwischen Fotografien von Booten und Maschinen, die eingesetzt wurden, um den sich immer weiter ausbreitenden Ölteppich aufzufangen und Bildern von schillernden Ölflächen auf dem Meer. Diese abstrakten Bilder wirken unglaublich schön und zugleich verstörend. Die Bilder sollen der Musik auch etwas sagen. Ich habe mir für diese Multimediaprojektion Hilfe bei einem sehr erfahrenen Filmemacher geholt, der den ganzen Prozess begleitet hat.

Brinkmann: Ich kenne einen Teil der Aufnahmen aus der Serie "Industrielle Narben": Man sieht herrlich bläulichen Düngeabfall, der die Erde verseucht; man sieht einen tiefgrünen See mit weißen Ufern: Es ist ein Giftmüllteich. Die Landschaft wirkt in ihrer Farbigkeit abstrakt und unglaublich schön. Auch Mahlers Musik mit der nackten, verloren klingenden Tenor- und Altstimme klingt betörend. Die Kluft ist für das wissende Auge schwer erträglich. Setzen Sie auf den Schmerz?

Fair: Der Schmerzfaktor sorgt dafür, dass meine Bilder eine starke Wirkung entfalten. Wir erfreuen uns an ihrer Schönheit und gleichzeitig tun sie weh, denn wir wissen, was sie verbergen. Diese Dissonanz hat eine Tiefenwirkung. Der Schmerz durchzieht Mahlers Musik vollständig. Im ersten Lied ist der Mensch noch zuversichtlich, er stört sich nicht groß an der Ausbeutung der Erde. Er nimmt sie hin. Diese Haltung bricht dann immer mehr auf und findet ihren Ausdruck in der dreimaligen Wiederholung des Satzes "Dunkel ist das Leben, ist der Tod."

Brinkmann: Was empfinden Sie, wenn Sie das Gift auf der Erdoberfläche oder auf dem Wasser sehen und im Bild festhalten?

Fair: Wenn ich diese Aufnahmen mache, funktioniere ich nur noch. Ich sitze in einem Flugzeug, und alles passiert bei hoher Geschwindigkeit. Da bleibt keine Zeit für Kontemplation. Ich konzentriere mich nur auf technische Details und Einstellungen und den richtigen Ausschnitt. Es ist höllisch anstrengend. Gefühle entwickele ich eher danach, wenn ich anfange zu recherchieren und meine Bilder mit Informationen unterfüttere.

Brinkmann: Wenn man von Ihnen als Fotograf spricht, dann immer auch als Umweltaktivist. Seit wann geht das eine Interesse, Bilder zu machen, die im Gedächtnis haften bleiben und nachdenklich stimmen - mit dem des Umweltschützers zusammen?

Fair: Ich war immer beides. Es hat Jahre gedauert, um zu lernen, wie man mit Bildern eine Geschichte über die Umwelt erzählt. Wirklich, was haben wir denn sonst? Sie ist doch unser Lebensraum. Die Erde ist das System, das unser Leben erhält - ohne etwas dafür zu verlangen. Wenn wir das System beschädigen, müssen wir für die Reparaturen bezahlen. Es geht bei alledem um Wirtschaftsfragen.

Brinkmann: Stefan Solyom, der Generalmusikdirektor der Staatskapelle Weimar, dirigiert Mahlers Sinfonie: Wie hat er auf Ihre Idee einer Multimediaprojektion reagiert?

Fair: Als Stefan Solyom kürzlich in New York war, hatte ich den Auftrag, ihn zu porträtieren. Wir haben über alles Möglich geredet, natürlich auch über Umweltfragen. Ich habe ihm von meiner Idee erzählt, eine Bildfolge für "Das Lied von der Erde" zu schaffen, und er ist sofort darauf angesprungen. Er hat es gleich auf dem Klavier gespielt. Es war das, was man Liebe auf den ersten Blick nennt. Ich bin so beeindruckt von seinem Elan etwas zu tun, was es so noch nicht gab. Auch sein Orchesterdirektor Nils Kretschmer hat uns sehr unterstützt und vieles ermöglicht, denn Widerstände gibt es immer bei solchen Projekten.

Brinkmann: Wie lange haben Sie an der Bildfolge gearbeitet, denn immerhin dauert die Sinfonie etwa eine Stunde?

Fair: Wir haben etwa tausend Bilder benutzt. Entstanden sind sie in den letzten fünfzehn Jahren. Ich habe sie in der ganzen Welt aufgenommen. Mich haben Flüsse immer sehr angezogen, denn an ihren Ufern und in ihrer Nähe konnte etwas wachsen, etwas Kulturelles entstehen. Ich bin Flussläufen gefolgt und habe dabei nach Industriegeländen Ausschau gehalten. Dann habe ich mich mehr auf Kohle, Öl und Papier konzentriert. Jetzt versuche ich stärker Bilder aufzunehmen, die ein Problem kenntlich machen. Aber begonnen habe ich einmal mit dem Durchstreifen von großen Gebieten.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.